Evangelische Kindertagesstätten in Kurhessen-Waldeck beschäftigen sich zurzeit mit dem Thema Gewalt. Denn alle Einrichtungen müssen bis Mitte kommenden Jahres ein Gewaltschutzkonzept vorweisen können. (Foto: pexels.com)

Evangelische Kindertagesstätten in Kurhessen-Waldeck beschäftigen sich zurzeit mit dem Thema Gewalt. Denn alle Einrichtungen müssen bis Mitte kommenden Jahres ein Gewaltschutzkonzept vorweisen können. (Foto: pexels.com)

Von Olaf Dellit, Medienhaus der EKKW
Veröffentlicht 30 Apr 2024

Es sind Fragen wie diese, mit denen sich Erzieherinnen und Erzieher in evangelischen Kindertagesstätten in Kurhessen-Waldeck beschäftigen, denn alle Einrichtungen müssen bis Mitte kommenden Jahres ein Gewaltschutzkonzept vorweisen können. Beraten werden sie dabei vom Referat Fachberatung evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, das seit einiger Zeit an das Landeskirchenamt in Kassel angebunden ist.

Das Referat wird von Uta Weber geleitet, die anlässlich des Tages der gewaltfreien Erziehung (30.4.) auf die Vorbeugung gegen Gewalt hinweist. Grundlage der Konzepte sei immer die Frage, was zu Gewalt zählt. Körperliche und sexualisierte Gewalt sind augenscheinlich, aber auch emotionale und digitale Gewalt zählen dazu. Es gelte, ein Bewusstsein für diese Facetten zu entwickeln, erklärt Weber. «Es geht», sagt sie, «um Haltungen und um die Kultur vor Ort.» 

Gerade in der pädagogischen Arbeit stehen Nähe und Distanz in einem Spannungsfeld. Da sei es wichtig, dass die Mitarbeitenden in einer Einrichtung festlegten, wo rote Linien sind.  Das gebe Sicherheit im eigenen Handeln und helfe, andere anzusprechen, falls sie einmal eine solche Linie überschreiten. Weber vergleicht das mit einem Fahrsicherheits-Training. Wer einmal ein solches mitgemacht habe, wisse auch in einer Notsituation, wie er richtig handelt, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Und Stresssituationen gibt es in Kitas – besonders in Zeiten des Fachmangels – häufig.

Es gebe auch Verunsicherungen über die Frage, was professionelle Nähe ausmache, berichtet Weber. Und das nicht nur bei den Profis. So höre sie manchmal, dass Eltern grundsätzlich Bedenken hätten, wenn ein Erzieher – also ein Mann – ihr Kind wickele: «Da gibt es noch viele Klischees, die wir abbauen müssen.» Auch Eltern müssten über Facetten von Gewalt informiert werden. 

Grundlage eines solchen Anti-Gewalt-Konzepts ist eine Risikoanalyse der jeweiligen Einrichtung. Da wird ähnlich verfahren wie bei der Arbeit gegen sexualisierte Gewalt und beispielsweise geschaut, wo es schlecht einsehbare Orte gibt. Damit die Mitarbeitenden in den Einrichtungen nicht zu viel Arbeit auf einen Schlag haben, würden die Konzepte in Themenpäckchen Stück für Stück erarbeitet, erläutert Weber, deren Fachstelle dafür die Beratung anbietet. Weitere Teile des Konzepts sind die gesetzlichen Grundlagen, ein Verhaltenskodex, geregelte Verfahren bei Beschwerden und Pläne, wie in einem Notfall zu handeln ist. 

Einige Eckpfeiler seien selbstverständlich. Ein Kind soll man nicht weinen lassen, zum Beispiel. Und die Grundregel, dass das «Nein» eines Kindes respektiert wird. Das kann auch non-verbal ausgedrückt werden, gerade bei Krippenkindern. Wenn ein Kind nicht auf den Arm genommen werden will, dann gelte das. 

Die Diplom-Sozialpädagogin Weber weiß aber auch, dass völlig gewaltfreie Erziehung in einer Gesellschaft, in der Gewalt – medial und ganz konkret – zum Alltag gehört, ein kaum zu erreichendes Ideal ist. Umso wichtiger sei es, sich Leitlinien zu geben: Ist Liebesentzug Gewalt? Ist es eine abwertende Bemerkung? Wann und wie muss eine Erzieherin eingreifen? Wie sieht es aus, wenn ein Kind ein anderes beißt und nur durch körperlichen Einsatz von ihm zu trennen ist? Ist das auch schon Gewalt oder schlicht notwendig? Mit Blick auf den Ukraine-Krieg, eine hochaktuelle Frage – wenngleich natürlich in einer völlig anderen Dimension: Darf oder muss man einem Aggressor kraftvoll entgegentreten? 

Gewaltfreie Erziehung ist kein Ziel, dass irgendwann erreicht und abgeschlossen sein wird. Uta Weber sagt vielmehr: «Es ist ein Dauerthema. Und wir dürfen nicht müde werden hinzuschauen.»  (03.05.2023)

Uta Weber

Referatsleitung

Das Referat Fachberatung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder engagiert sich für die Weiterentwicklung der Gesamtqualität der Arbeit in den Tageseinrichtungen für Kinder in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Es ist Teil des Landeskirchenamtes in Kassel.

Referat Fachberatung evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder
Wilhelmshöher Allee 330, 34131 Kassel
0561 9378 1415

Sozialpädagogin: «Gewalt hinterlässt immer Spuren»

epd-Gespräch zum Tag der gewaltfreien Erziehung am 30. April.

Kassel (epd). Viele Menschen in Deutschland halten körperliche Bestrafung in der Erziehung immer noch für richtig, wie eine repräsentative Studie zeigt, an der sich der Kinderschutzbund beteiligt hat. Die Sozialpädagogin und Referatsleiterin der Fachberatung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Uta Weber, warnt vor den Folgen.

epd: Frau Weber, wie wird gewaltfreie Erziehung definiert?

Uta Weber: Es bedeutet, dass Eltern keine Gewalt gegenüber Kindern anwenden dürfen. Gewaltfreie Erziehung basiert auf gegenseitigem Vertrauen. Vertrauen entsteht, wenn das Gegenüber mich und meine Art zu reagieren versteht. Nur in einer vertrauensvollen Atmosphäre können Kinder gesund aufwachsen.

epd: Körperliche und sexualisierte Gewalt sind augenscheinlich. Welche Macht haben Sprache, abwertende Bemerkungen, Liebesentzug, Kontrollzwang oder andere Formen emotional übergriffigen Verhaltens?

Weber: In der Tat, bei Kinderschutz und Kindeswohl denken die meisten erstmal an körperliche und sexualisierte Gewalt. Alle Formen von Gewalt können eine fatale Wirkung haben. Gerade die vermeintlich kleinen und versteckten Übergriffe im Alltag werden oft übersehen und heruntergespielt. Jede Form von Gewalt hat in der Erziehung nichts zu suchen und ist mit nichts zu rechtfertigen.

epd: Wie beeinflusst Gewalt die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen?

Weber: Die Auswirkungen von Gewalt wirken sich bei jedem Kind anders aus. Grundsätzlich sind die Folgen von Gewalt in der Erziehung bei jungen Kindern am gravierendsten und können sich auf das gesamte Leben deutlich auswirken. Ganz kleine Kinder haben keine Möglichkeiten, sich vor Gewalt zu schützen.

epd: Wie kann es gelingen, andere dafür zu sensibilisieren, hinzusehen, zu handeln und Hilfe zu holen?

Weber: Genau so, wie wir es gerade tun! Das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit tragen und ein Bewusstsein für Gewalt schaffen, an dem schwierigen Thema zu rütteln und hierüber Menschen bewegen, nicht wegzuschauen, sondern genauer hinzuschauen, wenn im eigenem Umfeld Gewalt geschieht. Es muss ein Bewusstsein dafür entstehen, welche Folgen schon allein ständiges Anschreien für Kinder haben kann. Gewalt hinterlässt immer Spuren, auch wenn diese für uns nicht immer sichtbar sind.

epd: Welche Anlaufstellen gibt es für Kinder, die Hilfe brauchen und für Erwachsene, die helfen wollen?

Weber: Grundsätzlich beraten und informieren die Jugendämter vor Ort. Auf der Website des Fachverbands der Beratungsstellen «www.unterstuetzung-die-ankommt.de» kann online nach einer Beratungsstelle in Wohnortnähe gesucht werden. Ebenso ist eine kostenfreie Onlineberatung mit ausgebildeten Fachkräften möglich.

epd: Was kann dazu beitragen, Gewalt in Kinderbetreuungseinrichtungen zu verhindern?

Weber: Kitas und Träger müssen Kinder- und Gewaltschutzkonzepte in den Kitas fest etablieren und einen sicheren Umgang mit der Meldung und Bearbeitung von Kinderschutzfällen haben. Wir als Referat Fachberatung bieten hierzu kontinuierliche Prozessbegleitung an und können bedarfsorientiert unterstützen.

epd: Welche Aufgabe nehmen Sie als Fachberatung für evangelische Tageseinrichtungen der EKKW wahr?

Weber: Den Tag der gewaltfreien Erziehung wollen wir nutzen, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Auch wenn Gewalt von vielen Teilen der Gesellschaft in der Erziehung abgelehnt wird, kommt es immer noch im Alltag zu Übergriffen Kindern gegenüber. Es braucht deshalb Regelungen der Prävention und auch den Umgang mit Grenzüberschreitungen in den Kinderbetreuungseinrichtungen. Das Zusammenleben ohne grenzüberschreitendes Verhalten ist eine große Aufgabe.

Linktipp:

Weitere Informationen zum Angebot des Referats Fachberatung Evangelischer Tageseinrichtungen mit Kontaktmöglichkeiten finden Sie im Servicebereich auf ekkw.de.