Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 30 Mär 2010

Interview mit Kirchenrätin Ute Heinemann. Die Fragen stellte Pfarrer Christian Fischer am 25. November 2009.

Fischer: Frau Präses Heinemann, Sie haben drei Amtsperioden hindurch diese Landessynode geleitet. Worauf sind Sie besonders stolz, wenn Sie an diese Jahre zurück denken?

Heinemann: Zunächst einmal: Als ich zum ersten Mal gewählt wurde, war ich die erste Präses einer Landessynode in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Da war ich zunächst einmal natürlich schockiert, zumal ich mich innerhalb von nur drei Tagen entschieden hatte zur Kandidatur. Eigentlich ging ich davon aus, dass ich gar nicht gewählt würde - und dann wurde ich doch im ersten Wahlgang gewählt.

Fischer: Und wie waren die ersten Tage im neuen Amt?

Heinemann: Ich musste mich erst mal hineinfinden in die Hierarchie eines Landeskirchenamtes, die mir nicht vertraut war. Die Männer, die mir gegenüber saßen, es waren damals alles Männer, haben mich mit sehr großer Vorsicht empfangen. Das habe ich als sehr große Distanzierung erlebt. Vielleicht spielte auch ein Stück Angst eine Rolle, nach dem Motto: hier kommt jetzt mit der Frau Heinemann «die Revolution die Marktgasse rauf», wie man in Kassel sagt. Dabei war ich nun alles andere als ein revolutionärer Typ.

Fischer: Wie haben Sie darauf reagiert?

Heinemann: Ich musste mich erst langsam und ganz vorsichtig in das Landeskirchenamt hineintasten. Ein Bild dafür mag sein: ich hatte keinen Raum, ich hatte keinen Schreibtisch, ich hatte keinen Stuhl. Ich hatte nur einen Hocker im Synodalbüro bei Herrn Nolte. Und da saß ich mit meiner Tasche auf den Knien und habe mit Herrn Nolte die Dinge besprochen, die zu besprechen waren. Meine erste große Tat war mein Kampf um ein Zimmer. Ich bekam dann im Landeskirchenamt einen Raum, dazu einen umgebauten Schreibtisch aus dem Keller, immerhin mit einem Stuhl und zwei Gästestühlen, so dass ich wenigstens jemanden empfangen konnte. Jetzt konnte ich sagen: Hier sitzt die Präses! Das war das eine.

Fischer: ...und das andere?

Heinemann: Ich musste mich immer wieder zu Wort melden, wenn es um so selbstverständliche Dinge wie Sitzungen ging. Ich wusste nicht, wo die stattfinden. Ich irrte durchs Haus und dann hieß es: «Ist doch ganz klar, ist doch immer da.» Man hat es also in den ersten Monaten nicht für nötig gehalten, mich immer zu informieren und einzuweisen. Zur ersten Herbstsynode hatte ich dann einen solchen Tiefpunkt, dass ich eigentlich für mich beschlossen hatte, ich lege das Amt nieder. Ich halte das nervlich neben meiner beruflichen Belastung nicht mehr aus, denn ich wechselte zu der Zeit gerade ins Schulamt.

Fischer: Und wie lief dann tatsächlich die erste Synode unter Ihrer Leitung?

Heinemann: Als ich in dem Synodalsaal im Kurhaus in Bad Orb saß und meine Synodalen vor mir alle nur wie Schatten sah, weil die Lichtverhältnisse ungünstig waren, kam mir plötzlich die Idee: Was werden die jetzt sagen, wenn ich mein Amt niederlege? Eigentlich bin ich ja von dem Wohlwollen und der Gunst der Obrigkeit überhaupt nicht abhängig. Das war wie ein Befreiungsgefühl: ich kann das Amt jederzeit, wenn ich das Gefühl habe, ich kann es nicht mehr durchhalten, niederlegen. Und das kann mir keiner übel nehmen. Es würde sicherlich in unserer Landeskirche ein großes Nachdenken einsetzen, wie man mit Menschen umgeht. Das hat mir Kraft gegeben, und ich habe beschlossen, jetzt mache ich das anders.

Fischer: Hatten Sie Vertraute?

Heinemann: Ich habe mit Herrn Bischof Zippert fast gleichzeitig gemeinsam die Arbeit aufgenommen. Und mit Herrn Zippert hatte ich dann zunehmend ein sehr intensives und kontinuierliches Gespräch. Er war jemand, dem ich meine Not und Sorgen sagen konnte. Und ich habe bei ihm erlebt, dass er im Grunde mitfühlte. So hatte ich manchmal den Eindruck, wir saßen in einem Boot. Er war ja auch kein Verwaltungsmann. Das hat mir sehr geholfen.

Fischer: Was hat sich geändert - wenn Sie Ihre Anfangsjahre mit der heutigen Synode vergleichen?

Heinemann: Ich habe mir damals vorgenommen, die Synode anders zu leiten. Ich wollte, dass alle in der Synode den Mut haben, an das Mikrofon zu treten und ihre Meinung zu sagen, ohne dass sie vom Präses kommentiert, kritisiert oder zurecht gewiesen wurden, wie ich das in meiner ersten Legislaturperiode in abgeschwächter Form erlebt habe - Herr Dettmar war ein ganz toller Präses. Aber der Vorgänger, da wurden mir Dinge erzählt von Herrn Nagel, die waren einfach schrecklich. Von ihm wurde man gemaßregelt und zusammen gestaucht, wenn man nicht ordentliche und vernünftige Sachen am Mikrofon gesagt hat. Ich habe vor allen Dingen versucht, Frauen zu ermutigen, diesen Schritt zu tun, denn für viele Frauen ist es ja nicht alltäglich, dass man ans Mikrofon einer solch hochwürdigen Versammlung tritt. Und da ich das ja auch lernen musste, saßen wir praktisch in einem Boot.

Fischer: Wie hat die Synode darauf reagiert?

Heinemann: Der Blickkontakt zu den Synodalen, die Ermutigungen, die Rückmeldungen haben mir sehr geholfen. Auch die zunehmende Fähigkeit meinerseits, mal einen Spaß in der Synode zuzulassen. Wir haben miteinander gelacht. Das hat sehr dazu beigetragen, dass wir eine sehr gute Atmosphäre haben. Gerade meine letzte Legislaturperiode erlebte ich so, dass wir wirklich auch eine fröhliche Synode sein können. Dass wir auch sehr viel miteinander lachen und miteinander singen. Ich glaube, dazu habe ich meinen Beitrag geleistet.

Fischer: Wenn Sie zurückblicken – worauf sind Sie stolz, Frau Heinemann?

Heinemann: Erstens bin ich heute stolz darauf, dass ich entscheidend mitgewirkt habe bei der Nominierung des neuen Bischofs. Ob das Wahlergebnis nun immer alle Leute so glücklich gemacht hat, weiß ich nicht. Aber ich hatte den Eindruck, dass wir einen neuen Stil gefunden haben. Dass alle Gemeindeglieder die Möglichkeit hatten, einen Bischof vorzuschlagen. Und das ist auch in ganz großer Breite wahrgenommen worden. Ich habe gerade in dieser Zeit sehr viele Gespräche mit Menschen auf der Straße geführt und die Frage gestellt: «Wie stellt ihr euch eigentlich einen Bischof vor, was wünschtet ihr, wenn ihr jetzt wählen könntet?» - Das war für mich eine Hochphase. - Heute kann ich sagen: ich komme mit Bischof Hein sehr gut aus. Auch unser Miteinander in der Synode. Wir haben regelmäßig Gespräche und ich kann offen zu ihm reden. Ich glaube, das ist eine ganz große Fähigkeit, die ich  entwickelt habe im Laufe der Zeit, dass ich mit Menschen, ohne sie zu verletzen, auch offen und frei über Dinge reden kann, die mir nicht so behagen und wo ich mir wünsche, dass es anders wird. Das konnte ich in dieser Zeit sehr gut tun. Auch mit den anderen Mitgliedern im Landeskirchenamt ist da inzwischen fast ein freundschaftliches Verhältnis gewachsen. Ich bin herzlich willkommen. Ich bin angesehen im Haus. Und was mich am meisten freut: ich bin in meiner Synode angesehen. Von den Synodalen ist mir sehr viel Warmherzigkeit, sehr viel Zuspruch und jetzt natürlich auch sehr viel Anerkennung entgegengebracht worden.

Fischer: Wie würden Sie die Diskussionskultur in der kurhessen-waldeckischen Synode beschreiben?

Heinemann: Ich habe in meinem Beruf die Erfahrung gemacht: wenn man erst mal Luft und Zeit gibt, sich zu äußern und frei zu reden, dann gelingen hinterher die Beschlüsse und möglicherweise auch Kompromisse wesentlich leichter. Und das ist in dieser Synode sehr gut gelungen. Sie sehen es ja auch daran, wir haben nie die Zeit überschritten, oftmals unterschritten, obwohl ich auch lange Debatten zugelassen habe.

Fischer: Gibt es denn Dinge, die nicht so gut gelaufen sind?

Heinemann: In jedem parlamentarischen Ablauf gibt es natürlich auch mal Diskussionen, die kontrovers geführt werden. Auch im Synodalvorstand. Womit ich ganz große Probleme habe, sind illoyale Umgehensweisen. Wenn hinter meinem Rücken Dinge passieren, das ist grundsätzlich in meinem Leben etwas, was mich sehr verletzt und das passiert natürlich auch hin und wieder mal im Raum von Kirche. Das ist etwas, worauf ich nicht so stolz bin. Aber es ist selten gewesen.

Fischer: Mit welchen Entscheidungen waren sie nicht einverstanden?
 
Heinemann: Ein Punkt, der mich sehr deprimiert hat, war die Abstimmung über das  Wählbarkeitsalter im Kirchenvorstand. Dass man mit 70 Jahren nicht mehr in der Lage ist, im Kirchenvorstand mitzuarbeiten, leuchtet mir nicht ein. Ich bin jetzt 65, kann noch eine Synode leiten bis ich 66 bin und ab 70 kann ich dann nicht mehr im Kirchenvorstand mitarbeiten: das ist verletzend, das ist diskriminierend und da habe ich sehr drunter gelitten. Aus dem Grunde werden wir jetzt ein Seniorenforum «Silberne Kirche» gründen, wo schon sehr viel hochkarätige und interessierte Leute mitmachen möchten. Wir wollen einfach sagen: so lassen wir uns das nicht bieten!

Fischer: Was hat die Synode in dieser Amtszeit nicht geschafft und ist liegen geblieben?
 
Heinemann: Die Kooperation mit der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hat uns sehr intensiv beschäftigt in den letzten vier Jahren. Das werden wir sicherlich jetzt erst mal etwas zurück stellen. Das ist nicht so gut gelaufen. Bei uns wohl, wir haben ja klare Position bezogen. Wie die Nordhessen so sind. Ich sage immer, die Nordhessen haben etwas Preußisches, die kriegen einen Auftrag und dann wird der ordnungsgemäß abgearbeitet und auch zu einem Ergebnis geführt.

Fischer: Wenn Sie in die Zukunft blicken: was würden Sie dieser Synode wünschen, wohin sollte sie weiter sich entwickeln?

Heinemann: Ich wünschte mir natürlich, dass die Synode weiter klar und deutlich aber doch in freundlicher Weise geführt wird. Denn ich meine, wir sind schon ein Spiegelbild unserer Kirche, und ich habe mich immer bemüht, einladend zu wirken. Wir hatten ganz am Anfang der Synodaltagungen, die ich damals geleitet habe, das Thema «Einladende Kirche», und das hat mich auch sehr geprägt, weil ich eigentlich immer gern, auch im Schulamt, einladend wirken wollte. Das kann ich mir nur wünschen, dass das weitergeht.

Fischer: Werfen wir den Blick auf die Landeskirche. Sie haben als wichtige Repräsentantin dieser Kirche das Geschehen und das Leben in dieser Kirche mit geprägt in den letzten achtzehn Jahren. Was möchten Sie der Landeskirche, der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, mit auf den Weg geben?

Heinemann: Da schlägt mein Herz ganz stark für den Religionsunterricht und die Jugendarbeit. Wir haben das Projekt «Mit Kindern neu anfangen» begonnen. Das startet im Kindergarten, bei den ganz Kleinen. Ich mache mir aber zunehmend Sorgen, dass wir unseren Jugendlichen zu wenig Angebote in Kirche machen, die etwas fordern und auch qualitativ angemessen sind. Also, wenn ich in einer Zeitung lese, dass ein Angebot für Jugendliche heißt: laute Musik hören, kickern, miteinander quatschen und «chillen», dann ist das kein Angebot für eine Evangelische Kirche, sondern das kann jeder Verein machen. Da wünsche ich mir Prioritäten und evangelische Akzente.

Fischer: Und bei dem Religionsunterricht?

Heinemann: Wir müssen dem Religionsunterricht wieder eine bessere Position geben. Ich bin der Meinung, das hängt an den Religionslehrern, wie lasch sie die Dinge angehen, ob sie sich einem starken Schulleiter beugen. Ich habe ja nun lange genug in Schulen mitgewirkt und habe immer wieder festgestellt, wie offen die Atmosphäre auch bei Schulleitern sein kann, wenn man ihnen entgegenkommt, die Probleme deutlich macht und den Religionsunterricht auch als ein gesellschaftlich notwendiges Thema artikuliert.
Und: was mir mittlerweile genauso wichtig ist, ist die Zeit nach der Konfirmation. Wobei wir über den Zeitraum der Konfirmation auch nachdenken müssten. Ich halte das Alter zwischen dreizehn und vierzehn für total unangemessen. Evtl. mit 15 oder 16 Jahren und dann aber auch wirklich mit den Jugendlichen in Gespräche kommen, die ihr Leben ein Stück beeinflussen oder mittragen. Nur «chillen» oder «rumhängen», das kann es wohl nicht sein. Da würde ich mich auch gern in Zukunft weiter engagieren.

Fischer: Dann wünsche ich Ihnen für dieses Engagement viel Erfolg und bedanke mich für das Gespräch!