Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 01 Sep 2023

Schwalmstadt-Ziegenhain. Wer über den historischen Paradeplatz in Ziegenhain läuft, begegnet dort vor der Schlosskirche einer für die Stadt und Region prägenden Persönlichkeit. Eine bronzene Skulptur zeigt Landgraf Philipp den Großmütigen und erinnert an den Erlass der Ziegenhainer Kirchenzuchtordnung 1539 und die Entstehung der Konfirmation. Bisher steht der Landgraf allein an seinem Platz. Doch es sollen noch weitere Figuren folgen. Die zweite Figur ist jetzt fertiggestellt und zeigt eine Pfarrerin, die einen Konfirmanden segnet, teilte Marita Natt vom Verein zur Förderung der Konfirmationsstadt mit.

Ausstellung und Vortrag zum Weg der Frauen in der Kirche

Anlässlich der Fertigstellung der zweiten von insgesamt fünf Bronzefiguren des Denkmals werde ab dem 5. September in der Schlosskirche die Ausstellung «Pfarrhelferin, Vikarin, Pfarrerin. Theologinnen in Kurhessen-Waldeck» gezeigt, so Natt weiter und lädt zu einem Vortrag von Pröpstin Katrin Wienold-Hocke (Kassel) an dem Eröffnungstag um 19 Uhr ein. Die Ausstellung könne im September durchgängig besichtigt werden. Die Schlosskirche sei  geöffnet. Feierlich enthüllt werde die neue Skulptur dann am 3. Advent neben der des Landgrafen. 

Demnächst auf dem Paradeplatz in Ziegenhain in Gesellschaft mit einer Pfarrerin: Die Skulptur von Landgraf Philipp des Großmütigen. (Foto: Verein zur Förderung der Konfirmationsstadt)

Demnächst auf dem Paradeplatz in Ziegenhain in Gesellschaft mit einer Pfarrerin: Die Skulptur von Landgraf Philipp des Großmütigen. (Foto: Verein zur Förderung der Konfirmationsstadt)

Mit der Darstellung der Pfarrerin soll eine Brücke zur heutigen Zeit geschlagen werden, so Natt. Was im Mittelalter noch undenkbar erschien, sei heute etwas völlig Selbstverständliches. Denn Pfarrerinnen seien in den Kirchengemeinden mittlerweile fest verankert. 

Geschichte der Frauen in der evangelischen Kirche noch jung

Doch die Geschichte der Frauen in der evangelischen Kirche ist noch jung: Zum Pfarramt seien Theologinnen noch lange nicht zugelassen gewesen. Das habe sich erst mit dem Jahr 1961 geändert, so Natt. Die sehenswerte Ausstellung sei zum 50-jährigen Jubiläum der Frauenordination in unserer Landeskirche im Jahr 2012 enstanden, erläuterte die ehemalige Prälatin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck. Sie skizziert anhand von Fotos, Biogrammen und Erinnerungen früherer Pfarrerinnen die schwierigen Bedingungen, unter denen Frauen anfangs ihren Dienst ausüben mussten. 

Die Ausstellung sei eine amüsante, interessante und bewegende Dokumentation, die vom Landeskirchlichen Archiv in Kassel unter der Leitung von Bettina Wischhöfer gestaltet wurde, so Natt. (01.09.2023)

Der Weg der Frauen ins Pfarramt

Lange Zeit durften Frauen lediglich als Pfarrhelferinnen Unterstützungsdienste leisten. Bei einer Verheiratung schieden sie aus. Im 2. Weltkrieg waren viele Kirchengemeinden verwaist, die Pfarrer an der Front. Die Frauen sprangen als Vikarinnen ein. Später regelte ein Kirchengesetz, dass sie vornehmlich gegenüber Frauen und Kindern eingesetzt werden sollten (Jugendstunden und Krankenhausseelsorge). Das änderte sich nach anhaltenden Protesten einiger engagierter Theologinnen. Am 8. Dezember 1961 beschloss die Landessynode in Hephata nach leidenschaftlichen Diskussionen die Ordination von Frauen. Ab da konnten sie endlich ein Gemeindepfarramt übernehmen. 

Von Gleichstellung war aber noch lange keine Rede. Ein Aufstieg war den Pfarrerinnen grundsätzlich versagt mit der Begründung, sie hätten «in der Regel keinen Mann und keine Abkömmlinge zu unterhalten». Männliche und gesamtgesellschaftliche Vorbehalte gegenüber «Fräulein Pfarrerin» waren damals an der Tagesordnung. Ein Dekan schrieb: «Ich rege an, von Frau K. eine Liste ihrer Erkrankungszeiten zu erstellen und ihre Autounfälle mit Reparaturkosten angeben zu lassen…». Ein anderer meinte, dass man die Pfarrerin in ländlichen Kreisen wegen ihres «mac up» und jeglichen Fehlens eines Verständnisses für ländliche Verhältnisse ablehne. Einer Pfarrerin wurde vorgeworfen, sie sei nicht ordentlich frisiert, trage zu lange Kleider und rauche Zigaretten. Das veranlasste ein weibliches Gemeindeglied zu fragen: «Würde man einem männlichen Pfarrer gegenüber genauso vorgehen: er rauche Zigaretten, trage unmoderne Anzüge und ungepflegte Haare?» 

Wie gut, dass die Zeiten sich geändert haben! 1986 wurde die erste Dekanin in ihr Amt eingeführt. 1990 die erste Pröpstin und 2003 die erste Prälatin. In allen drei Fällen war es die Pfarrerin Roswitha Alterhoff. 

(Text: Marita Natt)

Linktipp:

Weitere Informationen zu Ziegenhain und der Konfirmation finden sich unter:

konfirmationsstadt.de