Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 24 Jul 2020

Hofgeismar (medio). Die Corona-Pandemie ist keine Strafe Gottes und auch nicht das Ergebnis politischer Verschwörung. Diese Auffassung vertritt Dr. Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck im Sommerinterview des Medienhauses der Landeskirche. «Corona ist also nichts, was Gott geschickt hat, sondern eine Verknüpfung von vermutlich natürlichen Prozessen und menschengemachter Verbreitung», so die Bischöfin. In dem Interview nahm Hofmann kurz vor ihrem Sommerurlaub auch zu den Themen Rechtsextremismus und Klimakrise sowie zu weiteren aktuellen Fragen Stellung.

Das Interview führte der Leiter des Medienhauses, Christian Fischer, auf dem Gelände der Evangelischen Altenhilfe in Hofgeismar am 20.7.2020 in Hofgeismar.

Fischer:
Frau Dr. Hofmann, herzlich willkommen! Wir sind heute in Hofgeismar auf dem Gelände der Evangelischen Altenhilfe, einer wichtigen Institution der Diakonie in Nordhessen, die sich besonders um alte Menschen kümmert. Warum haben wir diesen Ort gewählt? In den letzten Wochen und Monaten hatten alte Menschen in Pflegeeinrichtungen besonders zu leiden. Keine Besuche oder nur unter sehr erschwerten Bedingungen. Dazu die Angst sich vielleicht am Coronavirus anzustecken. Wie haben Sie selbst bisher die Pandemie wahrgenommen?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich finde, dieser Ort hier zeigt uns ganz exemplarisch das Dilemma, in das uns die Corona Pandemie hineingeführt hat. Nämlich, dass wir auf der einen Seite eben nicht mehr normal in Kontakt mit Menschen gehen können und auf der anderen Seite Menschen in dieser Zeit besonders intensiv auf Zuspruch, auf Trost, auf Kontakt angewiesen sind. Gerade in den Altenheimen war diese Abwägung besonders schwierig zwischen genügend Kontakt und Begleitung auf der einen und genügend Schutz und Sicherheit für die Gesundheit auf der anderen Seite. Ich glaube, es war nicht nur für die alten Menschen, sondern auch für die Pflegerinnen und Pfleger eine besonders schwierige und herausfordernde Zeit.

Bischöfin Beate Hofmann im Gespräch mit Pfarrer Christian Fischer (Foto: medio.tv/Schauderna)

Bischöfin Beate Hofmann im Gespräch mit Pfarrer Christian Fischer (Foto: medio.tv/Schauderna)

Fischer:
Welche Rolle spielt der Glaube in einer solchen Krise wie der Corona Pandemie?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich kann das nur für mich selber sagen: ich erlebe meinen Glauben in dieser Zeit als ein Geländer. Es ist etwas, woran ich mich festhalten kann. Das bewahrt mich jetzt nicht davor auch mal zu stolpern oder ins Straucheln zu kommen, aber ich kann da immer wieder hin greifen und mich dadurch durch diese Zeit hangeln in all den Unsicherheiten, Fragen, Schmerzen und Ängsten und vertrauen, dass ich hier gut durchkomme.

Fischer:
Seit Beginn der Corona Pandemie sind viele Menschen sehr verunsichert. Wie bewerten Sie die Pandemie theologisch? Ist sie vielleicht sogar eine Strafe Gottes?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Corona ist wie ein Brennglas auf unsere Lebensverhältnisse. Die Pandemie zeigt besonders scharf soziale Ungleichheiten und viele grundlegende Probleme in unserer Welt auf. Aber Corona ist für mich keine Strafe Gottes. Sie ist also nichts, was Gott geschickt hat, sondern eine Verknüpfung von vermutlich natürlichen Prozessen und menschengemachter Verbreitung und dabei spielt unsere modernen Mobilität für Urlaub, für Arbeit, für Ausbildung eine entscheidende Rolle. Die Idee Corona als eine Strafe Gottes zu bezeichnen, kommt allerdings tatsächlich in manchen theologischen Positionen zum Ausdruck. Für mich ist das ganz problematisch, weil wir dann erklären müssten, warum Gott ausgerechnet die straft, die im Moment als besonders schutzlos dastehen. Also, Menschen, die in Armut leben, Menschen, die hochaltrig sind oder Menschen, die andere pflegen und als Ärztinnen und Ärzte versorgen. Warum sollte Gott gerade die strafen? Ich finde, das macht überhaupt keinen Sinn. Und die Vorstellung, dass Gott straft, steht für mich in deutlichem Widerspruch zu unserem Glauben, dass Gott sich als der liebende offenbart und deshalb auf der Seite der Menschen steht, die leiden - wie sollte er sie mit Leid bestrafen?

Fischer:
Andere Menschen sagen, vielleicht steckt hinter der Pandemie eine politische Verschwörung. Was sagen Sie diesen Menschen?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Verschwörungstheorien sind ja ein Versuch, eine Erfahrung von Ohnmacht und Machtlosigkeit zu bewältigen. Zu erklären, warum uns die Kontrolle über unser Leben verloren geht. Ich kann verstehen, dass Menschen dieses Gefühl haben,  aber ich halte diese Antwortversuche für absolut für falsch. Verschwörungstheorien vermuten häufig internationale Einflüsse und politische Manipulation und bedienen sich dabei auch rassistischer und antisemitischer Vorurteile. Ich finde, das sind zu einfache Antworten für sehr komplexe Zusammenhänge und ich glaube, wir müssen die Komplexität dieser Situation aushalten, wir müssen miteinander Wege suchen, wie wir mit den Erfahrungen von Kontrollverlust umgehen.

Fischer:
Werfen wir einen Blick auf das Engagement der Kirchen in dieser Krise. Wie schätzen Sie den bisherigen Einsatz in dieser schweren Zeit ein? Hat die Kirche angemessen in der Krise reagiert?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Aus meiner Sicht haben wir im Lockdown versucht das zu tun, was möglich ist, wir denken jetzt nach dem Lockdown wieder neu darüber nach, was  jetzt alles möglich ist. Und in der Rückschau werden wir darüber nachdenken, ob wir tatsächlich alles getan haben, was möglich und nötig gewesen wäre. In der Situation selbst war und ist immer die Frage, was ist möglich unter den gegebenen Bedingungen, auch im Blick auf staatliche Verordnungen und auf den Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dabei habe ich aber auch erlebt, dass  sehr viel Neues, sehr viel Kreatives entstanden ist, um nah bei den Menschen zu sein, um in Kontakt zu bleiben, um Gottes Wort zu verkündigen.

Fischer:
Um die Frage, ob die Kirche angemessen reagiert hat, ist eine rege Debatte geführt worden. Manche sagen, die Kirche hat die Kranken, die Sterbenden allein gelassen, hat ihre Besuche fast eingestellt. Was ist Ihr Eindruck?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich finde den Vorwurf zu pauschal. Ich weiß, dass zum Beispiel in der Klinikseelsorge, zumindest hier in Kurhessen-Waldeck, die Begleitung der Kranken weitergegangen ist. Ich weiß aber auch, dass das in den Altenheimen aus den beschriebenen Gründen schwieriger war. Ich weiß, dass da, wo Menschen gestorben sind, wir sie bestattet haben, wenn die Angehörigen das wollten. Es gibt sicher einzelne Orte, wo Menschen mehr gewollt und mehr gewünscht hätten und das nicht möglich war, aber zu sagen, wir haben generell versagt, finde ich tatsächlich zu pauschal und nicht angemessen im Blick auf das Schutzbedürfnis, was hinter vielen Regelungen steht. Wenn Altenheime sagen, hier kommt im Moment niemand rein, dann tun sie das ja auch, weil sie Verantwortung für die Bewohnerinnen und Bewohner haben.

Fischer:
Schauen wir noch auf einige andere Aspekte der Pandemie.in der Landeskirche.  Es ist absehbar, dass Kirchensteuereinnahmen wegbrechen. Muss jetzt noch stärker gespart werden?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Wir wissen noch nicht genau, wie uns die Corona Pandemie finanziell treffen wird. Wir gehen aber davon aus, dass die Einnahmen weniger werden. Dabei gibt es gerade jetzt viel zu tun in der Begleitung von Menschen, die unter den Folgen der Corona Pandemie leiden und die besondere Unterstützung brauchen wie zum Beispiel die Kinder und Jugendlichen, die jetzt auch in den Ferien zu Hause sitzen und Erfahrungen von drei, vier Monaten «homeschooling» verarbeiten müssen. Wir würden gerne im diakonischen Bereich Menschen intensiv begleiten, wir würden gerne neue Formen suchen, das Evangelium digital zu verkündigen. Angesichts solcher Herausforderungen weniger Ressourcen zu haben, ist bitter, aber es zwingt uns auch einfach sehr genau zu überlegen, was  unser Auftrag ist:  Wo will Gott uns jetzt und wie können wir das mit dem, was wir an Ressourcen haben, ermöglichen. Das wird die Herausforderung der nächsten Monate und Jahre sein. Ich glaube, dass Corona Entwicklungen, die uns prognostiziert worden sind, zum Beispiel durch die Freiburger Studie, einfach beschleunigen wird.

Fischer:
Sie haben eben das Stichwort genannt: «Digitalisierung» – viele Menschen, auch viele Kolleginnen und Kollegen haben Videokonferenzen kennengelernt, die Gottesdienste wurden häufig nur noch online bei «YouTube» übertragen. Wo geht denn die Reise jetzt hin?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Corona hat einen Digitalisierungsschub für die Kirche mit sich gebracht, einfach weil es nicht mehr anders ging. Viele Leute haben sich plötzlich in digitalen Sitzungen wiedergefunden, weil klar war, das ist jetzt die einzige Möglichkeit, wie wir hier weiter zusammenarbeiten können. Sie haben erlebt «es geht» und es spart sehr viel Fahrzeit.  Das ermöglicht tatsächlich Arbeit anders einzuteilen als bisher. Es fehlen die schönen Gespräche nebenher, es ist schwieriger, kreativ miteinander zu denken oder auch mal miteinander zu streiten. Das sind die Grenzen der digitalen Sitzungen. Aber im Blick auf die Frage, wohin die die Reise geht, würde ich sagen, mit und nach Corona wird weniger gereist.

(Foto: medio.tv/Schauderna)

(Foto: medio.tv/Schauderna)

Fischer:
Ganz persönlich gefragt, welche Konsequenzen ziehen Sie selbst aus der Krise und den Erfahrungen, die Sie ja in den letzten Wochen und Monaten gemacht haben?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Eine Konsequenz ist tatsächlich sehr genau zu überlegen, zu welchem Termin muss ich wirklich hinreisen und was geht auch digital aus ökologischen und auch aus Zeitgründen. Eine Zweite ist, mich nochmal sehr viel intensiver mit digitalen Medien in der Verkündigung auseinandersetzen. Ich habe auch gelernt, vor einer Kamera zu stehen ist etwas anderes als auf einer Kanzel. Und schließlich ist die Frage nach der Verwundbarkeit und der Verletzlichkeit von Leben für mich noch einmal sehr deutlich geworden. Auch die Frage, wie gehe ich mit Angst um. Mit meiner, aber auch mit der Angst anderer, wie werde ich da meiner Verantwortung gerecht. Das sind Fragen, die die Pandemie mir sehr deutlich vor Augen geführt hat und die auch nach der Pandemie bleiben werden.

Fischer:
Frau Dr. Hofmann, Sie sind die erste weibliche Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, ja Hessens. Wie sehen Sie die Rolle von Mann und Frau in der Krise? Was hat sich da geändert, was hat sich verschoben?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Wir beobachten vielerorts, dass Frauen die Lasten der Krise nochmal anders tragen als Männer. Wenn es darum ging, wer bleibt zu Hause bleibt, wenn Schulen und Kitas geschlossen sind und die Kinder betreut und begleitet werden mussten, waren es eben eher die Frauen, die zu Hause geblieben sind. Wir lesen auch, dass die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen gestiegen ist. Ich habe aber neulich auch eine Studie gelesen, dass Männer während des Lockdowns mehr im Haushalt geholfen haben. Noch ist das alles ganz frisch - mit etwas Abstand werden wir sehen, was das mit unseren Geschlechterverhältnissen macht. Auf den ersten Blick hatte ich das Gefühl, Corona führt zu einer Retraditionalisierung, verschärft also traditionelle Rollenverteilungen.

Fischer:
Was kann die Kirche da tun? Entgegenwirken, andere Akzente setzen?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich denke, ein wichtiger Punkt ist Kinderbetreuung zu ermöglichen, so dass Frauen nicht wählen müssen zwischen Familie und Kindern oder einer beruflichen Karriere. Das darf heute keine Wahl dieser Art mehr sein; dazu können auch wir als Kirche beitragen, wenn wir Kinderbetreuung ermöglichen. Das Zweite ist das Nachdenken über Geschlechterrollen und Familienrollen anstoßen. Und als kirchliche Arbeitgeber können wir natürlich Homeoffice ermöglichen, flexible Arbeitszeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen. Und ich glaube, da waren wir in den letzten Wochen auch nicht schlecht.

Fischer:
Frau Dr. Hofmann, Sie sind jetzt fast ein Jahr im Amt, es sind fast genau zehn Monate. Was waren für Sie die schwierigsten und die glücklichsten Momente in Ihrer Amtszeit?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Die schwierigsten Momente haben tatsächlich etwas mit dieser Kette von furchtbaren Ereignissen zu tun, die mit dem Mord an Walter Lübcke begannen: Halle, Hanau, dazwischen noch die Wahl von Herrn Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Diese ständige Konfrontation mit Gewalt mitten in der Gesellschaft, das finde ich sehr erschreckend. Immer wieder habe ich mich sehr grundlegend gefragt, wie wir uns als Kirche, wie ich mich als Bischöfin verhalten kann. Die Wahl von Kemmerich zum Beispiel habe ich als starken Kulturbruch empfunden. Wie reagieren wir als Kirche  angemessen, was tue ich als Bischöfin in so einer Situation, was tue ich auch nicht. Gratuliere ich, gratuliere ich nicht?

Fischer:
Wofür haben Sie sich entschieden?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich habe damals nicht gratuliert. Ich habe mir dann überlegt, ihm und Ramelow einen Brief zu schreiben und dann ergab sich sehr schnell die Initiative der ostdeutschen Bischöfe, der ich mich angeschlossen habe:  Stellung zu nehmen und Kemmerich zum Rücktritt aufzufordern, was er dann ja auch sehr schnell getan hat.

Fischer:
Zwei Ereignisse haben Sie sicher sehr beschäftigt, Hanau und Volkmarsen. Zwei unfassbare Attentate und menschliche Grausamkeit. Wie haben Sie die Ereignisse selbst erlebt und wie sind Sie damit umgegangen?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Jedes Mal ist das so ein Stoß in die Magengrube, dass man denkt, oh Gott, wie entsetzlich. Dann die Frage, wie kann ich als Bischöfin, wie können wir als Kirche jetzt nah bei den Menschen sein. Das ist uns in beiden Fällen durch Notfallseelsorge gut gelungen. Bei den öffentlichen Trauerkundgebungen waren wir in Hanau als Kirche eher im Hintergrund, da hat Politik sehr klar die Bühne bespielt. In Volkmarsen war das völlig anders. Da gab es einen Tag nach dem Attentat einen ökumenischen Gottesdienst, in dem wir dann miteinander die Situation reflektiert haben und versucht haben, nah bei den Menschen zu sein.

Fischer:
Sie waren selbst in Volkmarsen, wie haben Sie es erlebt?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Das war ein sehr dichter Moment, sehr viel Betroffenheit, sehr viele Fragen im Raum. Es war gut, dass keine Kameras in der Kirche zugelassen waren, so dass die Menschen auch einfach bei sich sein und ihrer Trauer Raum geben konnten. Ich hatte das Gefühl, dass wir diese Situation gut fassen und gestalten konnten, soweit man sowas überhaupt fassen kann, in Worte fassen kann, in eine Form fassen kann. Ich denke, in beiden Fällen, in Volkmarsen wie in Hanau, ist die Verarbeitung der Erlebnisse durch Corona massiv behindert worden. Gerade in Hanau weiß ich, dass es da viele Menschen gibt, die von diesen Gewalttaten massiv traumatisiert sind. Die saßen plötzlich alleine zu Hause und konnten kaum mit anderen Menschen über diese Erfahrungen sprechen und das hat die Verarbeitung sicher schwer gemacht.

Fischer:
Frau Dr. Hofmann, in Kurhessen-Waldeck hat es eine solche Kette von Ereignissen noch nicht gegeben. Was hat sie da von außerhalb unserer Landeskirche an Mitgefühl erreicht? Aus der Ökumene, aber auch aus der EKD?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Gerade die Ereignisse in Hanau sind ja weltweit wahrgenommen worden und ich erlebe da einerseits viel Solidarität, aber auch, gerade aus der Ökumene, viel banges Fragen: Seid ihr in Deutschland wieder da, wo ihr 1933 schon mal wart? Was tut ihr denn als Kirche gegen diesen Fremdenhass und gegen diesen Antisemitismus und gegen diese rassistischen Gedanken.

Fischer:
Was haben Sie da geantwortet?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich denke, es ist eine Zeit, in der wir als Kirche ganz klar gefordert sind, Position zu beziehen. Zu sagen, dass rechtes Gedankengut und der christliche Glaube nicht vereinbar sind. Und es ist unsere Aufgabe, mit anderen zusammen die zu schützen und zu stützen und zu begleiten, die von rechter Gewalt bedroht werden. Und dann ist es auch unsere Herausforderung als Kirche mit Menschen, die offen sind für rechtes Gedankengut, ins Gespräch zu kommen. Solche Menschen gibt es auch in unseren eigenen Reihen. Ich sehe das als Chance, hier Gespräche zu suchen und neue Erfahrungen zu ermöglichen, die es möglich machen, eigene Positionen zu überprüfen, Vorurteile fallen zu lassen. Zu entdecken, dass Menschen, die anders aussehen als ich oder anders sprechen oder anders geprägt sind, eben auch Menschen und Brüder und Schwestern sind.

Fischer:
Hätten Sie denn persönlich gedacht, dass hier so etwas passieren könnte?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Naja, das war ich ja durch die NSU-Morde sozusagen schon ein Stück vorbereitet und direkt nach meiner Wahl ist Walter Lübke ermordet worden. Spätestens da war klar, das ist auch in der Region, in der ich jetzt arbeite, ein Thema und da gibt es offensichtlich Netzwerke. Es gibt auch viele Menschen, die sich dagegenstellen, die deutlich protestiert haben, aber es ist auf jeden Fall ein Problem, mit dem wir uns beschäftigen müssen. In manchen Dörfern erleben wir ja auch, dass ganze Dorfgemeinschaften massiv unter Druck gesetzt werden. Deswegen haben wir  auch einen runden Tisch gegen Rechts gegründet, um die, die gegen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus arbeiten, miteinander zu vernetzen und zu unterstützen.

Fischer:
Das waren sicher die schwierigsten Momente seit Ihrem Amtsantritt. Und die glücklichen Momente? Was war besonders schön?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ja, die gibt es auch. Ich habe ja die Idee gehabt, im ersten Jahr in jedem Kirchenkreis einen Tag zu verbringen, um die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck kennenzulernen, Das war trotz Corona in den letzten Wochen auch wieder möglich und es war für mich sehr beglückend, vielen engagierten Menschen zu begegnen, zu sehen, wie die Kirche lebt und zu erleben, was da gelingt. Wie es gelingt Menschen nahe zu sein, Kirche zu gestalten, auch überzeugend in unserem Auftrag zu sein, nah bei Menschen in schwierigen Situationen zu sein, das finde ich immer wieder beglückend. Ich merke auch, dass es für andere eine gute Erfahrung ist, wenn die Bischöfin kommt und sich für ihre Arbeit interessiert.

(Foto: medio.tv/Schauderna)

(Foto: medio.tv/Schauderna)

Fischer:
Jetzt gehört es auch zu Ihrem Programm, die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck fit zu machen für die Zukunft. Wo liegen da Ihre Schwerpunkte?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich verstehe meine Aufgabe so, dass es gilt, in diesen zehn oder elf Jahren, in denen ich voraussichtlich Bischöfin sein werde, Kirche in einem Transformationsprozess zu begleiten. Unsere Gesellschaft ist in einem massiven Veränderungsprozess und wir als Kirche mittendrin, und ich glaube, es ist wichtig in dieser Situation zu überlegen, was es heißt Kirche zu sein, was uns als Kirche ausmacht, was unser Auftrag ist und wie wir den unter den gegenwärtigen Bedingungen möglichst gut wahrnehmen können. Dieses Nachdenken ist durch Corona nochmal massiv vorangetrieben worden, weil ganz vieles nicht mehr möglich war, was wir bisher gemacht haben. Das war ja eine massive Disruption alles Bisherigen und jetzt ist eben die Frage, was wir daraus lernen, wie sich gerade jetzt zeigt, was an Kirche wichtig ist. Wir haben gelernt, Kirche wirkt medial als öffentliche Kirche. Kirche wirkt seelsorgerlich in der Begleitung von Menschen, die in besonderer Trauer, in besonderer Not sind, und Kirche wirkt diakonisch. Das sind für mich wichtige Elemente der Pandemieerfahrung. Ich versuche im Moment mit vielen anderen darüber nachzudenken, welche Bilder von Kirche haben wir, was folgt daraus für unseren Auftrag, was folgt daraus für die Rolle von Pfarrerinnen und Pfarrern und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Ehrenamtliche in der Kirche. Und ich versuche diesen Veränderungsprozess mit zu begleiten, zu steuern, voranzubringen.

Fischer:
Gibt es denn zwei, drei Punkte, wo Sie sagen, da muss sich wirklich etwas ändern, da wünsche ich mir die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck anders?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich glaube, es gibt Punkte, die wir verstärken können. Es ist zum Beispiel die Frage, wie stark wir uns mit anderen vernetzen - in der Zivilgesellschaft, im Sozialraum. Wie verstehen wir uns auch als Kirche im Dorf? Wo können wir mit anderen zusammen Sorgenetze knüpfen, nah bei den Menschen sein, als Kirche präsent und sichtbar sein. Da, glaube ich, ist durchaus noch Entwicklungsmöglichkeit. Das gilt auch für die Kooperation von Kirchengemeinden.  Ein großes Thema ist da die Frage von Gottesdienstgestaltung, das ist ja durch Corona auch massiv vorangetrieben worden. Die Frage ist, ob wir in der Region gemeinsam Gottesdienste gestalten können, wenn man im Moment in vielen kleinen Dorfkirchen eigentlich keinen Gottesdienst mehr halten kann.

Fischer:
Was empfehlen Sie in diesem konkreten Fall?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Es geht darum, miteinander ein klug abgestimmtes Konzept zu entwickeln. Zu fragen, wo sind die Kirchen, die groß genug sind, dass wir im Kirchenraum feiern können. Wo gibt es andere Orte, die uns vielleicht, so wie hier in der Diakonie, wenn wir Gottesdienst feiern zugleich in Kontakt mit anderen Menschen bringen. Wo ist die Gelegenheit, digital Gottesdienst zu feiern und da auch klar zu machen, das muss jetzt nicht jede Gemeinde für sich machen. Wir denken vernetzt im Kooperationsraum, in der Region und überlegen uns, was passt an welchen Ort, in welche Kirche, was passt zu welcher Pfarrerin, zu welchem Pfarrer? Welche Gemeinde ist für welche Art von Gottesdienst besonders aufgeschlossen? Das gut miteinander abgestimmt zu entwickeln, finde ich eine der großen Herausforderungen.

Fischer:
Das heißt dann auch eine Abkehr von der Vision, in jeder Kirche einen sonntäglichen Gottesdienst anzubieten?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Es ist zumindest eine Abkehr von der Vision, in jeder Kirche am Sonntagvormittag, neun, halb zehn, zehn, einen Gottesdienst anzubieten. Ich glaube tatsächlich, dass wir da stärker differenzieren müssen. Unsere Erfahrung in Corona ist ja, dass plötzlich Leute Gottesdienste im Fernsehen oder per Videostream ansehen und uns auch Rückmeldungen geben, die sonst keinen Fuß in einen Sonntagmorgen-Gottesdienst setzen, die aber durchaus Interesse an solchen Fragen haben, über die wir da nachdenken, und die für Gottesdienst auch empfänglich sind, wenn die Musik anders ist, wenn die Zeit anders ist, wenn das leichter in den familiären Ablauf hineinzubringen ist. Und deswegen glaube ich, werden wir über Gottesdienst am Sonntagabend, Gottesdienst am Samstagabend, Gottesdienst in anderer Form, an anderem Ort viel stärker nachdenken müssen.

Fischer:
Erleben Sie bei diesen Fragen eine große Offenheit oder ein Beharrungsvermögen? Hören Sie, dass Menschen sagen, ich möchte gerne, dass alles so bleibt, wie es ist?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Sowohl als auch, das ist eben eine Mischung. Ich erlebe Gemeinden, die sind da ganz stark auf dem Weg, die entwickeln auch tolle Konzepte. Und ich erlebe andere Gemeinden, die tatsächlich sehr stark festhalten an dem, was für sie vertraut und gewohnt ist, weil es ihnen Heimat gibt. Ich habe das in zwei Sätze zusammengefasst, die mir in den letzten Wochen immer begegnet sind. Der eine Satz ist: «Ins Nachbardorf gehen wir ums Verrecken nicht in den Gottesdienst». Und der andere Satz ist: «Hier war ich ja noch nie!». «Hier war ich ja noch nie» ist Ergebnis einer Kirchenkreis Erkundung und eines guten Gottesdienstkonzeptes, bei dem die Leute auch mal in ein anderes Dorf in den Gottesdienst gegangen sind, weil der besonders interessant war mit besonderer Musik, und dann festgestellt haben, «Hier war ich ja noch nie, ist ja auch schön, könnte man ja vielleicht sogar öfter hingehen.».

Fischer:
Werfen wir zum Schluss einen Blick auf zwei Themen, die in der letzten Zeit fast untergegangen sind. Das erste Thema ist das Thema Flüchtlinge. Sind die Flüchtlinge vielleicht der eigentliche Verlierer der Corona-Krise? Und konnte die EKD mit ihrem Schiff da ein Zeichen setzen?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Das ist für mich ein ganz bitteres Thema. Wir haben im Lockdown die ganze Zeit weiter versucht zu erreichen, dass aus den Flüchtlingscamps in Griechenland besonders gefährdete Menschen herausgeholt werden. Es gab ja genügend Städte, es gab auch diakonische Einrichtungen, die sich bereit erklärt haben, Menschen aufzunehmen, aber es ist nicht gelungen mehr als 50 Kinder nach Deutschland zu holen. Das ist, finde ich, ein echtes Armutszeugnis. Ich denke, das Schiff ist ein Weg, das Thema lebendig zu halten, in aller Polarisierung, die dieses Schiff auch hervorgerufen hat. Es zeigt uns eben immer wieder, das Thema Flucht und Migration ist nicht zu Ende, es sterben weiter Menschen auf dem Meer, es kommen weiter Menschen über das Meer. Wie gehen wir als Weltgemeinschaft damit um, dass Menschen da, wo sie aufgewachsen sind,  wo sie zu Hause sind, nicht mehr genügend zu Essen haben, nicht mehr in Sicherheit leben können, dass sie vor den Folgen des Klimawandels flüchten müssen? Diese Frage muss weiter bearbeitet werden. Und da müssen wir als ein reiches Land eben auch überlegen, welchen Beitrag können wir hier geben oder leisten. Wir erleben im Moment, dass die deutsche Politik an manchen Stellen sogar bereit wäre Schritte zu gehen, die aber im europäischen Kontext nicht mitgegangen werden können. Das beharrliche ‚an der Tür klopfen‘ der Kirche - so wie es die hartnäckige Witwe im Gleichnis Jesu tut - macht auch deutlich, wir dürfen das Thema nicht aus den Augen verlieren. Ich selber bin froh, dass bisher wenigstens die Pandemie nicht massiv in die Flüchtlingslager eingebrochen ist. Das war von Anfang an eine meiner größten Sorgen, das wäre ein Albtraum. In der Enge zu leben, nicht weg zu können, eingegittert zu sein und dann auch noch keine gute medizinische Versorgung zu haben.

Fischer:
Das zweite Thema, das während der Corona Pandemie kaum noch bearbeitet wurde, war die Klimakrise. Wir haben die großen Demonstrationen noch erlebt und dann war auf einmal das Virus da. Wie und wo möchte sich die Kirche, wo wollen Sie sich bei der Bewahrung der Schöpfung profilieren?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich glaube, dass wir durch Corona das Thema Klimawandel sehr wohl bearbeitet haben, denn wir haben ganz viel gelernt. Wir haben gelernt, dass wir unsere Konsumgewohnheiten umstellen können. Wir haben gelernt, dass wir nicht für jede Sitzung fahren müssen. Wir haben gelernt, dass auch nicht jedes Jahr Urlaub am anderen Ende der Welt sein muss. Und ich glaube, dass das sehr wichtige Erfahrungen sind für den Umgang mit dem Klimawandel und für den Kampf gegen die Erderwärmung, denn wir wissen ja schon lange, dass unser Verhalten sich ändern muss, wenn wir die Erderwärmung begrenzen wollen.
Corona war tatsächlich eine Übung, wie das gehen kann. Keine freiwillige, keine angenehme, aber hoffentlich eine, die Spuren hinterlässt. Und ich sehe die Aufgabe von Kirche darin, diesen Prozess zu unterstützen, mit gutem Beispiel voran zu gehen und dieses Dauerdilemma - wir wissen eigentlich alle, was dran ist, aber die Umstände sind nicht so - dass genau dieser Spagat einfach immer wieder bearbeitet und bewältigt wird. Ich persönlich hoffe auch, dass beim Thema Ernährung sich etwas verändert, dass Menschen lernen, gesünder zu essen und auch etwas mehr auf Fleisch zu verzichten, weil wir wissen, das ist schädlich für das Klima, es führt zu ungerechten Arbeitsbedingungen - vor allem, wenn das Fleisch so billig sein sol l- und es ist auch nicht gesund, viel Fleisch zu essen.

Fischer:
Welche Akzente kann denn die Kirche setzen?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Wir können beim Thema Mobilität mit gutem Beispiel vorangehen, indem wir wirklich sehr genau überlegen, welche Dienstreise ist nötig, was geht auch digital oder was geht hybrid - dann sind die einen analog da, die anderen werden digital zugeschaltet. Wir können überlegen, was geht mit dem Fahrrad, was geht in Zukunft mit Elektromobilität oder anderen Antriebsarten? Ich hoffe auch, dass wir beim Thema Bauen voran kommen im Blick auf ökologisches Bauen. Und ich hoffe, dass wir beim Thema Ernährung vorwärtskommen, auch in unseren eigenen Kantinen.

Fischer:
Wenn die Kirchen dann noch gut zusammenarbeiten, könnte das ja eine richtige Macht sein. Wo haben Sie denn die Zusammenarbeit mit anderen Kirchen und auch in der Ökumene als besonders spannend und fruchtbar erlebt im letzten Jahr?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich bin hier auf eine eingeübte Kooperation mit der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau gestoßen, die ich an vielen Stellen als sehr produktiv, an anderen ein bisschen holprig erlebe. Ich erlebe eine interessante Verbindung mit der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, wo der Bischofskollege Friedrich Kramer ja auch neu ist. Wir sind miteinander in dieses Amt hineingegangen und haben uns manchmal ausgetauscht, was wir da jetzt so erleben. Wir sind durch Schmalkalden verbunden und haben auch gemeinsame politische Herausforderungen. Durch Hanau und Volkmarsen ist die Verbindung zur katholischen Kirche besonders intensiv geworden. Bischof Gerber und ich waren da in engem Austausch, vor allen Dingen im Blick auf den Gottesdienst in Volkmarsen, aber auch schon in der Frage, wie wir die Menschen in Hanau begleiten können, was da von uns als Kirchen gefordert ist. Jetzt in der Corona Zeit haben wir uns öfter ausgetauscht, wir haben ja auch miteinander Anzeigen geschaltet und versucht, gemeinsam zu zeigen: «Kirche ist da».

Fischer:
Das war etwas Neues …

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ich glaube, dass auch mein Vorgänger ein sehr gutes Verhältnis zu den katholischen Kollegen in Fulda hatte, Aber diese Art des gemeinsamen Auftritts war vielleicht tatsächlich was Neues.

Fischer:
Frau Dr. Hofmann, wir sind fast am Ende, aber zwei private Fragen habe ich noch: Sie leben jetzt seit einem halben Jahr in Nordhessen. Gibt es denn bereits Orte, die Sie besonders verzaubern, die Ihnen viel bedeuten?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Für mich ist der Bergpark in Wilhelmshöhe, vor allen Dingen in der Corona Zeit, ein Zufluchtsort gewesen. Ich bin von zu Hause aus sehr schnell dort und bin im Lockdown jeden Abend da eine halbe Stunde oder Stunde gelaufen und hab viele schöne Ecken entdeckt. Ansonsten lerne ich im Moment sehr viele schöne Kirchen in Kurhessen-Waldeck kennen, die ich zum Teil auch sehr berührend und verzaubernd finde.

Fischer:
Die letzte Frage ist bei uns schon Tradition im Sommerinterview: Wo verbringen Sie in diesem Jahr Ihren Urlaub, wenn Sie uns das verraten?

Bischöfin Dr. Hofmann:
Ja, das verrate ich. Ich fahre dahin, wo ich seit 50 Jahre in den Urlaub fahre, nämlich in den Weinberg einer Großtante in der Südschweiz.

Fischer:
Dann wünschen wir Ihnen gute Erholung, Gottes Segen, eine schöne Zeit und vielen Dank für das Gespräch Frau Dr. Hofmann.

Bischöfin Dr. Hofmann:
Gern geschehen, danke.