Unter dem Motto «Es ist fünf nach zwölf: Zeit zu handeln!» machten am Tag der Pflege Diakonie und Kirche auf die schwierige Situation der Versorgung von Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf aufmerksam. Bischöfin Dr. Beate Hofmann (4.v.r.) besuchte die Gemeinde.Diakonie Station in Bad Hersfeld und sprach mit Mitarbeitenden und Vertreterinnen und Vertretern aus Pflege und Politik. (Foto: medio.tv/Schauderna)

Unter dem Motto «Es ist fünf nach zwölf: Zeit zu handeln!» machten am Tag der Pflege Diakonie und Kirche auf die schwierige Situation der Versorgung von Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf aufmerksam. Bischöfin Dr. Beate Hofmann (4.v.r.) besuchte die Gemeinde.Diakonie Station in Bad Hersfeld und sprach mit Mitarbeitenden und Vertreterinnen und Vertretern aus Pflege und Politik. (Foto: medio.tv/Schauderna)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 09 Mai 2023

Bad Hersfeld. «Es ist 5 nach 12»: Unter diesem Motto machen die Diakonie Hessen sowie die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) zum Tag der Pflege am Freitag, 12. Mai, auf die schwierige Situation der Versorgung von Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf aufmerksam – auch mit Besuchen in diakonischen Pflegeeinrichtungen. 

In der Pandemie sei die Situation der Pflegekräfte kurzzeitig im Fokus der Öffentlichkeit gewesen, skizziert Bischöfin Dr. Beate Hofmann (EKKW) bei ihrem Besuch in der Gemeinde.Diakonie Station Bad Hersfeld: «Pflege wurde beklatscht und in ihrer Bedeutung gelobt. Jetzt wendet sich der öffentliche Diskurs wieder anderen Themen zu. Dabei ist die Situation der Pflege nach Corona noch dramatischer als vorher», stellt sie fest. 

«Pflege ist kein Nischenthema!»

Und kurz vor Ende einer prominent besetzten Runde in der Bad Hersfelder Diakoniestation schreibt die Bischöfin den anwesenden Politikerinnen und Politikern diesen Satz in deren Stammbücher: «Pflege ist kein Nischenthema!». Zuvor hatten dies schon die erfahrenen Pflegekräfte Karin Henning und Anke Bock getan, ebenso wie die Pflegedienstleitungen Christina Scheuren und Ute Schlotzhauer, schildert Pfarrer Frank Nico Jaeger, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis Hersfeld-Rotenburg, seine Eindrücke. Sie alle berichteten aus ihrem bewegenden Alltag, der sie fast täglich an die Frustrationsgrenze bringe. Während der einzelnen Vorträge sei es still im Raum gewesen, zu ergreifend und alarmierend waren die teilweise drastischen Schilderungen aus der Praxis, so Jaeger. 

«Man hat das Gefühl, die mobile Pflege ist aus dem Fokus der Politik geraten.», beschreibt Pfarrer Thomas Funk, Vorstandsvorsitzender des Zweckverbands GemeindDiakonie Hersfeld, die Lage. Und Sonja Driebold fährt fort: «Erst hat man für uns auf den Balkonen geklatscht und dann haben wir eine Klatsche bekommen.» Die Vertreterin der Diakonie Hessen beklagt damit die lasche Abrechnungspraxis mancher Krankenkassen, wenn es um gehaltsbezogene Leistungen für die Pflegenden geht. 

Politik will sich Pflege-Thema genauer zuwenden

Der Titel der Aktion «5 nach Zwölf» mag für manche Ohren apokalyptisch, gar gewagt erscheinen, die Realität draußen an den Betten gebe dem Slogan aber recht. Im Vordergrund stehe nicht mehr der Mensch, sondern die vielfältigen Verwaltungsaufgaben. Das müsse besser werden, so die CDU-Landtagsabgeordnete Lena Arnold und versprach, wie alle anderen Anwesenden auch, sich dem Thema Pflege noch einmal genauer zu zuwenden, berichtet Jaeger weiter aus dem Gespräch. «Wir waren mal anerkannt systemrelevant», sagte der Geschäftsführer der Diakoniestationen Stefan Gunkel in seinem Plädoyer «und das sind wir immer noch.»

Ambulante Pflege, vor allem im ländlichen Raum, gerät aus dem Blick

Während ihres Besuchs verweis die Bischöfin auf den Mangel an Pflegekräften sowie den «massiven Konzentrationsprozess, bei dem viele kleine Träger aufgeben und stationäre Pflege in der Hand großer Konzerne gebündelt wird», heißt es in einer Mitteilung der EKKW-Pressestelle. Ambulante Pflege, vor allem im ländlichen Raum, gerate dabei aus dem Blick; mit ihr lasse sich nicht viel Geld verdienen, so Dr. Hofmann: «Die Fahrzeiten, die nicht ausreichend finanziert werden, sind im ländlichen Raum oft zu lang – und wer will schon viel im Auto sitzen, wenn er eigentlich mit Menschen arbeiten will?»

Diakonie Hessen legt Forderungskatalog vor

Zum Tag der Pflege hat die Diakonie Hessen Vorschläge für eine Verbesserung der Situation in der Pflege vorgelegt. Sie mahnt in ihrem Forderungskatalog vor allem eine grundlegende Finanz- und Strukturreform der Pflege an. So seien etwa eine Neuaufstellung der Pflege-Finanzierung, eine bessere Unterstützung bei Kosten für Infrastruktur oder Hilfen für die Ausbildung bei Pflegeberufen nötig. Hier müssten auch die einzelnen Bundesländer aktiv werden und sich für eine Verbesserung der Situation einsetzen, heißt in ener Mitteilung. Der Forderungskatalog zur Verbesserung der Pflege findet sich im Internetauftritt der Diakonie Hessen.

Die Situation sei für die Träger zunehmend schwierig und für die Mitarbeitenden immer belastender, beobachtet die Bischöfin. «Für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen wird diese Situation zunehmend zum Albtraum.» Vielerorts kämen Menschen, die pflegerisch nicht mehr angemessen versorgt werden können, ins Krankenhaus, wo sie nicht hingehörten und oft auch nicht angemessen gerontopsychiatrisch begleitet werden könnten. Oder Menschen blieben länger im Krankenhaus als es nötig und sinnvoll wäre, weil es keine Anschlussversorgung gibt, listet die Bischöfin auf und ergänzt: «Aus meiner Erfahrung ist das eine Situation, in der Familien sich zunehmend alleingelassen fühlen. Darum braucht es jetzt Perspektiven und Modelle, wie wir in unserem Land Sorgenetze stärken und erhalten.»

Weitere Kirchenleitende besuchten Pflegeeinrichtungen

Neben dem Besuch der Bischöfin in Bad Hersfeld war Oberlandeskirchenrätin Claudia Brinkmann-Weiß (Dezernentin Diakonie und Ökumene der EKKW) bei der Martin Luther Altenhilfe gGmbH in Hanau zu Gast. Auch die stv. Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf (EKHN), Vorstandsvorsitzender Carsten Tag (Diakonie Hessen) und Oberkirchenrat Christian Schwindt (Leiter Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN) besuchten Einrichtungen in Worms, Frankfurt am Main und Hanau.

Zum Hintergrund

Nach Angaben der Pflegestatistik (Hessisches Statistisches Landesamt) waren im Jahr 2019 insgesamt 86.400 Pflegekräfte in Einrichtungen der Altenhilfe beschäftigt. Der größte Teil, 54.832 Personen, arbeitete in stationären Pflegeeinrichtungen. 31.568 Personen waren in ambulanten Pflegediensten beschäftigt. 

Von den ausgebildeten Pflegekräften in ambulanten Pflegediensten stellten Altenpfleger*innen mit 6.971 Personen die größte Gruppe. Darüber hinaus waren 6.149 Gesundheits- und Krankenpfleger*innen beschäftigt. 

Im Kreis Bad Hersfeld-Rotenburg arbeiten rund 390 Altenpfleger*innen in der ambulanten und stationären Altenpflege (Pflegemonitor 2019). Um den Bedarf in der Versorgung auch im Jahr 2035 noch zu decken, geht man derzeit von einem Steigerungsbedarf von 63 Prozent aus. 

Internationaler Tag der Pflege

Der Internationale Tag der Pflege am 12. Mai ist auf den Geburtstag der britischen Krankenschwester Florence Nightingale (geboren am 12. Mai 1820) zurückzuführen. Die Tochter einer wohlhabenden, britischen Familie hat sich schon früh der Pflege kranker Menschen gewidmet und die moderne westliche Krankenpflege begründet. Seit 1967 findet ihr zu Ehren in Deutschland der Tag der Pflege statt. (12.05.2023)

Linktipp:

Weitere Informationen zum Tag der Pflege und einen Forderungskatalog zur Verbesserung der Pflege finden sich im Internet unter:

diakonie-hessen.de/(...)