Organisierte Schlägertrupps setzen 1938 Synagogen in Brand, zerstören jüdische Geschäfte und Wohnungen, töten Menschen. Begonnen hat die Gewalt in Nordhessen und Magdeburg-Anhalt - dort schlägt der Pöbel schon am 7. November 1938 los. Unser Foto zeigt die heutige Kasseler Synagoge. (Foto: medio.tv/Socher)

Organisierte Schlägertrupps setzen 1938 Synagogen in Brand, zerstören jüdische Geschäfte und Wohnungen, töten Menschen. Begonnen hat die Gewalt in Nordhessen und Magdeburg-Anhalt - dort schlägt der Pöbel schon am 7. November 1938 los. Unser Foto zeigt die heutige Kasseler Synagoge. (Foto: medio.tv/Socher)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 08 Nov 2023

Kassel/Darmstadt. Mit den Novemberpogromen vor 85 Jahren gingen die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen die jüdische Minderheit vor. Höhepunkt war die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Zum Jahrestag dieser Ereignisse äußern sich die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), Dr. Beate Hofmann, und der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Dr. Volker Jung, vor dem Hintergrund des Krieges in Nahost. In ihrer gemeinsamen Stellungnahme drücken sie ihre Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland, Israel und weltweit aus und versichern: «Wir stehen an der Seite von Jüdinnen und Juden.», heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der Kirchen.

Es sei «zutiefst verstörend», dass der Angriff auf Israel am 7. Oktober und die Reaktion Israels vielfach zu Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit führte. Die beiden leitenden Geistlichen fordern, dass jede Form von Antisemitismus und Gewalt «mit aller Kraft verhindert oder unnachgiebig bestraft wird.» Zudem drücken sie ihr Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer des Terroraktes aus. Es gelte «ebenso den Palästinenserinnen und Palästinensern und allen Menschen, die im Gaza-Streifen schon lange unter der Herrschaft der Hamas leiden und die jetzt Opfer der von der Hamas ausgelösten Gewalt werden».

Die Stellungnahme im Wortlaut:

«Am 9. November erinnern wir uns an die Reichspogromnacht 1938. Fast überall in Deutschland wurden Jüdinnen und Juden von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern gedemütigt, beraubt, ermordet und ihre Synagogen wurden zerstört. Der 9. November 1938 war Auftakt zur versuchten Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Europa.

Am 7. Oktober 2023 wurden mehr als 1.400 Menschen, vorwiegend jüdische Israelis, von Hamas-Terroristen brutal ermordet. Es ist zutiefst verstörend, dass dieser Angriff auf Israel und die Reaktion Israels vielfach zu Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit führte. Jüdinnen und Juden fühlen sich auch in Deutschland unsicher und bedroht.

Wir solidarisieren uns mit Jüdinnen und Juden in Deutschland, in Israel und auf der ganzen Welt. Wir stehen an der Seite von Jüdinnen und Juden und erwarten, dass jede Form von Antisemitismus und Gewalt mit aller Kraft verhindert oder unnachgiebig bestraft wird.

Unser tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen der in Israel Ermordeten, den an Leib und Seele Verwundeten und den als Geiseln genommenen Menschen und ihren Angehörigen. Unsere Solidarität und unser Mitgefühl gelten ebenso den Palästinenserinnen und Palästinensern und allen Menschen, die im Gaza-Streifen schon lange unter der Herrschaft der Hamas leiden und die jetzt Opfer der von der Hamas ausgelösten Gewalt werden.

In unseren Kirchen und über unsere ökumenischen Kontakte in Israel und Palästina werden wir uns verstärkt dafür einsetzten, das interreligiöse Miteinander zu stärken und Räume für Austausch und Solidarität zu öffnen. Wir ermutigen die evangelischen Kirchengemeinden, für Frieden und Gerechtigkeit im Heiligen Land zu beten und sich für das friedliche Miteinander in Deutschland zu engagieren.

Dr. Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck
Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

8. November 2023»

Das Stichwort: Reichspogromnacht

Mit den Novemberpogromen vor 85 Jahren gingen die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen die jüdische Minderheit vor. Höhepunkt war die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Es brannten unzählige Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden verwüstet und jüdische Bürger misshandelt und getötet. Drei Jahre vor Beginn der systematischen Massendeportationen und nach zahlreichen rechtlichen Diskriminierungen erhielt die Verfolgung der Juden mit den Ausschreitungen einen neuen Charakter.

Als Vorwand für die Übergriffe diente den Nationalsozialisten das Attentat des aus Hannover stammenden 17-jährigen Juden Herschel Feibel Grynszpan auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath am 7. November 1938 in Paris. Propagandaminister Joseph Goebbels nutzte die Gelegenheit, um bei einem Treffen von Parteiführern in München das Signal für die Gewaltaktionen in ganz Deutschland und Österreich zu geben.

In der Öffentlichkeit versuchte die NS-Führung, die Welle der Gewalt als "spontanen Ausbruch des Volkszorns" erscheinen zu lassen. Die Ausschreitungen begannen bereits am 7. November in Nordhessen und dauerten bis zum 13. November.

An den Gewalttaten beteiligten sich vor allem SA- und SS-Männer und Parteimitglieder, vielerorts aber auch Deutsche, die nicht den NS-Organisationen angehörten. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass während und infolge der Gewalt mehr als 1.300 Menschen getötet und mindestens 1.400 Synagogen stark beschädigt oder zerstört wurden.

Das öffentliche Leben der Juden in Deutschland kam nach den Pogromen völlig zum Erliegen. Nach den gewaltsamen Übergriffen begann auch die flächendeckende staatliche Enteignung jüdischen Besitzes. Drei Jahre später, im Jahr 1941, setzten die Deportationen deutscher Juden in die Todeslager ein.

(08.11.2023, ekkw.de/epd)

In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstörten die Nationalsozialisten Einrichtungen und Eigentum jüdischer Bürger. Unser Foto zeigt die zerstörte Synagoge in Eschwege. (Foto: Stadtarchiv Eschwege, Foto: Fotoateliers Tellgmann)

In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstörten die Nationalsozialisten Einrichtungen und Eigentum jüdischer Bürger. Unser Foto zeigt die zerstörte Synagoge in Eschwege. (Foto: Stadtarchiv Eschwege, Foto: Fotoateliers Tellgmann)

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