Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 27 Jan 2017

Kassel/Bagdad (epd/medio). Die im Irak verbliebenen Christen sowie andere religiöse Minderheiten fordern international gesicherte Schutzzonen im Land. Darauf machte am Freitag (27.1.) der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Prof. Dr. Martin Hein, aufmerksam.

Hein hatte vom 20. bis 24. Januar mit einer Delegation des Weltkirchenrates den Irak und Kurdistan besucht. Wenn es so weitergehe wie bisher, werde es in 20 Jahren keine Christen mehr in dem Land geben, warnte Hein in Kassel.

Die Zahl der Christen sei von 1,6 Millionen im Jahr 2003 auf nunmehr nur noch 300.000 gesunken. Hein machte deutlich: «Solange Sicherheit für das eigene Leben nicht gewährleistet ist, wird der Druck anhalten, das Land zu verlassen.» Dies sei für die Führer der verschiedenen alten christlichen Kirchen eine «ganz bittere Perspektive», befänden sich doch einige der bekanntesten biblischen Stätten dort.

Auslöser für die Flucht der Christen aus dem Irak sei die militärische Invasion der Amerikaner im Jahr 2003 gewesen, sagte Hein. Die meisten Muslime hätten die Amerikaner mit dem Christentum verbunden und ihre Wut gegen die seit 1.800 Jahren im Land lebenden Christen gerichtet. «Die US-Invasion war ein Desaster», sagte Hein.

Zwar finde keine organisierte Christenverfolgung statt, doch gebe es ständig Diskriminierungen. Bei der Vertreibung seien vielen Christen ihr Eigentum und ihr Land weggenommen und an Muslime verteilt worden. Eine Chance, dass diese Christen ihr Eigentum zurückbekämen, bestehe laut Hein nicht. Sie seien somit «displaced», heimatlos. Dies sei für den Bischof besonders bei dem Besuch in einem christlichen Camp am Rande von Erbil in Kurdistan deutlich geworden: Menschen, die zuvor in Mossul gelebt hätten, lebten nun dort unter schwierigen klimatischen Bedingungen in Flüchtlingscontainern ohne Aussicht auf Veränderung.

Die Regierung habe zudem im Oktober ein Alkoholverbot erlassen, was insbesondere die orthodoxen Kirchen als Angriff auf die Religionsfreiheit sähen, da sie bei der Feier des Abendmahls traditionell Wein verwendeten. In Kurdistan allerdings sei die Lage der Christen deutlich besser als in anderen Regionen, hier gebe es beispielsweise dieses Verbot nicht.

Die Delegation des Weltkirchenrates, der Hein als Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland angehörte, war außer von Kirchen- und Religionsführern auch von dem Staatspräsidenten, Ministerpräsidenten und Innenminister der Zentralregierung zu Gesprächen empfangen worden. Die Regierung bemühe sich zwar um Stabilität und Versöhnung, doch die Umsetzung sei schwierig, sagte Hein. So gebe es 66 bewaffnete Milizen im Lande, überall seien Checkpoints und bewaffnete Menschen zu sehen. Bagdad habe der Bischof als «geschlossene Stadt» erlebt: «Ich habe in keiner Stadt so viele Mauern erlebt wie in Bagdad», so Hein.

Wie die irakische Zentralregierung die Sicherheit der verbliebenen religiösen Minderheit gewährleisten könne, sei für den Bischof fraglich. Wer keine Sicherheit für sein Leben verspüre, habe keine Perspektive, im Land zu bleiben oder in das Land zurückzukehren, sagte Hein.

Mit dem Islamischen Staat gebe es von keiner Seite Gespräche und Verhandlungen, so Hein weiter. «Der IS muss militärisch bekämpft werden», sagte der Bischof. Den Kämpfern des IS fehle jede «zivilisatorische Attitüde». Auch muslimische Vertreter hätten sich gegenüber der Terrorgruppe deutlich abgegrenzt. Die Mehrzahl der Flüchtlinge vor dem Terror des IS seien schließlich auch Muslime.

Es sei nun Aufgabe anderer Staaten sowie der Kirchen, den verbliebenen Christen unmittelbar vor Ort zu helfen. Dies werde vielerorts auch schon getan. Mit dem Besuch habe den irakischen Christen gezeigt werden sollen, dass sie nicht vergessen seien, sagte Hein. (27.01.2017)

Impressionen von der Besuchsreise

Stationen der Reise vom 20. bis 24. Januar waren die Stadt Bagdad und die Stadt Erbil in der Region Kurdistan. (alle Fotos: privat)

Aktuelle Studie:

Zur Lage der religiösen und ethnischen Minderheiten im Irak und in Syrien hat der Ökumenische Rat der Kirchen eine aktuelle Studie herausgegeben. Das englischsprachige Dokument mit dem Titel «The protection needs of minorities from Syria and Iraq» finden Sie hier:

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