Keine Toleranz gegenüber rechtsradikaler Intoleranz - Bischof Hein zeigte sich in seiner Rede erschrocken darüber, dass dem Treiben der rechtsradikalen Szene in Kassel viel zu lange zugeschaut worden sei. (Foto: medio.tv/Schauderna)

Keine Toleranz gegenüber rechtsradikaler Intoleranz - Bischof Hein zeigte sich in seiner Rede erschrocken darüber, dass dem Treiben der rechtsradikalen Szene in Kassel viel zu lange zugeschaut worden sei. (Foto: medio.tv/Schauderna)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 26 Jun 2019

Kassel (medio/epd). «Wer die Würde des Menschen missachtet, gewaltsam oder mit Worten, stellt sich außerhalb unseres demokratischen Gemeinwesens. Da gibt es kein Wenn und Aber!» Mit diesen Worten setzte der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Prof. Dr. Martin Hein, am Donnerstag (27.6.) ein deutliches Zeichen für ein solidarisches Zusammenleben.

Hein sprach auf einer Kundgebung vor dem Regierungspräsidium in Kassel. Angesichts des Mordes an Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke und der beunruhigenden Geschehnisse der vergangenen Wochen hatte die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck und die Stadt Kassel gemeinsam mit einem breiten Bündnis von Institutionen und Organisationen die Menschen in der Region dazu aufgerufen, sich gemeinsam für Demokratie, Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit einzusetzen. Die Kundgebung, zu der nach Angaben von Stadt und Polizei Kassel rund 10.000 Menschen gekommen waren, stand unter dem Motto «#Zusammen sind wir stark!».

Keine Toleranz gegenüber rechtsradikaler Intoleranz

Bischof Hein zeigte sich in seiner Rede erschrocken darüber, dass dem Treiben der rechtsradikalen Szene in Kassel viel zu lange zugeschaut worden sei. Doch Lübckes gewaltsamer Tod habe die Stadtgesellschaft aufgerüttelt und eine sie in dem gemeinsamen Widerstand gegen rechtsradikale Gewalt: «Wir tun es heute – und es ist nicht zu spät dazu, nun gemeinsam zu handeln! Menschenrechte und Humanität dürfen niemals zur Disposition stehen.»

Es sei für die Zivilgesellschaft unerträglich, dass politisch Verantwortliche in Kommunen und Ländern mit dem Tod bedroht würden. Hein machte deutlich: «Ein Beschwichtigen und Abwiegeln geht nicht mehr! Es schadet unserem solidarischen Zusammenleben!» Umso mehr sei er dankbar, dass viele Menschen heute auch auf dieser Kundgebung ein klares Zeichen setzten: «Mit uns nicht!»

Hein wünschte den Anwesenden «Courage und Entschlossenheit im Kampf gegen menschenverachtende Ideologien» und versprach, «dass sich die Kirchen mit allen demokratischen Kräften verbünden, die sich für unseren Rechtstaat und für unser freiheitliches Gemeinwesen einsetzen! Und das bedeutet: Keine Toleranz gegenüber rechtsradikaler Intoleranz! Das sind wir unserer Stadt, das sind wir Walter Lübcke schuldig!» Seine Rede schloss Hein mit dem flammenden Appell: «Kassel lässt sich nicht einschüchtern! Kassel bleibt wachsam!»

Der katholische Fuldaer Bischof Michael Gerber rief angesichts der Hasstiraden in den sozialen Netzwerken vor und nach dem Tod Lübckes zu einer «Kultur der Wertschätzung» auf. Walter Lübcke sei für eine solche Kultur des aufrichtigen Respekts und der unbedingten Achtung voreinander ein bleibendes Vorbild, sagte er.

Zuvor hatte Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) angesichts der vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern von einem beeindruckenden Signal aus Kassel gesprochen. «Wir sind nicht der braune Sumpf der Nation», erklärte er. Der Mord an Lübcke habe ihn traurig, sprachlos und wütend gemacht.

Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) rief die Anwesenden dazu auf, dem Hass und der rechten Hetze im Netz persönlich entgegenzutreten. «Denn aus Worten können Taten werden», mahnte sie. Walter Lübcke sei mutig für die demokratische Grundordnung eingetreten.

Der Intendant des Kasseler Staatstheaters, Thomas Bockelmann, las aus anonymen Hassmails, die den Tod Walter Lübckes betrafen, Passagen vor. «Das sind Zitate von Menschen, die sich in der Anonymität des Netzes einmal mächtig fühlen wollen.» Es sei sehr wahrscheinlich, dass Walter Lübcke ohne diese rechte Hetze noch leben würde, folgerte er.

Während der Veranstaltung wurde von den Anwesenden unter anderem auch das Lied «Imagine» von John Lennon gemeinsam gesungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Regierungspräsidiums ließen zudem 99 bunte Luftballons zum Gedenken an den in der Nacht zum 2. Juni durch einen Rechtsextremisten ermordeten Lübcke in den Himmel steigen.

In dem Aufruf zur Kundgebung, der von rund 50 Persönlichkeiten aus Kirche, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unterzeichnet wurde, schreiben die Bündnispartner: «Wir sind eine friedliche und an unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung orientierte Region. Wir wenden uns entschieden gegen jeden Versuch, unsere Gesellschaft durch Hetze, Extremismus und Gewalt zu spalten.» Alle seien dazu aufgerufen, Haltung zu zeigen und zusammenzustehen für die Bewahrung unserer Demokratie, für gegenseitigen Respekt, für Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit. «Je mehr kommen, desto stärker ist unser Signal!» (27.06.2019)

Bischof Martin Hein während der Kundgebung vor dem Regierungspräsidium in Kassel. (Foto: medio.tv/Schauderna)

Bischof Martin Hein während der Kundgebung vor dem Regierungspräsidium in Kassel. (Foto: medio.tv/Schauderna)

Wir dokumentieren die Rede von Bischof Hein im Wortlaut:

«Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

dreieinhalb Wochen liegt der Mord an Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke zurück. Immer noch sind wir erschüttert über seinen Tod. Wenige Meter von hier war sein Dienstsitz. Wenn wir heute Nachmittag an diesem Ort zusammenkommen, ist das auch ein Ausdruck unserer Hochachtung, unseres Respekts und unserer Dankbarkeit gegenüber dem mutigen Eintreten von Walter Lübcke für Nächstenliebe und Humanität.

Seit gestern liegt das Geständnis des Täters vor und wir hoffen, dass nun Licht in die Hintergründe dieser furchtbaren Tat kommen wird. Jetzt hebt sich der Nebel und es kommt manches zum Vorschein, was nur wenige von uns mit Bestimmtheit wussten: dass es in Kassel eine rechtsradikale Szene gibt, deren Treiben viel zu lange zugeschaut wurde - sei es in Verkennung der Gefahr, die von ihr ausgeht, sei es aus allmählicher Gewöhnung, sei es, weil inzwischen manche Parolen, für die wir uns noch vor Jahren geschämt hätten, wieder gesellschaftsfähig geworden sind.

Es ist erschreckend, dass nach dem Mord an Halit Yozgat vor dreizehn Jahren in unserer Region erneut ein politisch motivierter Mord stattgefunden hat. Der gewaltsame Tod von Walter Lübcke rüttelt uns als Stadtgesellschaft auf und eint uns, unseren Widerstand gegen alle Formen rechtsradikaler Gewalt zu zeigen. Wir tun es heute – und es ist nicht zu spät dazu, nun gemeinsam zu handeln! Menschenrechte und Humanität dürfen bei uns niemals zur Disposition stehen. Die Würde des Menschen zu schützen, ist unser aller Aufgabe! Wer sie missachtet – sei es gewaltsam oder mit Worten –, stellt sich außerhalb unseres demokratischen Gemeinwesens. Da gibt es kein Wenn und Aber!

Aber wir haben uns auch zu fragen: Tun wir dort, wo wir selbst Verantwortung tragen, genug gegen einen dumpfen Chauvinismus? Stellen wir uns der Verächtlichmachung und Ausgrenzung anderer machtvoll entgegen? Und welche positiven Beispiele bieten wir jungen Menschen, damit sie nicht auf Rassismus und Rechtsradikalismus hereinfallen, sondern sich den Zielen einer freiheitlichen Gesellschaft verpflichtet fühlen? Die jüngsten Erkenntnisse über den Rechtsterrorismus mahnen uns, hier nicht nachzulassen, sondern noch genauer hinzuschauen, noch wachsamer zu sein.

Walter Lübcke – das wird immer deutlicher – musste sein couragiertes Eintreten für Humanität aus christlicher Gesinnung mit dem Leben bezahlen. Rechter Irrsinn und rechte Verblendung gehen inzwischen so weit, dass politisch Verantwortliche in Kommunen und Ländern mit dem Tod bedroht werden. Das ist für uns als Zivilgesellschaft unerträglich! Beschwichtigen und Abwiegeln geht nicht mehr! Es schadet unserem solidarischen Zusammenleben!

Ich bin dankbar, dass heute so viele zu dieser Kundgebung gekommen sind. Wir reihen uns ein in die vielen Veranstaltungen und Demonstrationen, die inzwischen überall in Deutschland stattfinden, um ein klares Zeichen zu setzen: Mit uns nicht!

Im «Hessischen Plädoyer für ein solidarisches Zusammenleben», das in-zwischen viele unterzeichnet haben, heißt es: «Wir treten für eine offene, demokratische und solidarische Gesellschaft ein und wollen den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf der Grundlage von Menschenwürde, Menschenrechten und soziale Gerechtigkeit fördern. Wir treten jeder Form von Demokratiefeindlichkeit, Hass, Hetze, Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus und Erniedrigung entgegen.» Dem ist an Eindeutigkeit nichts hinzuzufügen!

Uns allen wünsche ich Courage und Entschlossenheit im Kampf gegen menschenverachtende Ideologien. Und ich verspreche, dass sich die Kirchen mit allen demokratischen Kräften verbünden, die sich für unseren Rechtstaat und für unser freiheitliches Gemeinwesen einsetzen! Und das bedeutet: Keine Toleranz gegenüber rechtsradikaler Intoleranz! Das sind wir unserer Stadt, das sind wir Walter Lübcke schuldig!

Kassel lässt sich nicht einschüchtern! Kassel bleibt wachsam!»

Prof. Dr. Martin Hein
Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck

(Abbildung: Stadt Kassel)

(Abbildung: Stadt Kassel)

Wir dokumentieren den Aufruf im Wortlaut:

«Zusammen sind wir stark!
Nord- und Osthessen gemeinsam für Demokratie, Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit.

Angesichts des Mordes an Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke und der beunruhigenden Geschehnisse der vergangenen Wochen setzen wir gemeinsam ein deutliches Zeichen.

Mit einem breiten Bündnis ruft die Stadt Kassel alle Menschen in der Region zu einer Kundgebung auf am Donnerstag, 27. Juni 2019, um 17 Uhr, vor dem Regierungspräsidium, Am Alten Stadtschloss 1, Kassel.

Wir sind eine friedliche und an unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung orientierte Region. Wir wenden uns entschieden gegen jeden Versuch, unsere Gesellschaft durch Hetze, Hass, Extremismus und Gewalt zu spalten. Wir rufen alle dazu auf, Haltung zu zeigen und zusammenzustehen für die Bewahrung unserer Demokratie, für gegenseitigen Respekt, für Toleranz, Vielfalt und Weltoffenheit.

Je mehr kommen, desto stärker ist unser Signal!»

Unterzeichner des Aufrufs sind:

Land Hessen, Ministerpräsident Volker Bouffier | Regierungspräsidium Kassel, Regierungsvizepräsident Hermann-Josef Klüber | Stadt Kassel, Oberbürgermeister Christian Geselle | Landkreis Kassel, Landrat Uwe Schmidt | Hessisches Ministerium der Justiz, Staatsministerin Eva Kühne-Hörmann | Stadt Fulda, Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld | Landkreis Fulda, Landrat Bernd Woide | Landkreis Hersfeld-Rotenburg, Landrat Dr. Michael Koch | Schwalm-Eder-Kreis, Landrat Winfried Becker | Landkreis Waldeck-Frankenberg, Landrat Dr. Reinhard Kubat | Werra-Meißner-Kreis, Landrat Stefan Reuß | Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, Bischof Prof. Dr. Martin Hein | Bistum Fulda, Bischof Dr. Michael Gerber | Katholische Kirche Kassel, Katholisches Dekanat Kassel–Hofgeismar, Dechant Harald Fischer | Jüdische Gemeinde Kassel, Vorstand Esther Haß & Ilana Katz | Arbeitskreis Muslimische Gemeinden in Kassel | Deutscher Gewerkschaftsbund Bezirk Hessen-Thüringen, Vorsitzender Michael Rudolph | DGB Nordhessen, Regionsgeschäftsführerin Jenny Huschke | Landeswohlfahrtsverband Hessen, Landesdirektorin Susanne Selbert | Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Präsident Wolfgang Schneiderhan | Der Paritätische Wohlfahrtsverband Landesverband Hessen, Geschäftsführerin Rosa-Maria Hamacher | Staatstheater Kassel, Intendant Thomas Bockelmann | Universität Kassel, Präsident Prof. Dr. Reiner Finkeldey | Sportkreis Region Kassel e.V., Vorsitzender Roland Tölle | Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen, Enis Gülegen | Kasseler Sparkasse, Vorstandsvorsitzender Ingo Buchholz | Volksbank Kassel-Göttingen, Vorstandsvorsitzender Martin Schmitt | Hübner GmbH & Co. KG, Geschäftsführer Helge Förster | K+S Aktiengesellschaft | Wintershall Dea GmbH, Vorstandsvorsitzender Mario Mehren | Volkswagen AG, Werkleiter Olaf Korzinovski | Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik, Institutsleiter Prof. Dr. Clemens Hoffmann | Industrie- und Handelskammer Kassel-Marburg, Präsident Jörg Ludwig Jordan | SMA Solar Technology AG, Vorstandssprecher Dr. Jürgen Reinert | Mercedes-Benz Werk Kassel, Werkleiter Prof. Dr. Frank H. Lehmann | Handwerkskammer Kassel, Präsident Heinrich Gringel | B. Braun Melsungen AG, Vorstandsvorsitzende Anna Maria Braun | Verlag Dierichs GmbH & Co. KG, Geschäftsführer Herbert Siedenbiedel | Extra Tip Werbegesellschft mbH, Geschäftsführerin Petra Goßmann | Kasseler Verkehrs- und Versorgungs-GmbH, Geschäftsführer Dr. Michael Maxelon | Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Kassel mbH | Gesundheit Nordhessen Holding AG, Vorstand Birgit Dilchert | documenta und Museum Fridericianum gGmbH, Generaldirektorin Dr. Sabine Schormann | Kassel Marketing GmbH, Geschäftsführer Andreas Bilo | Wirtschaftsförderung Region Kassel GmbH, Geschäftsführer Kai Lorenz Wittrock | Regionalmanagement Nordhessen GmbH, Geschäftsführung Dr. Astrid Szogs, Manuel Krieg, Ute Schulte

(Quelle: Stadt Kassel)

Download:

Wortlaut der Rede von Bischof Prof. Dr. Martin Hein auf der Kundgebung «#Zusammen sind wir stark!» am 27. Juni 2019 vor dem Regierungspräsidium in Kassel:

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