Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 21 Jun 2011

Kassel (medio). Was denkt der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Prof. Dr. Martin Hein, über den Atomausstieg und mehr Basisdemokratie? Wie sieht er die Rolle der Landeskirche in der EKD und in der Ökumene? Wie entwickelt sich der Reformprozess in der Landeskirche?

In einem Interview mit der landeskirchlichen Medienagentur «medio!» hat Bischof Hein kurz vor seinem Sommerurlaub zu diesen und weiteren aktuellen Fragen Stellung genommen. Das Interview führte medio-Redaktionsleiter Pfarrer Christian Fischer am 15. Juni 2011 in Kassel. (21.06.2011)

Wir dokumentieren das Interview im Wortlaut:

Fischer: Herr Bischof, in Deutschland kann man zurzeit gravierende Veränderungen in der Politik beobachten. Beispiel: Atomausstieg. Noch im letzten Oktober verkündete die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke und jetzt folgte binnen Jahresfrist die Kehrtwende zum Atomausstieg. Was halten Sie denn von diesem Wendemanöver?

Bischof Hein: Man hätte sich diese ganzen Verrenkungen ersparen können, wäre man bei dem Ausstiegskonsens geblieben, den damals die rot-grüne Bundesregierung mit den Atomkraftwerksbetreibern geschlossen hatte. Das war klar formuliert und im Konsens erreicht worden. Es bestand überhaupt kein Grund, die Laufzeiten zu verlängern. Dann kam Fukushima und da musste das Ganze zurückgefahren werden. Jetzt gibt es einen Atomausstieg ohne Konsens mit deutlichem Widerstand der Energieunternehmen. Das hätte sich die Bundesregierung ersparen können. Ein klassischer politischer Fehler.

Fischer: Und wie bewerten Sie die Wendefähigkeit der Bundesregierung?

Bischof Hein: Angesichts der psychologischen Folgen des Unglücks in Fukushima bei uns bleibt einer Regierung, die überhaupt noch wiedergewählt werden will, gar nichts anderes übrig.

Fischer: Nun spricht die Bundesregierung von einer nationalen Gemeinschaftsaufgabe, die sich mit dem Atomausstieg stelle. Gemeinschaftsaufgabe - das hört sich so an, als ob dazu alle etwas beitragen sollen. Was kann die Kirche zu dieser Aufgabe beitragen?

Bischof Hein: Mir ist es wichtig, dass wir den eingeschlagenen Kurs, der sich jetzt abzeichnet, als Kirche deutlich unterstützen. Die Vertreter beider großen Kirchen waren bereits in der Ethikkommission für die Frage des Atomausstiegs beteiligt. Und es hat nicht zuletzt auch dank kirchlicher Stellungnahmen und Gutachten, die wir etwa mit der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg durchgeführt haben, längst Prognosen gegeben, dass ein solcher Ausstieg bis zum Jahr 2017 möglich wäre. Das ist noch vor einem Jahr von der Bundesregierung rundweg bestritten worden. Inzwischen ist deutlich, dass nicht nur die längerfristige Ausstiegsklausel, die man jetzt hat, sondern auch eine kürzere durchaus umsetzbar wäre.

Fischer: Wenden wir uns der Frage zu, wie die Kirche einen solchen Ausstieg unterstützen kann. Konkret: Wenn demnächst Stromtrassen durch nordhessische Gemeinden gebaut werden, wie wird sich dann die Evangelische Kirche verhalten?

Bischof Hein: Es darf nicht nach dem St. Floriansprinzip verfahren werden, also nach dem Motto: Wir wollen alle Strom haben, aber wir wollen unberührt bleiben von den Eingriffen in die Natur, die damit verbunden sind. Im konkreten Fall muss man sich dann entscheiden, und wir als Kirche wollen hier moderieren. Der Gedanke, dass wir alles zum Nulltarif bekommen, ohne dass es bestimmte Folgen hat, ist ein Irrglaube. Und da kann die Kirche ihrerseits zur Versachlichung der Diskussion beitragen. Wir sind alle für Sonnen- und Windenergie. Aber sobald solche Anlagen in unmittelbarer Nähe errichtet werden sollen, regt sich der Widerstand. Das halte ich für eine völlig falsche Wahrnehmung und einen falschen Zugang zu unserer Wirklichkeit.

 

medio-Interview:

Lesen Sie hier das Interview im Wortlaut: