Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 05 Nov 2008

Kassel (medio). Der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Prof. Dr. Martin Hein, hat die Bedeutung der Gewissensfreiheit und Verantwortung von Abgeordneten unterstrichen. In einem Beitrag für die «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (5. November) verweist Hein auf den Artikel 9 der Hessischen Landesverfassung «Glauben, Gewissen und Überzeugung sind frei.» Dies gelte auch für Abgeordnete des Hessischen Landtags. Sich auf die Freiheit des Gewissens zu berufen, bedürfe deshalb keiner Begründung. Es handele sich um ein Grundrecht. Andererseits gehe die parlamentarische Wirklichkeit von Fraktionen aus, die im Normalfall die Verlässlichkeit des politischen Handelns garantierten.

Fraktionsdisziplin und Gewissensfreiheit in Konkurrenz

Allerdings könne es Situationen geben, in denen Fraktionsdisziplin und Gewissensfreiheit miteinander konkurrierten. Darauf hätten sich die vier hessischen Landtagsabgeordneten berufen mit ihrer Weigerung, Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen. Die Frage nach der Berufung auf das Gewissen werde nunmehr kontrovers diskutiert. Diene sie nur dazu, anders gelagerte Interessen mit dem Rückgriff auf ein hehres Grundrecht zu überhöhen? Werde das Gewissen gar missbraucht?

Gewissensentscheidung: nur nach ernsthafter Prüfung – Entscheidungen folgen meist Abwägen von Sachverhalten

Hein unterstrich, dass Gewissensentscheidungen nur nach ernsthafter, also gewissenhafter Prüfung getroffen werden könnten. Die meisten Entscheidungen seien keine Gewissensentscheidungen, sondern entspringen dem vernünftigen Abwägen eines Sachverhalts. «Doch in Ausnahmefällen ist mehr gefragt als die Logik der Vernunft. Wann dies der Fall ist, kann nur der Einzelne für sich beurteilen. «Gewissensentscheidungen haben etwas in sich Abgeschlossenes. Wir können sie kaum kommunizieren. Sie werden meist heftig befehdet. Und darum machen sie sehr einsam!» betonte der Bischof

Mit Luther kam die Gewissensentscheidung in die politische Welt

Hein verwies darauf, dass sich die evangelische Kirche nicht zuletzt einer solchen Gewissensentscheidung verdanke. «Es hat sich ihr tief eingeprägt, was Luther am Ende seiner Verteidigungsrede auf dem Wormser Reichstag 1521 sagte: 'Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!' Damit trat die Gewissensentscheidung eines Einzelnen in die politische Welt», betonte Hein.

Gewissensbildung setzt Gewissensbindung voraus

Hein unterstrich,  dass Gewissensbildung nach evangelischem Verständnis stets Gewissensbindung voraussetze. Aus dieser Bindung an Gottes Wort erwachse eine unerhörte Freiheit. «Niemand vermag zu beurteilen, woran jene vier Abgeordneten ihr Gewissen orientieren. Sie haben es sich nach eigenem Bekunden nicht leicht gemacht. Wenn sie sich auf die Freiheit ihrer Gewissensentscheidung berufen, ist dies zu respektieren.» Damit ende  das politische Geschäft nicht. Es sei zu fragen, wie andere Abgeordnete mit der Entscheidung  umgingen, wenn auch sie für sich in Anspruch nehmen, eine gewissenhafte Entscheidung getroffen zu haben.

Gewissen muss die politische Verantwortung von Anfang an bestimmen

Gewissen dürfe deshalb nicht erst am Ende zum Ausdruck kommen, sondern müsse die politische Verantwortung von Anfang an bestimmen! Und das gelingt nur, wo eine offene und konstruktive Atmosphäre die Meinungen Andersdenkender respektiert und in das weitere gemeinsame Handeln zu integrieren sucht. Wenn das nicht gelinge und es um eine Entscheidung mit sehr weitreichenden Folgen gehe, ist auch von einer Mehrheit anzuerkennen, dass die verbürgte Freiheit des Gewissens Einzelne zu abweichenden Positionen führen kann.

«Die vier hessischen Abgeordneten haben sich einer Freiheit bedient, die ihnen zusteht. Wie es nun weitergeht, ist keine Frage des Gewissens mehr, sondern eine der politischen Verantwortung aller Beteiligten», erklärte Hein abschließend. (05.11.2008)

Im Wortlaut:

Lesen Sie hier den Artikel von Bischof Hein im Wortlaut:

Artikel lesen...