Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 07 Nov 2008

Berlin/Bremen (epd). Zum 70. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 hat der Bundestag am Dienstag (4.11.) die im Vorfeld heftig umstrittene Erklärung gegen Antisemitismus verabschiedet. Darin verpflichtet sich das Parlament, jeder Form des Judenhasses und des Antisemitismus schon im Entstehen entschlossen zu begegnen. «Wir sind glücklich darüber, wieder jüdisches Leben und jüdische Kultur in Deutschland zu haben», heißt es in der Erklärung. Weil sich die Union geweigert hatte, einen gemeinsamen Antrag mit der Linksfraktion zu beschließen, hatte die Linke einen eigenen, aber wortgleichen Antrag eingebracht. Beiden Anträgen, über die gemeinsam abgestimmt wurde, stimmten alle Fraktionen mit großer Mehrheit zu.

In der Debatte wiesen Redner aller Fraktionen auf den aktuellen Antisemitismus hin, der in allen gesellschaftlichen Schichten weiterhin zu finden sei. Antisemitismus sei leider kein abgeschlossenes Kapitel der deutschen Geschichte, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU). Sich mit dem neuen Antisemitismus auseinanderzusetzen, sei eine der wichtigsten Aufgaben des Bundestags, so Christian Ahrendt (FDP). Petra Pau von der Linksfraktion wies darauf hin, dass ein Viertel der Bevölkerung latent antisemitisch eingestellt sei.

Der Parteienstreit über den Antrag nahm in der Debatte breiten Raum ein. Uhl verteidigte die ablehnende Haltung der Union gegenüber der Linken: «Die Linke spielt bisweilen auf der Schalmei der überzogenen Israel-Kritik.» Die anderen Fraktionen warfen CDU und CSU hingegen «kleinliches Parteiengezänk» vor, wie Ahrendt sagte. Die SPD-Rechtsextremismus-Expertin Gabriele Fograscher sprach von einer unwürdigen  Haltung der Union. Pau sagte, von einem starken Signal des Bundestags könne keine Rede mehr sein.

In dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, ein Expertengremium aus Wissenschaftlern und Praktikern zu beauftragen, einen regelmäßigen Bericht über Antisemitismus in Deutschland vorzulegen und Vorschläge für Gegenprogramme zu entwickeln. Ursprünglich war die Einsetzung eines Antisemitismus-Beauftragten geplant, was die Union aber ablehnte. Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte dagegen Bedenken vorgebracht. Zudem soll im ersten Vierteljahr 2009 über eine dauerhafte Finanzierung erfolgreicher Programme gegen Antisemitismus entschieden werden. Im  Bildungssektor sollen die Lehrpläne in Schulen um Themen zum jüdischen Leben, zur jüdischen Geschichte und zum heutigen Israel erweitert werden.

Evangelische Kirche erleichtert über Einigung des Bundestages

Die evangelische Kirche zeigte sich erleichtert über die Einigung des Bundestages auf einen gemeinsamen Beschluss. «Dass das deutsche Parlament sich zu dieser Aufgabe bekennt, ist eine gute Botschaft», sagte der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beim Bundestag, Prälat Stephan Reimers, dem epd am Rande der EKD-Synode in Bremen. Es gebe nach wie vor Vorbehalte gegen die Linke bei den anderen Fraktionen des Bundestages. «Da muss man froh sein, dass in dieser wichtigen Sache Einigkeit hergestellt wurde», sagte Reimers. Der Bevollmächtigte zeigte sich für das geplante Expertengremium aufgeschlossen. Es biete die Chance, immer wieder neue Weg zu finden, damit das Thema in der Öffentlichkeit bleibe.

Der Verabschiedung des Antrags war ein wochenlanger Streit zwischen der Union und den übrigen Fraktionen vorausgegangen. Nachdem zunächst Vertreter aller Fraktionen einen Text abgesprochen hatten, verweigerten es CDU/CSUInnenpolitiker der Linksfraktion, sich an dem Antrag zu beteiligen. Zudem bestand die Union auf eine Textpassage zum Umgang der DDR mit Juden und mit Israel, die von den anderen Fraktionen als historisch falsch eingestuft wurde. Daraufhin wurde der Text des Antrags neu erarbeitet.

Von Januar bis September dieses Jahres kam es in Deutschland zu fast 800 antisemitischen Straftaten. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion hervor, wie der Berliner «Tagesspiegel» (Mittwochausgabe) berichtet. 27 Personen wurden bei antijüdischen Angriffen verletzt. Die antisemitischen Delikte ordnet die Polizei der rechtsextremen Kriminalität zu. (07.11.2008)