In den Caldener Werkstätten der Baunataler Diakonie Kassel hauchen Mitarbeitende alten Stühlen neues Leben ein. Unser Foto zeigt Julian Blumenstein bei der Arbeit. Im Hintergrund ist Thomas Backhaus beim Flechten zu sehen. (Foto: medio.tv/Schauderna)

In den Caldener Werkstätten der Baunataler Diakonie Kassel hauchen Mitarbeitende alten Stühlen neues Leben ein. Unser Foto zeigt Julian Blumenstein bei der Arbeit. Im Hintergrund ist Thomas Backhaus beim Flechten zu sehen. (Foto: medio.tv/Schauderna)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 27 Sep 2023

Die Baunataler Diakonie Kassel (bdks) bietet vielfältige Arbeits- und Qualifizierungsangebote für Menschen mit Behinderung. Dazu gehört das Stuhlflechten in den Caldener Werkstätten, bei dem Stühlen mit Peddigrohr, das auch als Rattan oder Binse bekannt ist, in Handarbeit ein neues Leben geschenkt wird. Unser Redakteur Olaf Dellit war vor Ort.

Calden. Sorgfältig schiebt Julian Blumenstein das Peddigrohr nach unten durch die querlaufende Faser, dann nach oben und wieder nach unten. Der Rohrabschnitt hat genau die richtige Länge für die Sitzfläche, an der der 29-Jährige gerade arbeitet. Rund um die Fläche stecken kleine Keile in den Bohrlöchern und fixieren die Fasern. Bevor Peddigrohr verarbeitet wird, muss es in Wasser eingeweicht werden, damit es flexibel wird. Kein Wunder, dass alles passt: Blumenstein ist bereits seit elf Jahren in der Stuhlflechterei der Caldener Werkstätten beschäftigt und hat den Dreh raus. In den Werkstätten arbeiten Menschen, die kognitive und oft auch körperliche Einschränkungen haben. 

Das Flechten ist eine anspruchsvolle Arbeit. Ausdauer und hohe Frustrationstoleranz seien wichtig, erläutert Johannes Dilchert, Gruppenverantwortlicher für den Arbeitsbereich Stuhlflechten. Das Paradebeispiel für diese Qualitäten steht in der Werkstatt auf einem Tisch: eine elegante Sitzbank, möglicherweise Jugendstil, deren Sitzfläche und Seitenlehnen aus Korbgeflecht besteht, das zudem auch noch an manchen Stellen gewölbt ist. Während für einen durchschnittlichen Stuhl drei Arbeitstage veranschlagt werden, war Julian Blumenstein sechs Wochen mit dem besonderen Möbelstück beschäftigt. Schon beim Anschauen ahnt man, dass das kompliziert war. In diesem Fall wurde eine besondere Baumwollfaser mit Kunststoffverstärkung verwendet, denn das Material durfte auf keinen Fall reißen und die Sitzfläche ist deutlich größer als bei einem Stuhl.

Manchmal sei Blumenstein kurz davor gewesen, das Korbsofa aus dem Fenster zu werfen, scherzt sein Arbeitskollege Thomas Backhaus. Das passierte nicht, aber eine Geduldsprobe war es zweifellos. Wenn er wirklich mal nicht weiterkomme, nehme er einen einfachen Stuhl und arbeite dort erstmal weiter, erzählt Julian Blumenstein. Auf das Prunkstück ist er stolz, sagt aber auch: «Ich war auch froh, als es fertig war.» Einfach war es auch deswegen nicht, weil es für so ein ungewöhnliches Möbelstück keine Anleitung gibt. «Es weiß keiner, wie die das damals geflochten haben», sagt Backhaus. Aber es klappte auch ohne Anleitung, mit viel Geduld und Können. Gruppenverantwortlicher Dilcher sagt, dass dieses Möbelstück vor allem einen großen Lerneffekt gebracht habe. Um den Verdienst gehe es in diesem Fall eher nicht: «Das lässt sich in Arbeitslohn gar nicht bezahlen.» 

«Wir haben unzählige zufriedene Kunden», berichtet Dilchert. Es gibt nicht viele Anbieter für das alte Flechthandwerk. Viele würden über das Internet auf sie aufmerksam und meldeten sich dann in Calden, Kunden kämen natürlich aus der Region, aber auch aus Mittel- und Südhessen und aus dem Norden Deutschlands. Der Preis für die Reparatur einer Sitzfläche wird anhand der Bohrlöcher an einer Stuhlseite berechnet. Dilchert rechnet es an einem Beispielstuhl vor, für dieses gängige Modell müsse man etwa 80 Euro für die Sitzfläche veranschlagen. In seinem Team arbeiten sechs Beschäftigte, hinzu kommen immer mal Praktikanten und andere, die hineinschnuppern wollen. Wenn jemand dauerhaft in die Stuhlflechterei einsteigen möchte, bekommt er bei einem Praktikum eine Einweisung und übt einige Zeit, bevor die Entscheidung fällt. 

Julian Blumenstein, das merkt man im Gespräch mit ihm, hat die Aufgabe gefunden, die zu ihm passt. «Am Anfang war es schon anstrengend», erzählt er, während er mit einem Spezialkamm die Fasern in die richtige Form schiebt. Doch in den elf Jahren hat er viel Erfahrung gesammelt. Die Ausdauer, von der der Dilchert sprach, hat er allemal. Man sieht es, wenn man sich noch einmal die geschwungene Korb-Sitzbank ansieht, den Stolz der Abteilung.

Die Caldener Werkstätten gehören zur Baunataler Diakonie Kassel (bdks). 160 Beschäftigte mit Behinderung arbeiten dort, weitere wichtige Arbeitsbereiche sind die Wäscherei, Verpackungen und das Recycling von Elektrogeräten. Gearbeitet werde meist von 8 bis 15 Uhr, erläutert Claudia Lieberknecht (Pressearbeit der bdks) mit einigen Pausen. Zudem gebe es spezielle Angebote für die Beschäftigten während der Arbeitszeit, etwa Physio- und Ergotherapie und auch Freizeitaktivitäten. Die Menschen, die in den bdks-Werkstätten arbeiten, haben in der Regel am ersten Arbeitsmarkt wenig Chancen. Insgesamt arbeiten 3.000 Menschen mit und ohne Behinderung bei der bdks. (29.09.2023)

Johannes Dilchert

Caldener Werkstätten

Breslauer Straße 15
34379 Calden

Linktipp:

Weitere Informationen zur Stuhlflechterei in den Caldener Werkstätten und zur Baunataler Diakonie Kassel unter:

bdks.de/(...)