Bischöfin Beate Hofmann (2.v.l.) im Gespräch mit Sylvia Kuznia (3.v.l.), Leiterin der Kasseler Seniorenwohnanlage am Lindenberg, Pfarrerin Birgit Inerle (4.v.l.) und Senioren und Seniorinnen im Ethikcafé (Foto: medio.tv/Kothe)

Bischöfin Beate Hofmann (2.v.l.) im Gespräch mit Sylvia Kuznia (3.v.l.), Leiterin der Kasseler Seniorenwohnanlage am Lindenberg, Pfarrerin Birgit Inerle (4.v.l.) und Senioren und Seniorinnen im Ethikcafé (Foto: medio.tv/Kothe)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 04 Nov 2021

Die Corona-Pandemie hat den Alltag in Altenpflegeeinrichtungen verändert. Die verschärften Schutzmaßnahmen seit März vergangenen Jahres haben das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner auf den Kopf gestellt. Vor allem der Rückzug in die Einsamkeit wog für sie schwer. Um Ansteckungen zu verhindern, wurden sie von der Außenwelt abgeschottet, Besuche verboten, Veranstaltungen abgesagt. In der Seniorenwohnanlage Lindenberg lädt Seelsorgerin Birgit Inerle alle drei Monate zu einem Ethikcafé ein. Redakteurin Helga Kristina Kothe war bei der letzten Einladung zum Austausch mit dabei.

Allmählich kehrt wieder Normalität ein – auch in der Seniorenwohnanlage Lindenberg in Kassel. Bereits zum dritten Mal waren jetzt Bewohnerinnen und Bewohner, Mitarbeitende und Angehörige der Einladung von Birgit Inerle zum Austausch gefolgt. Und um diesen geht es, zu gesellschaftlich relevanten Themen, die besonders die Alten und Betagten berühren, wie die Einsamkeit in der Pandemie und was die Impfungen für sie verändern.

Diesmal stand die Frage im Mittelpunkt: Geht die Gesundheit immer vor? «Das  Thema habe ich gewählt, weil es zum einen zu den Umständen der  Pandemie passt und zum anderen stets ein Thema in einer Altenpflegeeinrichtung und zugleich in unserer Gesellschaft ist», sagt Birgit Inerle. Die Frage, ob die Gesundheit über allem steht, ist eine zentrale Frage der Coronakrise, die immer wieder gestellt wird und gestellt werden muss – nicht nur in Altenheimen.
 
Konkret gefragt: Rechtfertigt der Infektionsschutz monatelange strikte Coronaregeln bis hin zur Isolation? Der Dialog zeigt: Sie sind akzeptiert. Obgleich es nicht leicht war und immer noch Last ist, gelte es, sie einzuhalten, eigene Bedürfnisse zurückzustellen – um sich und andere zu schützen. «Die Gesundheit aller war mir wichtig», sagte eine Angehörige. Und von jenen, die den Krieg miterlebt hatten, war zu hören: «Dann werden wir das auch noch schaffen.» Dennoch war Verunsicherung spürbar, weil eben noch kein Ende der Pandemie abzusehen ist. 

Diesen Gedanken und Gefühlen möchte Pfarrerin Birgit Inerle, die das Ethikcafé moderiert, Raum geben. Sie ist eine von zwölf Seelsorgenden im Gebiet der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), die als geschulte Ethiklotsinnen und -lotsen in Altenpflegeeinrichtungen das Gespräch mit Heimleitungen, Angestellten, Bewohnern und Angehörigen suchen. 

Das Projekt hat die kurhessische Bischöfin Dr. Beate Hofmann vor einem Jahr angestoßen – mit dem Ziel, angesichts des ethischen Dilemmas zwischen dem Wunsch der Bewohnerinnen und Bewohner nach Kontakt und dem Wunsch der Heimleitungen, das Coronavirus durch Besuchseinschränkungen fernzuhalten, ethische Verständigungsprozesse zu moderieren und niemanden mit diesem Dilemma allein zu lassen.

Bischöfin Beate Hofmann (mitte) mit Pfarerin Birgit Inerle (links), die das Ethikcafè in der Seniorenwohnanlage am Lindenberg in Kassel betreibt und Pfarrerin Kerstin Ries-Beuthert (rechts) im Sophienheim in Bad Arolsen betreibt (Foto: medio.tv/Kothe)

Bischöfin Beate Hofmann (mitte) mit Pfarerin Birgit Inerle (links), die das Ethikcafè in der Seniorenwohnanlage am Lindenberg in Kassel betreibt und Pfarrerin Kerstin Ries-Beuthert (rechts) im Sophienheim in Bad Arolsen betreibt (Foto: medio.tv/Kothe)

Das Ethikcafé ist ein Weg mit den Menschen in Kontakt zu kommen und zu hören, was sie bewegt. Sylvia Kuznia, Leiterin der Kasseler Seniorenwohnanlage, unterstützt das gerne nach den nervenaufreibenden und von viel Bürokratie geprägten Monaten: «Für uns bedeutet das, raus dem Alltagstrott. Wir können miteinander reden und haben Zeit.» Auch der Teamgeist und die Gesprächskultur im Haus profitierten. Zudem sei es ihr ein Anliegen, andere Sichtweisen zu ethischen Fragen, die sich nicht nur in der Pandemie stellen, kennenzulernen. 

Birgit Inerle empfindet den Austausch als bereichernd und wertvoll – das eint sie mit den Gästen des Ethikcafés. Unter ihnen war Bischöfin Hofmann, die sagt: «Ethikcafés geben den beteiligten Bewohnerinnen und Bewohnern, Pflegekräften, Angehörigen, Leitung und Seelsorge einen Raum, in dem sie schwierige Erfahrungen aus der Pandemiezeit, aber auch aus dem Pflegealltag insgesamt zur Sprache bringen können.»

Es sei wichtig, dass die Beteiligten das, was sie umtreibe, zur Sprache bringen und sich von der Seele reden könnten: «Dabei gibt es keine ‚richtigen‘ oder ‚falschen‘ Erfahrungen, sondern vielfältige Perspektiven. Im Einander-Zuhören wird die eigene Erfahrung ergänzt, erweitert, kontrastiert. So lernt die ganze Einrichtung für ein ‚nächstes Mal‘.» Wichtig sei für sie gewesen, am Lindenberg zu erleben, wie bereitwillig alle ihre Erfahrungen teilen und wie sehr sie das als Entlastung und Bereicherung empfinden: «Genau dafür ist es gedacht!»

Das nächste Mal lädt Pfarrerin Birgit Inerle im Januar in das Ethikcafé in die Seniorenwohnanlage am Lindenberg ein. Das Thema wird sein: «Ernährung am Lebensende – Dilemma zwischen Fürsorge und Autonomie». (02.11.2021)