Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 16 Feb 2018

Landeskirchenrätin Claudia Brinkmann-Weiß stellte sich den Fragen von Pfarrer Christian Fischer, Leiter des Medienhauses der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, am 5.2.2018 in Kassel.

Fischer: Frau Brinkmann-Weiß, Sie stehen jetzt an der Spitze eines Dezernates, das zwei Aufgaben umfasst: Diakonie und Ökumene. Wie passen diese beiden Aufgaben zusammen?

Brinkmann-Weiß: Das Dezernat ist ja wegen der Dezernat-Strukturreformen in der Kirchenleitung aus  diesen zwei Aufgabenbereichen zusammengesetzt worden. Von daher ist es jetzt natürlich nur begrenzt eine Liebesheirat, sondern auch dem Zwang geschuldet. Aber ich finde, dass Diakonie und Ökumene inhaltlich gut zusammenpassen. Früher hat man etwas altmodisch von innerer und äußerer Mission gesprochen. Also, die innere Mission die Diakonie und die äußere Mission eben die Ökumene. Da hatte man ja schon ein Gespür dafür, dass diese beiden Bereiche zusammenhängen, weil es jeweils darum geht, wie wir unserem Nächsten begegnen. Unserem nahen Nächsten vor der Tür und unserem fernen Nächsten in der weltweiten Ökumene. Und wie wir in beiden Bereichen für Gerechtigkeit und Frieden und eine Teilhabe sorgen können. Von daher finde ich, dass die beiden Bereiche durchaus auch viele inhaltliche Berührungen haben. Und ich hoffe, dass es mir im Laufe der Zeit gelingt, auch diese inhaltliche Verbindung zu stärken.

Fischer: Von welcher Haltung sollte die Begegnung mit den Nächsten geprägt sein?

Brinkmann-Weiß: Von der jesuanischen Haltung der Nächstenliebe. So wie in der Antwort Jesu auf die Frage, wer ist denn mein Nächster? Eben der, der mich in der jeweiligen Situation gerade braucht. In welcher Weise auch immer. Und so, denke ich, sollten wir unseren Mitmenschen begegnen.

Fischer: In Ihrer Predigt zum Antritt sagten Sie: «Wir müssen genau hinsehen, was die Menschen bewegt, was falsch ist in unserer Welt, in unserer Kirche und in unserem Land.» Konkret gefragt: Was ist falsch in der Welt und in unserer Kirche?

Brinkmann-Weiß: Hinsehen, was die Menschen bewegt, finde ich ganz wichtig. Dass wir mit unserer Arbeit auch wirklich da ansetzen, wo Bedarf ist und nicht irgendetwas veranstalten, was kein Mensch braucht und wonach kein Mensch fragt.

Fischer: ... und was läuft falsch?

Brinkmann-Weiß: Ja, was ist falsch in unserer Welt? Vieles, würde ich sagen. Also, wenn wir zum Beispiel auf die Kriegsherde in unserer Welt schauen und was da geschieht. Ich hatte gerade in Suhl völlig zufällig ein Gespräch nach dem Gottesdienst mit einem jungen Soldaten, der von einem Afghanistan-Einsatz nach Hause gekommen ist, vor einer Woche. Er war völlig traumatisiert, hat von grauenvollen Einsätzen erzählt und da ist mir nochmal deutlich geworden, wie wenig wir auch medial von den vergessenen Kriegen erfahren, in Afghanistan, in Syrien, im Jemen, im Irak.

Fischer: Und was läuft falsch in unserer Kirche?

Brinkmann-Weiß: Was läuft falsch in unserer Kirche, das ist natürlich jetzt eine harte Frage. Also, ich glaube, in unserer Kirche muss sehr stark darauf geachtet werden, wie die Botschaft in unserem Handeln zum Tragen kommt. Bringen wir wirklich die Christusbotschaft rüber oder sind wir mehr mit uns selbst beschäftigt? Ich habe schon das Gefühl, dass die Menschen nach uns fragen, dass sie Sinn und auch eine Richtschnur für ihr Leben suchen und ich denke, wir haben ein wunderbares Angebot als Kirche. Immer wieder zu fragen, wie kommt das zu den Menschen, wie machen wir das heute sprachfähig und plausibel, das muss ein Anliegen sein. Und da können wir immer noch besser werden. Auf jeden Fall!

Fischer: Haben Sie einen konkreten Vorschlag, eine Idee, was sich verändern sollte?

Brinkmann-Weiß: Ich glaube, das geht nur wirklich im Dialog mit den Menschen und in einer großen Hörbereitschaft und Offenheit und auch in der Weise, dass wir Neues ausprobieren und schauen, wie ist jeweils die Resonanz in der Gesellschaft.

Fischer: Werfen wir einen Blick auf die Diakonie. Wo sehen Sie hier die größten Herausforderungen?

Brinkmann-Weiß: Die Diakonie ist ja in zwei unterschiedliche Organisationsformen aufgeteilt. Zuständig bin ich primär für den Bereich der Diakonie innerhalb der verfassten Kirche. Also für die regionalen Diakonischen Werke, die Gemeinde-Diakonie-Stationen, die Hospizvereine usw.

Fischer: Das sind ja mit Pflege und Beratung zwei sehr prominente Themengebiete.

Brinkmann-Weiß: Ja, in der Tat. Neben dieser verfasst kirchlichen Diakonie gibt es ja auch noch die Diakonie Hessen, die vereinsmäßig strukturiert ist und die beide Kirchen finanzieren. Da bin ich Mitglied im Aufsichtsrat. Also, ich glaube, in beiden Bereichen ist viel zu tun. Was die verfasst kirchlichen Bereiche anbelangt, geht es natürlich darum, sie auch für die Zukunft gut aufzustellen. Das ist die Frage nach der Finanzierung, aber auch nach der Ausrichtung des Angebots. Und was die Diakonie Hessen anbelangt, sind wir noch auf dem Weg, zusammenzuwachsen und eine starke Stimme als Diakonie in Hessen in Anwaltschaft für die Schwachen und Unterstützungsbedürftigen zu werden.

Fischer: Welche Schwerpunkte wollen Sie bei Ihrer Arbeit im diakonischen Bereich setzen?

Brinkmann-Weiß: Eine große Herausforderung sehe ich derzeit gesamtgesellschaftlich. Hier müssen wir schauen, dass der «Sozialmarkt» nicht die sozialstaatliche Grundausrichtung mehr und mehr an den Rand drängt. Also, eine gute Finanzierung für alle diese Bereiche zu erreichen, dass jeder Mensch in jedem Alter, der Unterstützung, Begleitung oder Hilfe bedarf, diese auch bekommt. Ich denke, das sollte in unserer reichen Gesellschaft doch möglich sein! Darauf einen Schwerpunkt zu setzen, dass das auch weiterhin finanzierbar und politisch gewollt bleibt, das finde ich eine große Herausforderung.

Fischer: Ich versuche mich mal in Ihre Lage zu versetzten, wie erreicht man das? Das ist ja eine große politische Aufgabe. Was kann man da in Ihrer Funktion beitragen?

Brinkmann-Weiß: Da kann man, glaube ich, ganz viel beitragen in meiner Position, weil ich ja sozusagen Berührungen habe von der Basis bis hin zu Spitze. Also, von der Basis zum Beispiel über die regionalen Diakonischen Werke in den Kirchenkreisen, dann über die Landessynode, die natürlich die kirchlichen Zuschüsse entsprechend bereit stellen muss, die über die Diakoniezuweisung in die Regionen gegeben werden. Hinzu kommen natürlich Spitzengespräche mit den Politikern und Kirchenvertretern, wo man auch für diese Themen werben und sensibilisieren muss.

Fischer: Gewalt gegen Frauen ist ein sehr aktuelles Thema. Sie haben sich während Ihrer Zeit als Dekanin auch an einem Lauf gegen Gewalt gegen Frauen beteiligt. Welchen Stellenwert wird dieses Thema bei Ihnen haben?

Brinkmann-Weiß: Ich bin sehr laufbegeistert, aber ich bin auch für dieses Thema sehr sensibel, schon immer gewesen, eigentlich schon von Studentenzeiten an hat mich das Thema Frauenrechte und Gewalt gegen Frauen beschäftigt. Im Moment ist es ja relativ im Fokus durch die MeToo-Debatte und die ganzen Geschichten, die in der Presse sind. Mir ist wichtig, das Thema wach zu halten über die Tagesaktualität hinaus. Ich bin auch schon im Gespräch mit Frau Scheffer, die Landessynodale und Ratsmitglied ist. Sie war letztes Jahr in Südafrika und hat dieses Thema in der Begegnung mit den Südafrikanerinnen stark gemacht. Jetzt haben wir bald einen Termin, um gemeinsam zu überlegen, wie wir das Thema auch in unserer Landeskirche platzieren können. Außerdem gibt es auch im Landeskirchenamt Überlegungen, eine Anlaufstelle in der Landeskirche einzurichten, wenn Frauen Gewalterfahrungen in kirchlichen Strukturen machen. Davor ist ja kein Bereich unserer Gesellschaft gefeit.

Fischer: Die Flüchtlingskrise beschäftigt uns weiterhin. Das ist ein äußerst sensibles Thema. Welche Herausforderung stehen hier an und wie möchten Sie ihnen begegnen?

Brinkmann-Weiß: Zunächst bleibt es eine Herausforderung, die Menschen, die zu uns geflohen sind und die jetzt hier sind, sei es mit dauerhaftem Status oder mit subsidiärem Schutz, diese Menschen hier zu integrieren und ihnen zu helfen, dass sie in unserer Gesellschaft ankommen können. Ich glaube, das ist eine Aufgabe, die uns über viele Jahre beschäftigen wird, von den Kitas über die Schulen, Ausbildungsplätze, Arbeitsplätze, Wohnungen etc. Und es bleibt natürlich auch eine Herausforderung, wie wir mit den Menschen umgehen, die weiterhin nach Europa fliehen, nach wie vor in großer Zahl. Wie weit wir unsere Grenzen dichtmachen und wie sehr wir die Problematik an die Außengrenzen der EU verlagern.

Fischer: Ist das für Sie eine Lösung?

Brinkmann-Weiß: Ich finde das hochproblematisch. Ich finde, wir als Christinnen und Christen können darauf nur eine Antwort haben, dass wir Fremdlinge, die bedroht sind, bei uns aufnehmen und auch jede Anstrengung unternehmen, dass sie hier gut leben können. Von daher glaube ich, da liegen große Herausforderungen vor uns in den  nächsten Jahren, weil diese Wanderungsbewegung, solange die Situation in den Herkunftsländern so schwierig ist, bleiben wird.

Fischer: Sie sagen, Christinnen und Christen sollten Fremde aufnehmen. Jetzt gibt es in Kassel ein Kunstwerk, der Obelisk auf dem Königsplatz, auf dem steht ein Zitat aus der Bibel, genauer aus dem Matthäusevangelium: «Ich war ein Fremdling und ihr habt mich aufgenommen (Mt. 25,35). Dieser Obelisk ist höchst umstritten. Wie stehen Sie zu diesem Kunstwerk?

Brinkmann-Weiß: Ich habe das Werk während der Documenta gesehen auf dem Königsplatz und ich finde es sehr schön, auch dass dieser Bibelvers in mehreren Sprachen darauf steht. Es ist ja auch ein schlichtes ansprechendes Kunstwerk, finde ich. Von daher freue ich mich sehr, dass es da steht und möglicherweise auch stehen bleiben soll, da bin ich jetzt gar nicht so informiert. Über die aktuelle Auseinandersetzung habe ich gerade erst gehört. Ich denke, das ist natürlich primär eine Frage, die die Kasseler Stadtgesellschaft lösen muss. Als Christin kann ich nur sagen, ich freue mich, dass  dieses Bibelwort an so zentralem Platz auf dem Obelisken steht und die Gesellschaft daran erinnert, was wir aus christlicher Sicht zu dieser Frage sagen, ob Fremdlinge bei uns Wohnung finden dürfen. Dazu sagen wir nämlich ein ganz klares Ja.

Fischer: Stichwort Ökumene: Beim Reformationsjubiläum wurde die Ökumene in verschiedenen Veranstaltungen bekräftigt. Wie soll es jetzt weitergehen?

Brinkmann-Weiß: Ja, ich freue mich sehr, dass das Reformationsjubiläum die Gräben nicht vertieft hat, sondern eher geholfen hat, dass wir uns als Christinnen und Christen auf einem gemeinsamen Weg verstehen. Ich hoffe, dass wir das in der interkonfessionellen Ökumene auch so fortsetzten können, dass wir da weiterhin einen guten Weg vertrauensvoll beschreiten, wissend, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben. Da sind und bleiben wir im Gespräch und halten diesen Prozess offen. Ich nehme überall wahr, dass die Menschen in den Gemeinden sich sehr wünschen, dass wir Christinnen und Christen mehr zusammen rücken und verstärkt das Verbindende betonen und nicht so sehr das Trennende.

Fischer: Warum ist das aus Ihrer Sicht so wichtig?

Brinkmann-Weiß: Die Botschaft, die uns anvertraut ist, ist eine. Wir haben ja nicht zwei Heilige Schriften, sondern eine. Und das, was uns konfessionell unterscheidet, ist wichtig wahrzunehmen und zu diskutieren, aber für unsere Gesellschaft, so wie sie sich gegenwärtig darstellt, ist es ganz wichtig, dass die christliche Stimme klar und deutlich vernehmbar ist, z. B. bei den Themen Armut, Teilhabe, Flüchtlinge usw., die wir ja eben angesprochen haben.  Ich glaube, das sind wir der Gesellschaft schuldig und das können wir als christliche Kirche zusammen vertreten.

Fischer: In Ihrem Dezernat können sich auch viele junge Menschen engagieren. Zum Beispiel über den Bundesfreiwilligendienst und im Friedensdienst. Wie wollen Sie die jungen Leute für Ihre Arbeit begeistern?

Brinkmann-Weiß: Die Menschen engagieren sich ja in konkreten Projekten, Kirchengemeinden, Einrichtungen etc. Von daher wird das nicht über mein Dezernat organisiert. Ich habe wahrgenommen, dass in den Gemeinden die Nachfrage nach wie vor da ist nach solchen Diensten. Wenn wir vermitteln können, dass das ein sinnvoller Dienst ist und wir als Kirche hinter dieser Arbeit stehen, also, dass wir Friedensarbeit unterstützen, dass wir Freiwilligendienste, dass wir ehrenamtliches Engagement unterstützen, dann werden sich auch immer junge Menschen dafür finden.

Fischer: Und die weltweite Ökumene? Welche Schwerpunkte wollen Sie hier setzen?

Brinkmann-Weiß: Unsere Landeskirche hat weltweite Partnerschaften in erfreulicher Zahl. Und so, wie ich das wahrnehmen kann, sind diese Partnerschaften auch sehr lebendig. Ich glaube, das hilft uns in Deutschland immer wieder über den Tellerrand zu schauen, uns wahrzunehmen als ein Teil der weltweiten Christenheit. Und wenn bei uns manchmal gewisse depressive Gedanken aufkommen, etwa: wir werden immer weniger, dann hilft ja auch der Blick in die weltweite Ökumene, wo Kirchen wachsen, wo eine unglaubliche Lebendigkeit und Aufbruch in den Gemeinden ist. Ich denke, das kann uns auch hier in Deutschland stärken und ermutigen.

Fischer: Angesichts der weltweiten Auseinandersetzungen wird auch der interreligiöse Dialog immer wichtiger ...

Brinkmann-Weiß: So ist es. Er wird in der Tat immer wichtiger, je mehr Menschen mit anderen Religionen in unserem Land leben. Von daher ist das auch ein wichtiger Bereich dieses Dezernates. Im christlich-jüdischen Dialog sind wir ja schon seit Jahrzehnten eingeübt. Auch angesichts des leider wieder erstarkenden Antisemitismus bleibt dieser Dialog wichtig. Dazu kommt seit einigen Jahren das Gespräch mit islamischen Verbänden. Es ist wichtig, im guten Austausch zu bleiben und das Gespräch mit Menschen jüdischen, muslimischen oder anderen Glaubens zu suchen. Ich bin überzeugt, da können wir viel voneinander lernen und Verbindendes entdecken. Ich wünsche mir sehr, dass Religion nicht als spaltende Kraft in unserer Gesellschaft erlebt wird, sondern als etwas, was Menschen verbindet und zusammenführt.

Fischer: Sie haben vorhin die Friedendienste angesprochen. Vom Gelingen dieses Dialogs wird sicher auch der Frieden in unserem Land abhängen. Wie sieht denn für Sie ganz persönlich der Weg zum Frieden aus?

Brinkmann-Weiß: Eine große Frage. Ich glaube, Frieden fängt bei uns selber an, also bei jedem Einzelnen, bei der Weise, wie ich friedfertig bin, wie ich versuche, Frieden zu leben in meinen ganz alltäglichen konkreten Begegnungen. Und Frieden hat natürlich auch viel mit Gerechtigkeit zu tun. Also mit dem Einsatz dafür, dass Menschen ein Leben in Fülle leben können, so wie es uns verheißen ist. Das trägt zum Frieden bei und da ist jeder kleine Schritt und jeder kleine Einsatz unendlich wertvoll.

Fischer: Eine persönliche Frage zum Schluss:  Wie können Sie bei einer solch vielfältigen und anspruchsvollen Aufgabe entspannen?

Brinkmann-Weiß: Da die Tätigkeit mit vielen Sitzungen verbunden ist, ist ein wichtiges Entspannungsmoment für mich der Sport. Ich mache sehr gern Sport. Ich muss sehen, wie ich dazu Zeit finde jetzt auch in dieser neuen Aufgabe. Ich laufe sehr gern, auch Wettkämpfe, und fahre Fahrrad und schwimme und mache ein bisschen Kraftsport. Also, ich bin sehr bewegungsfroh, da entspanne ich mich ganz wunderbar. Ich liebe aber auch Kultur in all ihren Spielarten. Ich gehe sehr gern ins Theater, ins Kino, ich höre Musik von Pop bis Klassik, ich lese gern. Auch das ist für mich ein wichtiger Bereich des Lebens, der zum Entspannen beiträgt.

Fischer: Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Gottes Segen für die neue Aufgabe und noch ausreichend Zeit für die weiteren Aktivitäten. Vielen Dank für das Gespräch!

(19.02.2018)

Linktipp:

Informationen zum Dezernat Diakonie und Ökumene finden Sie im Internetauftritt des Landeskirchenamtes: