Kruzifix von Ernst Barlach auf dem Kreuzaltar in der Elisabethkirche in Marburg (Foto: medio.tv/Schauderna)

Kruzifix von Ernst Barlach auf dem Kreuzaltar in der Elisabethkirche in Marburg (Foto: medio.tv/Schauderna)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 20 Feb 2023

Pfarrerin Dr. Insa Rohrschneider ist Studienleiterin am Religionspädagogischen Institut der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Wir haben mit ihr über die Passion gesprochen.

Mit dem Kreuz steht ein Folterinstrument im Kern unserer Religion. Ist das nicht ein ganz grausames Symbol?

Dr. Insa Rohrschneider: Total. Wenn es nach mir ginge, würde ich auch lieber das Symbol des Fisches nehmen. Auf der anderen Seite ist es das Symbol des überwundenen Todes. Unser Zentrum ist nicht der Tod Jesu, sondern die Auferweckung. Das Kreuz kann als umgedeutetes Symbol verstanden werden. 

Wäre denn das Christentum ohne das Kreuz überhaupt denkbar?

Rohrschneider: Nein. Es ist das Zentrum des Christentums. Für mich ist aber ganz wichtig, dass es nicht um das Kreuz an sich geht, sondern immer um das überwundene Leid. 

Der Gedanke, Jesus sei für unsere Sünden am Kreuz gestorben, ist nicht leicht zu fassen. Wie wird er greifbar?

Rohrschneider: Ich habe mich als Kind gefragt: Wie soll Jesus gestorben sein, weil ich etwas Böses gemacht habe? Ich baue mir eine Brücke: Jesus ist damals umgebracht worden, weil er unbequem war für die römische Besatzungsmacht. Und für die Menschen, die religiös das Sagen hatten. Er wurde gekreuzigt, weil er nicht so von Gott sprach, wie es die Autoritäten wollten, und die politischen Machthaber fanden ihn gefährlich. Die, die damals Jesus ans Kreuz genagelt haben, konnten nicht ertragen, wie er gelebt hat, seine Nähe zu Gott, vielleicht auch die Gefolgschaft und Anerkennung. Diese Grundstruktur, dass ich anderen manchmal nicht gönne, dass sie besser sind, anerkannter, vielleicht näher an Gott, habe ich auch. Ich würde niemanden ans Kreuz nageln, aber durchaus schlecht über Menschen reden und ihnen so schaden. Wenn man so will, beteilige ich mich so an einer todbringenden Macht. 
Als Mensch entkommt man dieser Struktur nicht prinzipiell, aber der christliche Glaube hilft, weil man weiß: Gott ist auf meiner Seite. Der Tod Jesu hat auf die Spitze getrieben, wie Menschen einem anderen die Anerkennung entziehen und ihn sogar töten. Aber Gott gibt ihm so viel Anerkennung, dass er aufersteht – was immer das heißt. Diese Anerkennung durch Gott ist eine so lebensschaffende Macht und bringt so viel, dass ich sie auch für mich in Anspruch nehmen kann. Dann beteilige ich mich nicht mehr an solchen Tötungsstrukturen und sie treffen mich nicht mehr so. Ich bin also strukturell nicht anders als die Menschen damals, so gesehen ist Jesus auch für meine Sünde gestorben. Ich sehe in diesem Ereignis, wie die Folgen meines Handelns aussehen könnten. 

Aber auch den Ausweg...

Rohrschneider: Genau. Diese lebendige Macht zeigt sich in den Geschichten von der Auferstehung. Ich merke es aber auch an mir: Diese Anerkennung Gottes – den Begriff Liebe finde ich zu weichgespült – bringt für mein Leben diese Gelassenheit, dass ich andere so sein lassen kann, wie sie sind, ihnen ihre Anerkennung gönne. Zumindest manchmal.

(20.02.2023)