Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 14 Okt 2013

Kassel (epd). Die europäischen Länder reagieren in Streitfragen zwischen Religionsfreiheit und der Trennung von Staat und Kirche immer sensibler. «Dabei ist doch religiöse Vielfalt positiv und Teil der europäischen Kultur», sagte Angelika Nußberger, Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), am Freitagabend auf dem 3. Evangelischen Juristenforum in Kassel.

An dem vom Bundessozialgericht und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck veranstalteten Forum diskutieren Juristen und Theologen über kontroverse gesellschaftliche Themen - diesmal über «Religionsfreiheit und Säkularisierung».

«Geht es beim EGMR um Verfahren, die die Religionsfreiheit betreffen, ruft dies am meisten Nervosität hervor», sagte Nußberger. In solchen Verfahren würden sich besonders häufig europäische Staaten zu Wort melden. Schließlich gehe es immer auch um die Frage, wie viel Toleranz der Staat gegenüber Religionsgemeinschaften aufbringt und in welchem Maß religiöse Gruppierungen bereit sind, sich an weltliche Regeln und Werte zu halten.

«Das Problem der Europäer ist, dass das Thema Religion sehr angstbesetzt ist», sagte Klaus Tanner, Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Heidelberg. Dies sei aber nicht verwunderlich, da Jahrhunderte lang Religionsstreitigkeiten gewaltsam ausgetragen wurden. Letztlich gebe es beim einzelnen Menschen keine klare Trennung zwischen religiöser und weltlicher Überzeugung. «Eine Burka tragende muslimische Frau kann sich auch als moderne Frau verstehen und für die Demokratie eintreten», sagte Tanner. Letztlich hätten die Kirchen in der modernen Welt zwar an Bedeutung verloren. «Das muss aber nicht für religiöse Überzeugungen gelten», sagte der Theologe.

Kommt es zum Streit vor Gericht, gehe es häufig auch um religiöse Symbole, sagte Nußberger. Der EGMR habe etwa im Januar 2012 einer British Airways-Angestellten recht gegeben, die ihren Kruzifix-Anhänger aus religiösen Gründen nicht ablegen wollte. Die Straßburger Richter stellten fest, dass die Airline ihre Bekleidungsvorschriften widersprüchlich anwandte. So war das Tragen eines Turbans aus religiösen Gründen erlaubt, das müsse dann auch für das Kreuz gelten, so der EGMR.

Keinen Erfolg hatte dagegen eine britische Krankenschwester. Hier hatte die Klinik das Tragen eines Kreuzes aus hygienischen Gründen zu recht verboten. Im November geht es dann um den nächsten spektakulären Fall beim EGMR. Dann soll über das in Frankreich geltende Burka-Verbot verhandelt werden.

Letztlich müsse immer im Einzelfall abgewogen werden, inwieweit die Religionsfreiheit beschränkt werden dürfe, sagte Nußberger. Um zu einem Urteil zu kommen, werde mitunter auch geprüft, was in den 47 europäischen Staaten, die die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben, üblich ist. Allerdings müsse der Geist der Menschenrechtskonvention immer erhalten bleiben, sagte Nußberger. «Das Abfangen von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer und deren sofortiges Zurückbringen geht gar nicht.» Das gelte auch, wenn eine große Mehrheit von Staaten diese Maßnahme befürworten würde, sagte sie und bezog sich dabei auf eine EGMR-Entscheidung vom Februar 2012. Darin hatte das Gericht Italien zu Schadenersatz verurteilt, weil die Marine Boote von Flüchtlingen in internationalen Gewässern aufgebracht und die Menschen umgehend wieder nach Libyen geschafft hatte. (14.10.2013)

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Informationen zu den Referenten und zum Juristenforum finden Sie in diesem Flyer zur Veranstaltung:

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