Rede von Bischöfin Dr. Beate Hofmann am 4. März 2022 auf der Kundgebung in Kassel. Die Menschen setzten an dem Freitagabend wieder ein deutliches Zeichen für Frieden in Europa und der Welt. (Video: Medienhaus der EKKW)
Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 04 Mär 2022

Kassel (medio). Unter dem Motto «Kassel steht für Frieden und Solidarität» setzten tausende Menschen am Freitag (04.03.) in Kassel ein deutliches Zeichen für Frieden in Europa und der Welt. Bei der Kundgebung auf dem Friedrichsplatz gehörte Bischöfin Dr. Beate Hofmann zu den Hauptrednerinnen. Wir dokumentieren die Rede der Bischöfin unten im Wortaut. 

Zur Kundgebung hatten neben der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, der Katholischen Kirche Kassel und der Jüdischen Gemeinde Kassel auch die Initiative «Offen für Vielfalt», die demokratischen Parteien, der Deutsche Gewerkschaftsbund und weitere Organisationen aufgerufen. (04.03.2022)

Rede der Bischöfin auf der Kundgebung

Wir dokumentieren die Rede der Bischöfin laut Redemanuskript (Stand: 4.3.2022, 15 Uhr). Es gilt das gesprochene Wort!

«Liebe Freundinnen und Freunde von Frieden, Freiheit und Demokratie,

77 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, nach Jahrzehnten der Abschreckung und Annäherung erleben wir schockiert, wie in Europa ein Diktator ein Nachbarland überfällt und Krieg ausbricht.  

Von einem Tag auf den anderen ist für über 40 Millionen Menschen in der Ukraine das normale Leben vorbei; ihre Häuser gehen in Flammen auf, Strom und Wasser, Lebensmittel und Medikamente gehen aus, ihr Alltag mit all seinen Gewohnheiten ist vorbei. 

Auf Putins Befehl sind russische Soldaten in ein Land einmarschiert, in dem viele Menschen so sprechen wie sie, so leben wie sie, so wohnen wie sie. Die Menschen in der Ukraine wurden zu Feinden erklärt, weil sie in einem demokratisch regierten Land leben wollen. Dagegen protestieren wir!

Es erschreckt mich, was Menschen in Russland über diesen Krieg hören, mit welchen Lügen sie gefüttert werden.
Es erschreckt mich, wie die Spirale von Gewalt sich dreht, wie immer mehr Menschen sterben, Städte zerstört werden und wie mit nuklearen Waffen gedroht wird. 

Es erschreckt mich auch, wie Grundüberzeugungen der deutschen Nachkriegspolitik in wenigen Tagen zerbrochen sind. Ich finde es beklemmend, wie die Aggression eines Machthabers uns alle in die Logik des Krieges treibt. Einerseits höre ich erleichtert, dass es der ukrainischen Armee gelingt, den Vormarsch zu verlangsamen. 

Andererseits weiß ich: Auch in den russischen Panzern sitzen Menschen, Menschen, die sich diesen Krieg nicht gewünscht haben. Jetzt werden sie von deutschen Panzerfäusten getroffen. Auch diese Menschen haben Eltern und Kinder, Zukunftsträume und Ängste. 

Hilft es wirklich, Waffen zu schicken? Ich höre aus unseren Partnerkirchen in Osteuropa, wie froh die Menschen dort über die deutsche Unterstützung für die Ukraine sind. Trotzdem frage ich mich: Gibt es kein anderes Mittel, den Diktator Putin zu stoppen? 

Es ist schwer auszuhalten, dass im Moment nicht klar und eindeutig ist, was jetzt dem Frieden dient. Die vertrauten Gewissheiten sind dahin. Das verunsichert. Jeder eingeschlagene Weg kann falsch sein. Wir wissen im Moment nicht, wie dieser Krieg möglichst schnell beendet werden kann. Hätte es geholfen, internationale Friedensteams in die Ukraine zu schicken, einen internationalen Schutzwall um die Regierung zu bilden? Hätte das den Angriff verhindert? 

Wir suchen nach Wegen, verantwortlich zu handeln. Wir hoffen, dass die Sanktionen wirken. Wie hoffen, dass die Verhandlungen erfolgreich sind. Krieg darf kein Mittel der Politik sein. 

Und wenn es um Frieden geht, kommt es auch auf uns an.

Darum stehen wir heute Abend hier. Darum fordern wir Wladimir Putin auf, sofort die Kämpfe zu beenden sich aus der Ukraine zurückzuziehen und ernsthaft um Frieden zu verhandeln.

Was können wir jetzt tun?

Menschen aus allen Religionen, Juden, Christen und Muslime, beten für den Frieden, gerade eben in der Karlskirche, an vielen Orten in den Kirchen, Synagogen und Moscheen. Heute Abend laden Frauen weltweit zum Weltgebetstag ein. Jeden Mittag um 12.00 Uhr läuten die Glocken in dieser Stadt zum Friedensgebet.  

Wir laden Sie alle ein, dann auch still zu werden und an die zu denken, die jetzt unsere Bitte um Frieden besonders brauchen. Wir konzentrieren uns damit auf Frieden, auf Entfeindung, nicht auf Hass und Wut.  

Wir verbinden uns mit Menschen weltweit, auch in Russland und der Ukraine, die für den Frieden beten. Wir erinnern uns an unsere gemeinsame Sehnsucht nach Frieden. Und wir sind in unseren Gedanken und Bitten bei denen, die jetzt in Angst in Bunkern und U-Bahnstationen schlafen oder um ihre Lieben fürchten, die Hunger und Durst haben, nach Freiheit und Leben. 

Und wir verbinden uns mit Gott, der Kraft, die Hass und Gewalt überwindet und uns auf Frieden ausrichtet. Gott sagt: Selig sind, die Frieden stiften. Welche Macht solche Gebete haben, haben wir in Deutschland ja vor 33 Jahren in der friedlichen Revolution erlebt. 

Und wir können ganz konkret helfen: wir können Geflüchtete aufnehmen und Geld spenden. 

Und wir wollen in all dem nicht vergessen, dass es auch an anderen Orten der Welt Krieg gibt und Menschen von dort zu uns fliehen, so wie die, die immer noch gefangen sind im Niemandsland zwischen Belarus und Polen.

Die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine wird auch uns etwas kosten; sie wird manches verändern. Wir werden die Folgen der Sanktionen aushalten. Wir werden unseren Energieverbrauch klimafreundlich ändern müssen. Das werden wir solidarisch tragen. 

Eines liegt mir heute Abend besonders am Herzen.  Wir hören, wie die russischen Medien diesen Krieg verharmlosen und vertuschen. Darum ist es wichtig, mit Menschen aus Russland zu reden, alle noch möglichen Kontaktwege zu nutzen, ihnen zu sagen, dass wir diesen Krieg nicht wollen. 

Wir wollen im Frieden miteinander leben und wir bitten euch, euch für Frieden einzusetzen, soweit das für euch möglich ist. (und ich weiß, es ist sehr gefährlich, das öffentlich zu tun).  Die Ukraine ist unrechtmäßig überfallen worden. Wir protestieren nicht gegen Russland, auch nicht gegen Menschen aus Russland, sondern gegen Putin und seine Aggression.

Mir liegt daran, dass wir im Kontakt bleiben, dass wir nicht in alte Freund-Feind-Muster zurück gehen, sondern auf dem Weg von Frieden und Versöhnung bleiben. Putins Propaganda will uns in Freunde und Feinde einteilen. Das soll nicht gelingen. Wir wollen miteinander friedlich und in Freiheit zusammenleben. 

Vielen Dank!»

Dr. Beate Hofmann
Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck

Kassel, 4.3.2022