Genau abgezählt: Helga Dilling (rechts) bekommt von Kerstin Möller die richtigen Tabletten für den Abend

Genau abgezählt: Helga Dilling (rechts) bekommt von Kerstin Möller die richtigen Tabletten für den Abend

blick in die kirche / Olaf Dellit
Veröffentlicht 23 Mär 2024

Möller ist eine von 90 Mitarbeitenden der Diakonie Eschwege-Land, sie ist im Pflegeteam Ringgau tätig, das seinen Sitz im Ortsteil Datterode hat. Bei dieser Abendtour wird sie 16 Haushalte abklappern, Medikamente ausgeben, Zuckerwerte messen, Insulin spritzen, Kompressionsstrümpfe ausziehen. Bei den Morgenschichten kommen andere Dinge hinzu, dann werden beispielsweise Verbände, Katheter geleert und Stomabeutel gewechselt.

Wie lange jede Handlung dauern soll, ist vorgeschrieben. Den Takt gibt eine App auf Kerstin Möllers Mobiltelefon vor. Dort tippt sie ein, wann sie wo ist und was sie dort tut. Aber das geht nicht immer auf, die stellvertretende Teamleiterin Susanne Schönheit erklärt: «Wir arbeiten mit Menschen und nicht mit Maschinen, die man abschalten kann.»

Ebenso wichtig wie die Tabletten und Handgriffe sind wohl die freundlichen Worte, die Kerstin Möller für jeden und jede findet. Für manche, weiß sie, ist sie die einzige Person, die sie am Tag sehen. Und Möller kennt ihre Leute genau, nicht nur die medizinische Geschichte.

Sie sieht sofort, wenn eine Dame gerade die Haare frisch frisiert bekommen hat, sie kennt den kleinen Hund, der auf sie zurast und weiß, wo Sohn und Tochter eines Ehepaares wohnen und wer sich um die alte Frau kümmert, die bald zum Arzt muss, weil die Hand nicht mehr richtig greifen will.

«Die Kerstin strahlt über das ganze Gesicht.»

«Die Kerstin strahlt übers ganze Gesicht», sagt der Eheman einer Klientin, als sie in die Küche kommt. Der Besuch ist nur kurz, die Insulinspritze ist schnell gesetzt. Kurzer Small Talk, dann geht es weiter. Falls sie Zeitdruck empfindet, merkt man es Kerstin Möller nicht an. Eine Frau erzählt ihr am Esstisch von einem Todesfall im Dorf – auch da ist für einfühlsame Worte Zeit. «Man muss den Beruf und Menschen mögen», sagt sie.

Möller hat diesen Beruf, für sie wohl auch Berufung, relativ spät für sich entdeckt. Erst mit 38 Jahren absolvierte sie die Ausbildung zur examinierten Altenpflegerin, wie es damals noch hieß, seit September 2022 arbeitet sie bei der Diakonie. Es hilft sicher, dass die 43-Jährige in der Region wohnt. Sie kennt Land und Leute. So braucht sie auch kein Navigationsgerät, wenn sie zwischen den Dörfern unterwegs ist. Die Anfahrt in die entlegeneren Orte kann schon mal 15 Minuten dauern. Für sie sei das aber auch eine Gelegenheit, mal das Radio aufzudrehen und etwas abzuschalten.

So kann sie sich dann auch wieder auf eine jeweils neue Situation, auf andere Charaktere einstellen, andere Wohnverhältnisse, andere Geschichten. Da ist die Frau, die gerade eine Operation am Auge hinter sich hat. Oder der alte Mann, der dem Reporter der Kirche aufträgt, er solle schreiben, dass die Kirche mehr für die Jugend tun müsse (was hiermit erledigt ist!).

Oder die 90-Jährige, die die Tabletten nur zu Pulver zerstoßen zu sich nehmen kann. Bei ihr hat Kerstin Möller im Blick, ob sie die Teetasse auch richtig auf dem Tisch abstellt, damit sie nicht herunterfällt. Denn auch Wachsamkeit gehört zu diesem Beruf. Einmal sei ihr ein merkwürdiger Geruch aufgefallen. Er stellte sich als vor sich hin schmorender Topf mit Rosenkohl heraus, den die Bewohnerin vergessen hatte.

Sie spüre viel Dankbarkeit, erzählt die 43-Jährige. Manchmal auch ganz konkret, so wie bei der 90-Jährigen: Sie lässt Pflegerin und den Reporter nicht ziehen, bevor beide nicht in die Bonbonschale gegriffen haben.

Diakonie Eschwege-Land

Der ambulante Pflegedienst der Diakonie Eschwege-Land betreut Pflegebedürftige in den Gemeinden Herleshausen, Ringgau/Weißenborn, Waldkappel, Sontra sowie Meißner/Berkatal. Dort übernehmen die Pflegekräfte die medizinisch-pflegerische Versorgung, Demenzbetreuung, Pflegeberatung, Hospizbegleitung und vermitteln ein Notruftelefon.

Titelblatt der Ausgabe Nächstenliebe von blick in die kirche
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