Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede in der Kasseler Martinskirche.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede in der Kasseler Martinskirche.

Kassel / Redaktion epd
Veröffentlicht 06 Jun 2024

Fünf Jahre nach dem rechtsextremen Mordanschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den CDU-Politiker als Kämpfer für die Grundwerte der Bundesrepublik gewürdigt. «Wir wissen nicht, ob der Mord an Walter Lübcke hätte verhindert werden können», sagte er am Sonntag bei einer Gedenkfeier in Kassel. «Aber wir wissen, dass wir nicht genug getan haben, um die Gefahr abzuwenden.»

Zur Vorgeschichte des Mordes an Lübcke gehöre das «Versäumnis des Staates, die furchtbare Gefahr des Rechtsterrorismus in ihrer ganzen Dimension zu erkennen». Zudem hätten Extremisten von den zunehmend aufgeheizten politischen Debatten profitiert: «Sie versuchen, mit Worten einzelne Gruppen zu entmenschlichen, um das Ventil für Hass zu öffnen und auch, um Angst und Terror in diesen Gruppen zu verbreiten.» Jeden Tag seien Versuche zu erleben, «mit Worten die Skala des Anstands, den Konsens unserer Werte zu verschieben». Allerdings seien die jüngsten Massendemonstrationen gegen Rechtsextremisten im ganzen Land ein ermutigendes Zeichen. Auch Lübcke hätte sich über die Bilder von diesen Kundgebungen gefreut.

Aufzeichnung der Gedenkfeier in der Kasseler Martinskirche aus der ARD-Mediathek.

Als «aufrechter Demokrat» sei Lübcke «gehasst und getötet worden von denen, die unsere liberale, demokratische Gesellschaft hassen», erklärte Steinmeier in der Kasseler Martinskirche. Die Bundesrepublik müsse dem rechtsextremistischen Terrorismus heute genauso entschlossen entgegentreten, wie seinerzeit der linksextremen «Roten Armee Fraktion» (RAF). Denn die Spur rechtsextremen Terrors ziehe sich durch die gesamte jüngere Geschichte der Bundesrepublik, sagte er mit Verweis auf das Münchner Oktoberfestattentat von 1980, zahlreiche fremdenfeindliche Pogrome und Mordanschläge, das Terrornetzwerk NSU und den Anschlag von Hanau.

Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, sagte die Tat habe in der Region tiefe Spuren hinterlassen. Lübcke sei ermordet worden, weil er die Aufnahme von Flüchtlingen entschieden verteidigt habe: «Als Christ folgte er einem klaren moralischen Kompass: Wer vor Krieg, Gewalt oder Hunger flieht, muss geschützt werden.» Die Gesellschaft dürfe sich von Extremisten nicht einschüchtern lassen.

5. Jahrestag der Ermordung Walter Lübckes
Gedenkfeier anlässlich des 5. Jahrestages der Ermordung des früheren Regierungspräsidenten Walter Lübcke in Kassel

2. Juni 2024

Begrüßung von Bischöfin Dr. Beate Hofmann bei der Gedenkfeier in der Martinskirche in Kassel. Begrüßung als PDF-Dokument lesen. Es gilt das gesprochene Wort.

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) erklärte, Lübckes kluge Ratschläge und seine «großartige Menschlichkeit» würden heute schmerzlich vermisst. Leider habe die Gewalttat nicht den eigentlich nötigen gesellschaftlichen Aufschrei zur Folge gehabt. Konsequenz aus dem Mord müsse sein, das Land nicht den Falschen zu überlassen. «Wir erleben politische Kräfte, die aus kruden Verschwörungstheorien, Aufwiegelung und Untergrabung der liberalen Demokratie ein parteipolitisches Geschäftsmodell entwickelt haben», sagte er. Die Demokratie erlaube keine Gleichgültigkeit.

Zum Gedenken an Lübcke hatten das Regierungspräsidium Kassel, die Evangelische Kirchengemeinde Kassel-Mitte und der Verein «Offen für Vielfalt - Geschlossen gegen Ausgrenzung» eingeladen. Der CDU-Politiker war in der Nacht zum 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen-Istha (Landkreis Kassel) von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst erschossen worden. Der Mörder wurde am 29. Januar 2021 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Ob er tatsächlich als Einzeltäter handelte, konnte nicht abschließend geklärt werden.

Demokratiefest im Anschluss an das Gedenken

Stimmen zum Gedenken

Regierungspräsident Mark Weinmeister: «Dr. Walter Lübcke war ein hochgeachteter, in seiner Behörde und der ganzen Region beliebter und im besten Sinne nahbarer Regierungspräsident. Sein Verlust durch die feige rechtsextremistische Mordtat hat die ganze Republik erschüttert und schmerzt nach wie vor tief. Wir werden uns im Regierungspräsidium weiter dafür einsetzen, dass Hass und Hetze keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Hierauf verpflichtet uns das Andenken an Walter Lübcke.»

Michael Sasse, Offen für Vielfalt e.V.: «Kassel und die Region stehen für Demokratie und Vielfalt. Mit der breiten Beteiligung von ganz unterschiedlichen Bürgerinnen und Bürgern an der Gedenkfeier werden vielfältige Meinungen, Interessen und Ideen abgebildet – und damit auch die repräsentative Demokratie gestärkt. So erinnern wir nicht nur an einen aufrechten Demokraten, sondern halten auch sein Vermächtnis in Ehren.»

Pfarrer Dr. Willi Temme, Evangelische Kirchengemeinde Kassel-Mitte: «Die Erinnerung an den rechtsextremistischen Mord an Walter Lübcke geht unsere ganze Gesellschaft an. Sein politisches Wirken hatte der Regierungspräsident unseren demokratischen Werten verschrieben, für die er leidenschaftlich eingetreten ist. Schon am ersten Jahrestag seines Todes hat die große Osanna-Glocke zum Gedenken gerufen. Ich freue mich sehr und bin dankbar, dass in diesem Jahr Bundespräsident Walter Steinmeier in der Martinskirche zu uns sprechen wird.»

«Offen für Vielfalt»

Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck ist seit 2021 Kooperationspartnerin der Initiative «Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung». Damit verstärken wir Unternehmen und Organisationen, die sich in Kassel und Nordhessen für Demokratie und Vielfalt in ihren unterschiedlichen Dimensionen einsetzten.