Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 07 Jun 2017

Kassel (medio/epd). Mit einem Symposion im Kasseler Haus der Kirche erinnerte die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck am Freitag (9.6.) an ihre vor 50 Jahren beschlossene Grundordnung. Bei der Veranstaltung mit dem Titel «Miteinander und Gegenüber» wurden die theologischen, juristischen und zeitgeschichtlichen Aspekte dieses Ereignisses in den Blick genommen, heißt es in einer Mitteilung der Pressestelle.

In seiner Begrüßung betonte Bischof Prof. Dr. Martin Hein den prägenden Einfluss der Grundordnung auf die Landeskirche: «Erst durch die Grundordnung ist die Evangelische Kirche das geworden, was sie ist.» Hein beschrieb die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck als «ein eigentümliches Gebilde» und bezog sich auf ihre verwickelte konfessionelle Geschichte. Die Landeskirche hätte mehr als zwanzig Jahre mit einem Provisorium ausgekommen müssen, bei dem der Kirchenverfassung von 1923/24 ein von der Notsynode in Treysa verabschiedetes «Leitungsgesetz» angehängt worden sei, so der Bischof rückblickend.

Der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Prof. Dr. Wolfgang Huber (Berlin), beleuchtete in seinem Referat die Ordnung der Kirche in theologischer Perspektive. Darin betonte Huber, dass die kirchliche Rechtsordnung der Botschaft des Evangeliums diene und daher nachgeordnet sei. Das inhaltliche Prinzip kirchlicher Leitungsstrukturen folge dabei der «unaufgebbaren Einheit von geistlicher und rechtlicher Leitung». Wenn auch in den 50 Jahren ihres Bestehens nur vereinzelt verändert an der Grundordnung vorgenommen worden seien, gelte auch für sie: «Aus evangelischer Perspektive gibt es keinen Zustand, von dem aus es nichts mehr zu verändern gilt», so der Theologe.

Dr. Hendrik Munsonius vom kirchenrechtlichen Institut der EKD (Göttingen) bezeichnete in seinem Beitrag das kirchliche Verfassungsrecht als «schlicht und pathetisch» zugleich. Eine Besonderheit der Grundordnung zeige sich in den sogenannten  «Pathosformeln», wie zum Beispiel «Leiten im Miteinander und Gegenüber». Deren paradoxe Struktur irritiere und löse damit ein Nach- und Weiterdenken aus, so der Kirchenrechtler. Die Formeln seien somit die «Einbruchsstellen in die Transzendenz des Kirchenrechts». Die Grundordnung stelle den Einzelnen vor die Aufgabe zu prüfen, ob das eigene Handeln der kirchlichen Norm genüge und ob es zugleich auch dem kirchlichen Geist entspreche. 

Der Marburger Historiker Prof. Dr. Eckart Conze ordnete schließlich die Grundordnung in den zeitgeschichtlichen Kontext ein. In seinen Ausführungen griff er Bob Dylans Song «The Times They Are A-Changin‘» aus dem Jahr 1964 auf und erläuterte, dass die Grundordnung in einem Jahrzehnt des Wandels entstanden sei. Die Gesellschaft habe sich soziokulturell verändert und politisiert. Die Kirche sei als «Kirche in der Welt» integraler Bestandteil dieser Dynamik gewesen. Die Grundordnung selbst sei das Ergebnis eines kirchenöffentlichen, demokratischen Prozesses gewesen, so der Historiker. Den früheren Bundeskanzler Willi Brandt zitierend sagte Conze: «Auf den Weg zur Grundordnung hat Kirche ‚Demokratie gewagt‘.»

Schwerpunkt der abschließenden Diskussion sei die Frage nach notwendigen künftigen Veränderungen der Grundordnung angesichts des gesellschaftlichen Wandels gewesen, so die Mitteilung. Bischof Huber gab zu bedenken, dass der Begriff der «Gemeinde» inzwischen über die Parochialgemeinde hinaus reichen müsse. Auch Personal- und Profilgemeinden seien in den Blick zu nehmen. Eine Diskrepanz zwischen möglichen und von Gemeindegliedern real genutzten Beteiligungsformen wurde von Munsonius ins Gespräch gebracht. Gegen Tendenzen einer Konsumhaltung müssten partizipatorische Formen «zum Leben erweckt werden». Wolfgang Huber ergänzte: «Recht in der Kirche ist dazu da, sinnvolle Beteiligungsformen zu ermöglichen».

In seinem Schlussstatement wies Vizepräsident Dr. Volker Knöppel darauf hin, dass der Veränderungsdruck in den nächsten Jahren zunehmen werde. In diesem Zusammenhang dürfe es keine Frage geben, die nicht gestellt werden dürfe. Zuversichtlich schloss Knöppel mit den Worten: «Wir stellen uns in vielen Formen dem Veränderungsprozess!»

Impressionen vom Symposion in Kassel

(Alle Fotos: medio.tv/Schauderna)

Stichwort: Grundordnung der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck

Die kirchliche Verfassung wurde am 22. Mai 1967 von der Landessynode in Hofgeismar verabschiedet und trat zum 1. Januar 1968 in Kraft. Seither sind fast 40 Änderungen der Grundordnung erfolgt, zuletzt auf der Frühjahrssynode im Hinblick auf die Einführung von sogenannten Pfarrstellenbudgets in den Kirchenkreisen. Änderungen bedürfen stets einer Zweidrittelmehrheit der Synode.

Die Grundordnung besteht aus sieben Abschnitten: Einleitende Bestimmungen, die Kirchengemeinde, der Kirchenkreis, die missionarischen und diakonischen Dienste, die Leitung und die Verwaltung der Landeskirche, die kirchliche Gerichtsbarkeit sowie Überleitungs- und Schlussbestimmungen. Vorangestellt ist der Grundordnung eine Präambel, in der sich die Kirche unter anderem zum Dienst am Evangelium und zum Eintreten für die ökumenische Gemeinschaft der Kirchen in der Welt bekennt. (09.06.2017)

Wir dokumentieren die Präambel der Grundordnung der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck vom 22. Mai 1967 im Wortlaut:

Präambel

(1) Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck ist gerufen zum Dienst am Evangelium von Jesus Christus, das in der Botschaft der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis der Reformation bezeugt ist.

(2) Sie tritt ein für die Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland und für die ökumenische Gemeinschaft der Kirchen in der Welt.

(3) Sie ist vor allem durch das Augsburgische Bekenntnis und die von ihm aufgenommenen altkirchlichen Symbole geprägt und in der Vielfalt der überlieferten Bekenntnisse der Reformation zu einer Kirche zusammengewachsen.

(4) In dieser geschichtlich gewordenen Einheit und in Wahrnehmung des gemeinsamen Auftrages hat die Landeskirche mit ihren Gemeinden und allen ihren Gliedern die Verantwortung, das Evangelium in Wort und Sakrament, in Seelsorge, Unterweisung, Mission und Diakonie in rechter Weise auszurichten.

(5) Zur Erfüllung dieses Auftrages gibt sich die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck die folgende Ordnung: ...

[hier weiterlesen]

Linktipp:

Den Wortlaut der Grundordnung der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck finden Sie hier:

kirchenrecht-ekkw.de/(...)

Nachgefragt:

Vizepräsident Dr. Volker Knöppel im Interview zu den tragenden Prinzipien und Besonderheiten der Grundordnung: