Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 17 Jan 2008

Kassel (medio). Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck hat unter dem Titel «Ermutigung und Befähigung zur Begegnung von Christen und Muslimen» eine Handreichung für Kirchenvorstände vorgelegt. Bei der Präsentation der Schrift in Kassel erklärte der  Bischof der Landeskirche, Prof. Dr. Martin Hein, die Publikation verstehe sich ausdrücklich nicht als grundsätzliche theologische Auseinandersetzung mit dem Islam, sondern als «profiliert evangelischer Beitrag zum praktischen Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens». Die Zielrichtung entspringe der Einsicht, dass in der persönlichen Begegnung von Menschen Missverständnisse und Vorurteile, die es auf beiden Seiten gibt, abgebaut werden könnten. Der Islambeauftragte der Landeskirche, Pfarrer Konrad Hahn, hob hervor, dass in der Begegnung der Religionen angesichts gegenseitiger Ängste eine große Zukunftsaufgabe liege

Was Christen und Muslime verbindet und unterscheidet, deutlich aussprechen 

Die deutsche Gesellschaft steht nach Auffassung der Handreichung vor einer doppelten Aufgabe: Die Aufnahmegesellschaft als ganze hat die Aufgabe, die muslimischen Einwanderer anzunehmen. Die muslimischen Einwandererfamilien stehen vor der Aufgabe, Deutschland als ihr neues Zuhause anzuerkennen. Christen und Muslime müssten das Verhältnis der Religionen neu bedenken. «Was sie verbindet und worin sie sich unterscheiden, muss offen ausgesprochen werden können. Die Gesellschaft als ganze, das schließt die Einwanderer ein, muss Auskunft geben können, welches ihre gemeinsamen Werte sind.» 

Bezeugung des Evangeliums und Dialog keine Gegensätze

In Leitsätzen zum interreligiösen Dialog heißt es unter anderem: Dialog und Wahrheitsgewissheit des christlichen Glaubens widersprechen sich nicht. Der christliche Glaube sei nicht darauf angewiesen, Menschen mit anderen Wahrheitsansprüchen herabzuwürdigen. Dem Dialog der Glaubensüberzeugungen müsse der Dialog des Lebens vorausgehen und dieser setze Wahrheitsüberzeugungen voraus. So stünden sich auch Mission als Bezeugung des Evangeliums und Dialog nicht entgegen. «Ein tolerant geltend gemachter Wahrheitsanspruch gesteht dem anderen zu, seine konträren Ansprüche auch dann vertreten zu können, wenn man selbst sie für falsch hält.» Toleranz habe dort ihre Grenze, wo Menschen Prinzipien vertreten und in einer Weise handeln, dass Würde und Freiheit anderer verletzt werden. Hiergegen sei Protest geboten; die Pflicht zum Schutz von Bedrohten gehe der Toleranz gegenüber Menschen mit konträren Ansprüchen und Verhaltensformen voraus.

Moscheebau und Religionsfreiheit – Glockengeläut und Imamruf unvergleichbar

Mit Blick auf Bauprojekte von Moscheen verweist die Handreichung auf das Grundrecht der Religionsfreiheit. Es gelte auch für Muslime und die Errichtung einer Moschee – bei Beachtung der gesetzlichen Baubestimmungen. Kirchengemeinden müssten zu geplanten Moscheebauten keine Stellungnahme abgeben, könnten aber im Vorfeld des Baus ein Forum für die Fragen eines Moscheebaus bilden. Mit Blick auf den muslimischen Gebetsruf stellt die Studie fest: «Das Glockenläuten hat religiöse und säkulare Funktionen. Kirchtürme gehören zur kulturellen Identität der Städte und Dörfer. Das Läuten ist nicht an ein Bekenntnis gebunden. Der islamische Gebetsruf hingegen hat einen ausdrücklichen Bekenntnischarakter.» Von muslimischen Bürgern sei «bei der Wahrnehmung ihrer religiösen Verantwortung zu erwarten, dass sie in strittigen Fragen die Sozialverträglichkeit ihrer Entscheidungen mitbedenken.»

Begegnungsfelder: Chancen und Grenzen der Gastfreundschaft 

Die Handreichung nennt eine ganze Reihe von exemplarischen Begegnungsfeldern zwischen Christen und Muslimen: etwa die Begegnung von Kirchenvorstand und Moscheevereine. Hier sei Gastfreundschaft für eine Kirchengemeinde etwa durch die Überlassung von Gemeinderäumen für Familienfeste möglich. Eine Überlassung kirchlicher Räume für islamische Veranstaltungen sei hingegen nicht möglich.

Ein Ort der Begegnung zwischen Christen und Muslimen stellten - regional unterschiedlich – Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft dar. Im Jahr 2006 lag die Zahl ausländischer Kinder in evangelischen Kindertagesstätten bei durchschnittlich 12,4, die muslimischer Kinder bei 5,4 Prozent. Grundsätzlich sei bei muslimischen Eltern von einer positiven Erwartungshaltung und Offenheit gegenüber der evangelischen Einrichtung auszugehen.

Es sei deshalb verfehlt, aus falsch verstandener Rücksichtnahme das evangelische Profil zu verstecken. Von Erzieherinnen in einem multikulturellen Umfeld sei zu fordern, dass sie im evangelischen Glauben fest verankert seien und über die eigene religiöse Tradition und christliche Werte verlässlich Auskunft geben können – bei Respekt und Offenheit gegenüber andersreligiösen Kindern und deren Eltern.  In der kirchlichen Jugendarbeit könne es möglicherweise gelingen, eine Kultur streitbarer Toleranz einzuüben. Ausführlich nimmt die Handreichung auch zum Thema Begegnung von Christen und Muslimen an den Schulen Stellung.

Christlich-muslimische Ehen: möglich, aber mit Schwierigkeiten verbunden

Mit Blick auf eine Eheschließung zwischen Christen und Muslimen stellt die Handreichung fest, dass dies nach evangelischem Verständnis möglich ist. «Die Glaubensverschiedenheit ist dennoch in der Lebenspraxis mit besonderen Schwierigkeiten verbunden.» Die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Ehe und Familie sei zu achten. Wenn dem Grundgesetz widerstrebende Standards angewandt würden, etwa mit Hinweis auf religiöse Traditionen, habe der Staat die Aufgabe, den einzelnen Menschen zu schützen und das geltende Recht durchzusetzen. Kulturelle und zusätzliche Milieuverschiedenheit könne leicht Frauen zu Verliererinnen machen. Deshalb sei eine sogenannte «Imamehe» außerhalb der geltenden Rechts abzulehnen. Für die Ehe sei ein notariell beurkundeter Ehevertrag anzuraten, der dem internationalen Privatrecht genügt. Auch für christlich-islamische Ehen solle eine kirchliche Trauung angestrebt werden. Voraussetzung sei die Achtung des nicht-christlichen Ehepartners vor dem christlichen Glauben. Auch die religiöse Erziehung der Kinder sollte sorgfältig bedacht werden. Werde ein Kind im Kleinkindalter getauft, trügen der christliche Elternteil und der Taufpate, aber auch der muslimische Elternteil Verantwortung für eine christliche Erziehung. Muslime und ihre Kinder, auch wenn sie nicht getauft wurden, seien in der evangelischen Kirche und bei ihren Veranstaltungen immer willkommen.

Multireligiöses Gebet ist möglich – Interreligiöses Gebet dagegen nicht

Mit Blick auf das Beten von Christen und Muslimen stellt die Handreichung fest, dass ein interreligiöses Gebet – ein von allen Vertretern der verschiedenen Religionen gemeinsam verantwortetes Gebet - nicht möglich ist. Dazu seien die theologischen und kulturellen Unterschiede zu groß und das Gottesverständnis und Menschenbild zu unterschiedlich. Eine Vermischung religiöser Traditionen führe dazu, konstitutive Glaubensaussagen fallen zu lassen und die religiöse Identität aufzugeben. Hingegen sei ein multireligiöses Gebet möglich: das von den einzelnen Vertretern der verschiedenen Religionen nacheinander vorgetragene Gebet in stiller Anwesenheit der Menschen anderer Religionszugehörigkeit. Hierbei sei es nicht Voraussetzung, dass die Vertreter der beteiligten Religionen die Inhalte der anderen Religion anerkennen oder bejahen. In der Regel verbinde beim multireligiösen Gebet die Beteiligten ein gemeinsames Anliegen, so die Handreichung. Praktische Erfahrungen habe es hier etwa bei Katastrophen (Grubenunglück Stolzenbach) gegeben oder beim multireligiösen Gebetstreffen in Kassel, wo zum Abschluss von christlicher Seite ein Abendsegen und von Muslimen ein Gebet ihrer Tradition gesprochen wurde. 

Respekt und Verständnis entscheidend für Zusammenleben künftiger Generationen  

Abschließend stellt die Handreichung fest: Die Begegnung von Christen und Muslimen muss auf gegenseitigen Respekt und Verständnis aufbauen. Es gelte nicht nachzulassen, aufeinander zuzugehen, aber auch den eigenen Glauben zu bekennen. Auftretende Konflikte müssten benannt werden. In Zeiten aufkommender sozialer Spannungen würden mit den Enttäuschungen angesichts eingeschränkter Lebensmöglichkeit Resignation und Vorurteile wachsen.  Für das friedvolle Zusammenleben künftiger Generationen müssen heute die entscheidenden Schritte für ein gegenseitiges Verstehen getan werden. (17.01.2008)

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Hintergrund:

Die Handreichung war von der Kammer für Mission und Ökumene erarbeitet worden; der Rat der Landeskirche hatte sich den Text einstimmig zu eigen gemacht.

Bestellung:

Die Handreichung kann in deutscher und tür-kischer Sprache über das Ökumenedezernat (Frau Deichmeier, Tel.: (0561) 9378-271) oder per E-Mail bestellt werden:

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