Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 12 Mär 2013

Kassel (medio/epd). Mit der Zeit des Kirchenkampfes im Nationalsozialismus sowie mit den kirchenpolitischen Weichenstellungen der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck in der Nachkriegszeit befassen sich zwei neue Bücher.

In der dreibändigen, von Dr. Michael Dorhs herausgegebenen Quellenedition «Kirche im Widerspruch» werde das Vorurteil widerlegt, im Bereich der kurhessischen Kirche habe kein nennenswerter Kirchenkampf stattgefunden, sagte Bischof Prof. Dr. Martin Hein bei der Vorstellung in Kassel. Die kommentierte Quellensammlung biete eine Grundlage, sich intensiver mit der Rolle der Kirche im NS-Staat zu beschäftigen.

Herausgeber Dorhs hob hervor, dass die insgesamt 246 Dokumente auch für Laien verständlich seien. «Die Bände stellen einen Interpretationsrahmen bereit», sagte er.

Ein eindeutiges Fazit über die kurhessische Kirche in der NS-Zeit könne er anhand der Quellen im zweiten Band nicht ziehen. Auch Mitglieder der systemkritischen «Bekennenden Kirche» hätten ihr Verhalten nach Kriegsende sehr unterschiedlich bewertet.

So habe es Aussagen gegeben, dass die Kirche ihre «Prüfung» durch den Nationalsozialismus bestanden habe, bis hin zu dem Bekenntnis, sie habe ihre Pflicht nicht getan.

Die gesammelten Quellentexte vermittelten einen differenzierten Eindruck der kirchenpolitischen und theologischen Diskussionen in den Jahren des Nationalsozialismus von 1936 bis 1945 und der Konfliktlinien und -themen besonders der «Bekennenden Kirche» mit dem NS-Staat.

Der Zeitraum von 1933 bis 1935 wurde im ersten Band der Edition der Rundbriefe des Bruderbundes Kurhessischer Pfarrer und der Bekennenden Kirche Kurhessen-Waldeck behandelt, der bereits 1996 von Martin Hein herausgegeben worden war, so Dorhs weiter.

Bischof Hein zeigte sich erfreut darüber, dass die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck jetzt eine fast lückenlose Dokumentation ihrer Geschichte vorweisen könne. Dies sei die Basis für weitere Detailarbeiten, «die uns helfen können, angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, das Erbe aufzunehmen und uns neu zu orientieren», so Hein.

Dissertation zur Nachkriegsgeschichte von Kurhessen-Waldeck

In dem von Dr. Michael Stahl als Dissertation verfassten Werk «Vom Nationalsozialismus in die Demokratie. Die Evangelische Landeskirche von Kurhessen-Waldeck während der Amtszeit von Bischof Adolf Wüstemann (1945-1963)» werde die Entwicklung der Kirche aufgezeigt, sagte Vizepräsident Dr. Volker Knöppel. Deren Grundlagen seien bereits in der Schlussphase des Hitler-Regimes gelegt worden. Schon 1943 hätten kirchenleitende Personen das Kriegsende und die Notwendigkeit eines Neubeginns im Blick gehabt, sagte Knöppel.

Nach dem Krieg war es nach den Worten des Autors Stahl zunächst umstritten, wie die Kirche öffentlich handeln sollte. Bischof Wüstemann sei für Zurückhaltung in politischen Fragen eingetreten und habe sich etwa für Akademie- und Schularbeit und die Zuwendung zur Arbeiterseelsorge eingesetzt.

Erstmals werde in dem Buch auch die Arbeit der Entnazifizierung in der kurhessischen Kirche thematisiert. Die Maßnahmen gegen ehemalige NS-Parteigänger seien sehr unterschiedlich gewesen und in der Regel auf eine vorzeitige Pensionierung hinausgelaufen. In einem Fall sei jedoch ein Pfarrer entlassen und seine geistlichen Rechte aberkannt worden.

Vizepräsident Knöppel würdigte die beeindruckende Akribie und das starke Vorstellungsvermögen Stahls bei der Quellenauswertung: Das Werk vermittle ein lebendiges Bild davon, wie sich die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck nach dem Krieg neu gefunden und zum Teil auch neu erfunden habe, so Knöppel. Der Vizepräsident empfahl Stahls Dissertation «zur Standardlektüre für jeden, der in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck ein kirchenleitendes oder gemeindeleitendes Amt übernimmt.» (13.02.2013)