Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 09 Jul 2013

Das Interview führte medio!-Redaktionsleiter Pfarrer Christian Fischer am 4. Juli 2013 in Kassel.

Fischer: Herr Bischof, vor kurzem haben sich die beiden evangelischen Kirchen in Hessen auf dem Hessentag mit einer Zukunftskirche präsentiert. Wie haben Sie selbst die Aktion erlebt?

Bischof Hein: Ich habe diese gemeinsame Aktion unserer beiden Kirchen als ausgesprochen fantasievoll und anregend erlebt. Insgesamt war ich vier Mal vor Ort zu unterschiedlichen Veranstaltungen. Die Resonanz in der Öffentlichkeit und bei den Besucherinnen und Besuchern des Hessentages war grandios. Rund hunderttausend Menschen haben in diesen zehn Tagen die Karlskirche besucht, haben sich auf das Thema Zukunft einstellen lassen und haben nachgedacht über die Herausforderungen der Zukunft. Ich denke, das war ein richtig guter Beitrag zum Gelingen des Hessentages.

Fischer: Stichwort Zukunft. Wenn man einen Blick in die Zukunft wirft, ergeben sich ganz unterschiedliche Perspektiven für die Kirche in der Stadt und auf dem Land. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die evangelische Kirche in der Stadt?

Bischof Hein: Wenn wir konkret auf die größeren Städte in unserer Landeskirche schauen, geht es um die Frage: Wie bleiben wir in einer sich ausfächernden multireligiösen und multikulturellen Gesellschaft erkennbar und wie können wir glaubhaft unser Zeugnis als evangelische Christen weitersagen? Das darf nicht nur im Rahmen einer «Eventkultur» geschehen, in der wir einige Highlights oder einige Feuerwerkskörper zünden, die dann gesehen werden aber auch schnell verglimmen. Ich glaube, dass eine kontinuierliche Arbeit mit deutlichen Schwerpunkten unsere Erkennbarkeit als evangelische Christen in diesen Städten fördert. Zum Beispiel scheint mir eine klar ausgerichtete diakonische Arbeit ganz wichtig zu sein. Außerdem sollten wir Akzente im Gespräch innerhalb der Stadt setzen, wie wir es mit der Einrichtung unserer Evangelischen Foren tun. Und wir sollten Gottesdienste für unterschiedliche Zielgruppen entwickeln, die in den verschiedenen Kirchen der Städte gefeiert werden können. Dann wird zum Beispiel für Jugendliche klar: Das ist die Kirche, wohin ich als Jugendlicher ganz besonders eingeladen werde. In Kassel gibt es das Projekt der Jugendkulturkirche. Hier ist eine Gemeindekirche ganz bewusst  zu einer Jugendkulturkirche umgewidmet worden. Ich halte das für einen richtigen Schritt in die richtige Richtung.

Fischer: ...und auf dem Land? - Da sieht die Situation ganz anders aus. Welches sind die Herausforderungen für die Kirche auf dem Land?

Bischof Hein: In vielen Regionen gibt es noch erhebliche Potentiale und wir müssen ganz genau schauen, von welcher Region reden wir. Im nordhessischen Bereich gibt es höchst unterschiedliche ländliche Regionen, denken Sie etwa an den Landkreis Waldeck-Frankenberg, der durch den Tourismus ausgesprochen gut dasteht. Aber es gibt natürlich auch andere Regionen, in denen sich die Bevölkerungsentwicklung insgesamt recht negativ entwickelt. Hier kommt es darauf an, dass wir mit den Kommunen und den Vertretern des öffentlichen Lebens in den Dörfern enger zusammenarbeiten. Wir werden möglicherweise die Landflucht nicht stoppen, aber wir können das Leben in ländlichen Regionen, auch als Kirche, weiterhin lebenswert gestalten.

Fischer: Sie haben unterschiedliche Perspektiven aufgezeigt für die Kirche in der Stadt und auf dem Land. Wie wollen Sie diese beiden Prozesse verbinden und Verständnis für einander wecken?

Bischof Hein: Meine Aufgabe sehe ich darin, manches anzustoßen und Interesse dafür zu wecken, die eigene Situation vorurteilslos in den Blick zu nehmen und sich dann zu fragen: Was können wir heute als evangelische Kirche tun, um den Menschen zu dienen und den Glauben zu verkünden? - Diesen Impuls gebe ich gerne und wenn er aufgenommen wird, kann das auf sehr unterschiedliche Weise geschehen. Auch eine Landeskirche mittlerer Größe ist in sich ausgesprochen vielfältig.

Fischer: In der Landeskirche stehen in den nächsten Jahren große Veränderungen an. Die Synode hat auf ihrer jüngsten Tagung ein großes Ziel vorgegeben, nämlich bis 2026 rund ein Viertel der jetzigen Haushalte einzusparen. Was sind die nächsten Schritte, um dieses Ziel zu erreichen?

Bischof Hein: Also, wenn man alleine das Ziel der Einsparung von einem Viertel unserer gesamten Finanzmittel in den Blick nimmt, kann einem ja durchaus angst und bange werden. Andererseits: Der Zeitraum bis 2026 umfasst 13 Jahre, in denen lässt sich viel gestalten. Das heißt, diese Schnitte erfolgen ja nicht von jetzt auf gleich, sondern in einem längeren, wohlüberlegten Prozess. Die Synode hat ganz bewusst dieses Ziel ins Auge gefasst und nun auch über die Kirchenleitung, also den Rat der Landeskirche, eine Vielzahl von kompetenten Ausschüssen eingesetzt, in denen überlegt wird, wie dieses Gesamtziel, bezogen auf die unterschiedlichen Arbeitsbereiche, in unserer Landeskirche umgesetzt werden kann. Wenn wir das nicht jetzt tun, wird uns die Entwicklung in rund 13 Jahren überrollt haben. Daher ist es gut, wenn wir uns bereits jetzt mit den Fragen befassen, was wir auf Dauer so nicht mehr weiter führen können. Die Anzahl der Gemeindeglieder ist in den letzten 13 Jahren zurückgegangen, sodass das Konsequenzen nach sich ziehen muss. Wir können nicht so tun, als bliebe alles beim Alten.

Fischer: Werfen wir einen Blick auf die Gemeinden. Was erwarten Sie von den Gemeinden angesichts dieser Perspektive?

Bischof Hein: Gemeinden erleben manche Einschnitte, etwa die Frage der Zusammenlegung von Pfarrstellen, als ausgesprochen schmerzhaft und ich kann das gut verstehen. Ich würde auch lieber überall neue Pfarrstellen einrichten, als Pfarrstellen abbauen zu müssen. Aber unsere Gemeinden werden kleiner und die Einsicht in die Notwendigkeit wird, davon bin ich überzeugt, allmählich wachsen. Es ist gegenwärtig ein Prozess des Abschiednehmens von bisher als selbstverständlich angesehenen Bedingungen und solch ein Prozess ist zunächst einmal ein trauriger Prozess. Denn Abschiede sind nie freudige Angelegenheiten. Aber ich denke grundsätzlich optimistisch. In diesen Prozessen der Neuorientierung können auch viele Keime der Hoffnung stecken, die in der Zukunft aufgehen. Also, wir fahren nicht nur zurück, sondern wir richten uns neu aus. Zudem wissen wir: Die Zukunft, die uns verheißen ist, ist eine Zukunft mit Christus. So oder so.

Fischer: Herr Bischof, im Herbst stehen ganz große Wahlen bevor: die Bundestagswahl, die Landtagswahl und nicht zuletzt die Kirchenvorstandswahl in Kurhessen-Waldeck. Allgemein wird ja über langweilige Wahlkämpfe und Wahlmüdigkeit geklagt. Wie steht es aus Ihrer Sicht aktuell um die Demokratie in Deutschland?

Bischof Hein: Ich stimme überhaupt nicht in das Klagelied über den Verfall der Demokratie ein. Wenn man sieht, wie viele Menschen sich in Parteien oder Verbänden engagieren und auf die Politik Einfluss nehmen, muss ich sagen: Wir haben eine verlässliche Demokratie und das ist gut so. Bei den Wahlen stehen Entscheidungen an. Es ist wichtig, dass wir uns kundig machen, dass wir im Vorfeld als mündige Bürgerinnen und Bürger mit den Kandidatinnen und Kandidaten sprechen und dass wir  uns klar darüber werden, in welche Richtung die Politik im Bund und im Lande Hessen gehen soll.

Fischer: Immer mehr Menschen sagen: die Wahlen interessieren mich nicht, da gehe ich gar nicht mehr hin. Was sagen Sie den Menschen, die sich für die Wahlen nicht mehr interessieren?

Bischof Hein: Ich sage ihnen, dass sie einen großen Fehler machen. Sie verabschieden sich aus der Mitbestimmung im Blick auf die künftigen Leitlinien der Politik, die sie selbst betreffen. Da braucht man sich dann auch nicht zu wundern, wenn etwas passiert, was man vielleicht ursprünglich gar nicht wollte. Und man darf sich nicht beklagen über die Politikerinnen und Politiker. Wer nicht zur Wahl geht, sollte sich auch da zurückhalten.

Fischer: Werfen wir einen Blick auf die große Wahl in der Landeskirche, die Kirchenvorstandswahl. Was erwarten Sie von der Kirchenvorstandswahl?

Bischof Hein: Die Kirchenvorstandswahl wird in jedem Fall einen Generationenumbruch bringen. Es werden eine ganze Reihe neuer Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher zur Wahl stehen und vermutlich auch gewählt werden. Das ist natürlich auch eine große Chance. Ich hoffe zudem, dass wir die hohe Wahlbeteiligung, die wir gerade in unserer Landeskirche erzielen konnten, halten können. Die Kirchenvorstandswahl ist ein starker Ausdruck der Beteiligung unserer Gemeindeglieder am kirchlichen Leben. Wir sollten daher alles dafür tun, für diese Kirchenvorstandswahl zu werben und die Kandidatinnen und Kandidaten zu präsentieren. Das sind Menschen, die mit ihrer Zeit, Energie und Fantasie für die Gemeinden eintreten. Sie zeigen damit: Die Entscheidungen werden nicht nur von oben gefällt, sondern da werden alle mit beteiligt und alle können mitreden.

Fischer: Es gibt im Vorfeld Kontroversen um die Frage des Wählbarkeitsalters...

Bischof Hein: In den vergangenen zwei Synodalperioden wurde öfters über die Frage diskutiert, ob Kandidatinnen und Kandidaten aufgestellt werden können, die bereits das siebzigste Lebensjahr vollendet haben. Gegenwärtig gilt die Regel, wie sie in der Grundordnung steht, und die sieht eine solche Wählbarkeit nicht vor. In der Synode ist die verfassungsmäßige Mehrheit für eine Änderung dieser Regel nicht erreicht worden, so dass wir gegenwärtig diesen Status haben. Nun gibt es eine Klage gegen diese Regelung und einen Eilantrag beim Landeskirchengericht. Wir müssen sehen, wie das entschieden wird. Ich hatte mich immer als ein Befürworter der Aufhebung dieser Einschränkung verstanden, aber es steht mir nicht zu, die Entscheidung einer Synode in dieser Hinsicht zu kritisieren. Dreimal ist es versucht worden, diese Regel zu ändern. Hier scheint es in Kurhessen-Waldeck besondere Vorbehalte zu geben.

Fischer: Einen neuen Schritt wagen Sie bei der Kirchenvorstandswahl mit der Onlinewahl. Was erhoffen Sie sich von diesem zusätzlichen Angebot?

Bischof Hein: Ich habe beim Testverfahren mitgemacht und fand das ausgesprochen spannend. Ich erhoffe mir dadurch eine besondere Wahlbeteiligung von all jenen, die inzwischen wie selbstverständlich mit ihrem Computer umgehen. Und ich glaube, dass wir viele Jugendliche eher an ihren eigenen Computer bringen, als dass sie in der traditionellen Weise ins Gemeindehaus gehen, um dort einen Wahlschein auszufüllen. Aber es gibt sicher auch andere, es sind ja nicht nur Jugendliche, die mit Computern umgehen. Diese online-gestützte Kirchenwahl wird im Übrigen über die Grenzen unserer Landeskirche hinaus mit großem Interesse beobachtet, sowohl im politischen Bereich als auch in anderen Landeskirchen, denn wir betreten damit als Kurhessen-Waldecker wirkliches Neuland!

Fischer: Auch bei Themenkampagnen zum Buß- und Bettag setzt unsere Kirche auf breite öffentliche Wirkung. Worauf kommt es in Zukunft an, wenn Kirche in der  Öffentlichkeit und in den Medien präsent sein will?

Bischof Hein: Dafür gibt es keine Patentrezepte. Ich lege gar nicht so viel Wert auf große Schlagzeilen, die dann auch schnell wieder in Vergessenheit geraten. Kirche hat den großen Vorteil, dass sie kontinuierlich arbeiten kann. Am allerbesten sind wir in den Medien präsent, wenn wir gute Gottesdienste feiern und glaubhaft von Jesus Christus reden. Das ist das Entscheidende. Trotzdem glaube ich, dass wir bestimmte Wege in Zukunft stärker nutzen müssen. Da ist der ganze Bereich der sozialen Medien, in denen ich mich persönlich nicht bewege, weil ich nicht dieses permanente Mitteilungsbedürfnis habe. Aber trotzdem wird man, und das zeigen ja auch Erfahrungen in Kirchengemeinden, etwa mit Jugendlichen, dieses Medium stärker nutzen müssen. Da erreichen Sie in kurzer Zeit ganz viele, hoch vernetzte Menschen. Und wenn es einer guten Sache dient, sage ich nur: Warum nicht?

Fischer: Zu einem ganz anderen Thema: Sie haben das Pfingstfest zum Anlass genommen, gemeinsam mit Bischof Algermissen aus Fulda, einen Brief zu schreiben, der sich an die hessischen Abgeordneten im Bundes- und Landtag sowie die Gemeinden beider Kirchen richtet. Warum dieser Brief?

Bischof Hein: Zum einen ist das ein Zeichen für die bestehende Ökumene. Mir ist wichtig, dass das Bistum und unsere Landeskirche, der katholische und der evangelische Bischof, in regelmäßiger Folge gemeinsam Stellung beziehen. Diesmal geht es um die Frage der Rüstungsexporte. Man muss sich vergegenwärtigen: Deutschland ist einer der größten Rüstungsexporteure der Welt. Wir machen sozusagen mit den kriegerischen Auseinandersetzungen in allen Teilen der Welt Geld.

Fischer: Was ist Ihre Hauptforderung in diesem Brief?

Bischof Hein: Es gilt, die Rüstungsexporte genau unter die Lupe zu nehmen. Vor allem die kleinen Handfeuerwaffen, die schnell in verschiedene Hände geraten, sollten nur restriktiv exportiert werden. Das Parlament sollte sich mit der Frage der Rüstungsexporte aus Deutschland stärker beschäftigen. Das darf nicht nur einem kleinen Kreis vorbehalten bleiben. Wir brauchen hier eine gesamtgesellschaftliche Debatte.

Fischer: Und wie steht es dann um die Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie?

Bischof Hein: Auch angesichts der Arbeitsplätze muss man ganz deutlich sagen: Hier machen wir Geschäfte mit dem Krieg.

Fischer: Welche Reaktionen haben Sie auf Ihren Brief erhalten?
 
Bischof Hein: Einige Abgeordnete haben darauf geantwortet. Die Reaktionen waren insgesamt nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben. Woran das liegt, weiß ich nicht. Vielleicht daran, dass dieses Thema bei uns mit sehr spitzen Fingern angegangen wird. Da traut sich von den politischen Verantwortlichen niemand so recht heran.

Fischer: Warum ist das so?

Bischof Hein: Das kann ich gar nicht einschätzen. Zum einen ist Rüstungsindustrie in Deutschland ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor und zum anderen merkt man natürlich, wie schnell wir auch selbst involviert sind in die gesamten Fragen. Wir haben uns in dem Brief auch nicht gescheut zu sagen, dass wir natürlich selbst ebenfalls davon profitieren als Kirchen, wenn entsprechende Steuermittel durch Rüstungsexporte generiert werden.

Fischer: In Syrien ist die Frage ja brandaktuell. Wie schätzen Sie dort die Situation ein?

Bischof Hein: Durch die enge Beziehung zur Griechisch-Orthodoxen Kirche und dem Patriarchat in Damaskus, mit dem wir seit über 20 Jahren eine ganz enge Beziehung pflegen, sind wir relativ gut informiert über die Situation dort. Die Situation stellt sich insgesamt als ausgesprochen verwickelt dar. Ich persönlich würde auch in solche Krisengebiete keine Waffen liefern wollen. Ich glaube, dass es Aufgabe der EU und damit auch Deutschlands ist, auf allen möglichen Kanälen zu einer Beilegung dieses mörderischen Konfliktes in Syrien hinzudrängen, an dem am Schluss keine Gewinner dastehen.

Fischer: Was brauchen die Menschen dort zurzeit am dringendsten?

Bischof Hein: Die Menschen brauchen dort unmittelbare Hilfe. Sie brauchen Arzneimittel, sie brauchen Decken, das Nötigste zum Leben. Wir haben eine Syrienhilfe der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck ins Leben gerufen. Es ist wichtig, dass wir spenden und ich kann versichern: Das Geld kommt an!

Fischer: Zum Schluss möchte ich auf einen Text zu sprechen kommen, der in Deutschland manche Gemüter erhitzt: Die Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland mit dem Titel: «Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken». Wo sehen Sie die Stärken des Papiers?

Bischof Hein: Die Stärke des Papiers sehe ich darin, dass es unvoreingenommen den gesellschaftlichen Wandel in unserer deutschen Gesellschaft in den Blick nimmt. Wir haben nicht mehr das traditionelle Modell, dass Menschen am Beginn des gemeinsamen Lebens heiraten und dann irgendwann Kinder bekommen, sondern wir haben inzwischen sehr unterschiedliche Lebensformen. Unsere Landeskirche hat bereits 1999 in einer Studie der Theologischen Kammer diesen Wandel sehr präzise in den Blick genommen. Der Titel dieser Studie lautete damals «Familie, Ehe, Lebensformen» und da wurde zum Ausdruck gebracht, dass wir heute stärker darauf achten müssen, wo sich überall Familie befindet. Das ist nun schon 14 Jahre her, aber die Aktualität der Auseinandersetzungen zeigt, dass wir von unserer damaligen Position gar nicht abgehen müssen. Ich finde vieles, was ich in der jetzigen EKD-Orientierungshilfe lese, bereits damals von uns formuliert, daher stimme ich auch nicht in den Chor der prinzipiellen Kritiker ein. Natürlich gibt es das ein oder andere zu kritisieren. Die theologische Begründung für die veränderte Wahrnehmung von Ehe und Familie ist ausgesprochen dünn. Man wird aber fragen müssen: Was ist denn die Zielsetzung gewesen? - Die Zielsetzung dieses Papieres liegt vor allem darin, dass sie ein Beitrag dazu sein möchte, in unserer Gesellschaft mehr für Familien zu tun und dieser Konsequenz stimmen sogar katholische Kommentatoren zu.

Fischer: Was verstehen Sie in diesem Zusammenhang unter Familie?
 
Bischof Hein: Familie ist überall dort, wo Menschen unterschiedlicher Generation in einer verlässlichen Beziehung miteinander leben. Und verlässliche Beziehung bedeutet mehr als nur die kurzfristige Entscheidung, miteinander leben zu wollen. Verlässliche Beziehungen werden durch Institutionen wie Ehe oder auch Elternschaft gebildet. Und überall dort, wo sich Menschen auf diesen Weg einer verlässlichen Beziehung begeben und füreinander da sein wollen, muss - und das führt die Studie aus -  der Staat fördernd eingreifen.

Fischer: Manche Kritiker wenden ein, die Orientierungshilfe relativiere die Ehe …
 
Bischof Hein: Nein, es geht nicht um eine Relativierung der Ehe - das Gegenteil ist der Fall. Die Ehe ist ja insgesamt, nicht nur kirchlich, sondern gesellschaftlich das Leitbild. Alle anderen Lebensformen, nehmen Sie etwa die eingetragene Lebenspartnerschaft von gleichgeschlechtlich empfindenden Menschen, werden der Ehe mehr oder weniger angeglichen. Alles ist am Schluss Ehe. Also keineswegs eine Relativierung, sondern geradezu eine Hochschätzung der Ehe.

Fischer: Also die Ehe als Vorbild für andere Lebensformen?
 
Bischof Hein: Die Ehe als eine verlässliche, von gegenseitigem Respekt und Treue gekennzeichnete Beziehung von zwei Menschen. Das ist das weiterhin bestehende Leitbild und dem gleichen sich andere Lebensformen immer mehr an.

Fischer: Herr Bischof, zum Schluss zwei persönliche Fragen: Sie haben immer wieder einen straffen Terminkalender. Wie gelingt es Ihnen zwischendurch mal abzuschalten?

Bischof Hein: Also zum einen ist ein straffer Terminkalender  ja nicht Ausdruck einer permanenten Überforderung, sondern dadurch, dass mein Terminkalender abwechslungsreich gestaltet ist, liegt schon in der Abwechslung ein gewisser Reiz. Und mir gelingt es tatsächlich zwischendurch abzuschalten, mit meiner Frau entspannt zusammen zu sein, mich mit Freunden zu treffen. Es ist wichtig, sich dafür bewusst Zeit zu nehmen. Also, es gelingt mir einstweilen noch ganz gut abzuschalten und es bleibt auch immer wieder Zeit für kulturelle Veranstaltungen, die ich dann einmal ganz unbefangen genießen kann.

Fischer: Jetzt kommt der Urlaub. Verraten Sie uns auch in diesem Jahr: Herr Bischof, was machen Sie in Ihrem Sommerurlaub?

Bischof Hein: Diesmal geht es erst wieder in die Alpen. Konkret auf die Kasseler Hütte. Wenn man in Kassel wohnt und die Alpen liebt, muss man einmal auch auf der Kasseler Hütte gewesen sein. Das ist eine viertägige Hüttentour, die ich im Kreise von lieben Menschen unternehme und im Anschluss daran fliegen meine Frau und ich wieder nach Italien und hier schwerpunktmäßig nach Sizilien. Das ist eine Insel, die einen hohen Reiz für uns hat und immer wieder Neues entdecken lässt.

Fischer: Herr Bischof, dann wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie einen erholsamen Urlaub und eine gesegnete Zeit. Vielen Dank für das Gespräch!

(04.07.2013)