Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 16 Jul 2007

Fischer: Herr Bischof, in den letzten Wochen wurde viel über Europa geredet und geschrieben. Daher möchte ich mit der Frage beginnen: Was bewegt Sie, wenn Sie an Europa denken?

Bischof Hein: Am meisten bewegt mich, dass es immer noch nicht gelungen ist, Europa das zu geben, was es zusammen hält, nämlich eine „Seele“. Europa wird viel zu sehr von den Partikularinteressen bestimmt und stellt weiterhin mehr oder weniger eine Wirtschaftsunion dar.
Wenn es gelänge, über das Ökonomische hinaus tatsächlich zu einem europäischen Bewusstsein zu kommen, würden auch viele der nationalen Interessen, die in der letzten Zeit wieder nach vorne getreten sind, überwunden werden können.
Im Blick auf Europa beschäftigt mich zudem, dass wir in diesem Jahr in Hermannstadt/Sibiu die dritte Europäische Ökumenische Versammlung der Konferenz der Europäischen Kirchen haben werden. Ich erhoffe mir davon einen Impuls für die Kirchen in Europa. Möglicherweise können sie noch mehr dazu beitragen, dass Europa sich als Gemeinschaft versteht.

Fischer: Was könnten die Kirchen Ihrer Meinung nach dazu beitragen?

Bischof Hein: Die Kirchen sind in den vergangenen Jahrzehnten ein ganz wesentlicher Motor für das Zusammenwachsen in Europa gewesen. Das kann man auf das Ende der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa beziehen. Das gilt aber auch im Blick auf die Aussöhnung Deutschlands mit seinen ehemaligen Feinden. Ich glaube, wir können unseren Beitrag dazu leisten, eine europäische Vision zu entwickeln.

Fischer: Stichwort Aussöhnung: Die Christen in Deutschland und in Kurhessen-Waldeck haben sich sehr um eine Aussöhnung mit Polen bemüht. Wie viel Porzellan ist Ihrer Meinung nach in den letzten Wochen zerschlagen worden?

Bischof Hein: Weniger Porzellan als man meint. Politiker kommen und Politiker gehen. Und der Verbleib der Kaczynski-Brüder in der Politik wird auch nicht ewig sein.

Fischer: Kommen wir zu einem anderen Thema. Das Klima ist zur Zeit in aller Munde. Die Meteorologen sagen in Deutschland war es im letzten Jahr wärmer als jemals zuvor. Beunruhigt Sie das?

Bischof Hein: Der Klimawandel ist insgesamt nicht zu leugnen. Und ich stimme dem Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Huber, zu, dass es sich hierbei um eine der größten Herausforderungen handelt, mit der wir gegenwärtig und mittelfristig zu tun haben werden. Der Klimawandel ist beunruhigend. Ob die Erfahrungen, dass wir im April Hochsommer hatten und gegenwärtig im Sommer eher Frühherbstwetter verspüren, unmittelbar Folgen des Klimawandels sind, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber insgesamt kann man von einer zunehmenden Erderwärmung ausgehen mit erheblichen Konsequenzen nicht nur für das Klima bei uns, sondern vor allem auch in anderen Ländern.

Fischer: Wie wichtig das Thema ist, hat man daran gesehen, dass auch die wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt in Heiligendamm darüber gesprochen haben. Sind Sie denn zufrieden mit den Ergebnissen des G8-Gipfels?

Bischof Hein: Gemessen an der Dringlichkeit dieses Themas kann man mit den Ergebnissen in Heiligendamm überhaupt nicht zufrieden sein. Hier hätte ich mir mehr Einsicht in die Notwendigkeit eines konzertierten, das heißt gemeinschaftlichen Handelns gewünscht. Das Eigeninteresse ging hier vor dem Gemeininteresse. Andererseits  war Heiligendamm insofern ein Erfolg, als klar ist: Das Thema Klimaschutz lässt sich nicht mehr von der politischen Agenda beseitigen. Dazu haben auch die Demonstrationen am Rand von Heiligendamm beigetragen.

Fischer: Kritiker sagen, bei solchen Gipfeln handele es sich um reine Symbolpolitik und es komme nur noch auf die Inszenierung in den Medien an …

Bischof Hein: Zu einem gewissen Grad stimmt das. Man darf von solchen hoch stilisierten Zusammenkünften nicht zu viel erwarten. Die konkrete politische Arbeit ist meistens eine harte Knochenarbeit. Aber man kann sich von solchen Zusammenkünften eine gewisse Motivation, einen Schub versprechen. Wir werden sehen, ob Heiligendamm etwas bewirkt hat.

Fischer: Möglicher Schub also auch für die Arbeit vor Ort. Wird Ihrer Meinung nach die Evangelische Kirche ihrer Umweltverantwortung gerecht?

Bischof Hein: Umweltverantwortung ist nicht nur eine Frage der Landeskirche, sondern aller Kirchengemeinden. Es ist im Grunde eine Herausforderung für uns als Christen. Wir haben schon seit einiger Zeit einen Umweltbeauftragten, der sich mit diesen Fragen intensiv befasst. Konkret sind wir als eine der ersten Kirchen der so genannten Klimaallianz beigetreten. Wir sind davon überzeugt, dass in dieser Hinsicht frühzeitig gehandelt werden muss.
 
Fischer: Auch in Kurhessen-Waldeck gibt es zur Zeit umstrittene Projekte mit Auswirkungen auf das Klima. Zum Beispiel die Erweiterung des Kraftwerks Staudinger bei Großkrotzenburg. Eine nicht repräsentative medio-Umfrage in Großkrotzenburg hat eine gespaltene Bevölkerung gezeigt. Die Hälfte dafür, die Hälfte dagegen. Umweltpfarrer Stefan Weiß plädiert für eine effizientere und dezentralere Stromproduktion. Was sagt die Landeskirche?

Bischof Hein: Zunächst ist festzuhalten, dass der CO2-Ausstoß des umgebauten und in Etappen erweiterten Kraftwerks in Großkrotzenburg weiterhin erheblich sein wird, weil dieses Kraftwerk mit Kohle befeuert wird. Die Belastung für die Menschen in der Region bleibt bestehen. Ich persönlich halte auf Dauer die Verbrennung vorwiegend von fossilen Brennstoffen in Großkrotzenburg nicht für den geeigneten Weg, den Herausforderungen des Klimaschutzes zu entsprechen.

Fischer: An welche Alternativen denken Sie?

Bischof Hein: Zum einen ist die beste Möglichkeit immer noch die Energieeinsparung. Der zweite Weg geht über dezentrale Energieversorgungen. Und hier über einen Energiemix. Das heißt, verschiedene Energiequellen müssen genutzt werden – und zwar so dezentral, dass die leider in Kauf zu nehmenden Umweltbelastungen verteilt sind. Hier gibt es etwa mit Blockheizkraftwerken sehr positive Erfahrungen.

Fischer: Eine Rückkehr zur Atomkraft ist für Sie nicht vorstellbar?

Bischof Hein: Die Meldungen der vergangenen Woche haben gezeigt, dass Atomenergie aus den gegenwärtig in Betrieb befindlichen Kraftwerken keine sichere Energiequelle darstellt. Die Risiken sind letzten Endes nicht beherrschbar, so dass ich davor warne, bei diesem Sektor jetzt auf Expansion zu setzen.

Fischer: Ein zweites Projekt erhitzt zur Zeit die Gemüter besonders in Nord- und Osthessen: Die geplante Salzpipeline vom osthessischen Neuhof in die nordhessische Werra. Sie selbst, Herr Bischof, haben ja im Mai in Neuhof einen Gottesdienst  auf dem Kaliberg mitgefeiert .

Bischof Hein: Man muss zunächst sagen: Der Kali-Bergbau hat Tradition. Hessen ist nach Nordrhein-Westfalen das größte Bergbauland der Bundesrepublik, mit dem „weißen Bergbau“ in Nord- und Osthessen. Dass die Betreiberfirma nun eine solche Pipeline bauen will, leuchtet mir nicht ein. Es hat inzwischen politische Stellungnahmen seitens der betroffenen Landkreise, aber auch des Landes Hessen gegeben. Es scheint auf ein Gerichtsverfahren hin zu laufen, das entsprechende Klärungen bringen könnte. Insgesamt gesehen stellt sich aber auch hier die Frage: Wie sollen Arbeitsplätze gesichert werden, wenn auf der anderen Seite der Betreiber deutlichen Einschränkungen unterliegt? Mit anderen Worten: Der Konflikt zwischen Arbeitsplatzsicherung und Umweltschonung ist immer wieder neu auszutarieren.

Fischer: Befürchten Sie in diesem Zusammenhang auch einen möglichen Konflikt zwischen Kirchenkreisen in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck?

Bischof Hein: Ich kann das prinzipiell nicht ausschließen, sehe dafür aber gegenwärtig keine Anzeichen.

Fischer: Und die Rolle der Landeskirche?

Bischof Hein: Wir können uns als Landeskirche nicht anmaßen, Moderator zwischen den Firmeninteressen auf der einen Seite und den Umweltinteressen auf der anderen Seite zu sein. Das, glaube ich, werden wir nicht schaffen. Aber es geht darum, ein Bewusstsein für beide Interessenslagen zu schaffen und zur sachlichen Auseinandersetzung beizutragen.
Ich kann durchaus verstehen, dass man in Neuhof und Umgebung daran interessiert ist, Arbeitsplätze auf Dauer zu sichern und das Werk konkurrenzfähig zu erhalten. Auf der anderen Seite kann ich natürlich auch die Sichtweise der Region Hersfeld-Rotenburg verstehen, die ihrerseits überhaupt kein Interesse an einer weiteren Versalzung der Werra hat, nachdem es gerade mühsam gelungen ist, die hohe Salzfracht in der Werra nach 1989 deutlich zu verringern. Hier gibt es Situationen, in denen Sie, egal wie Sie sich entscheiden, anderen auf die Füße treten.

Fischer: Wir reden über die hessische Politik. Im nächsten Jahr werden die Karten im Land völlig neu gemischt. In Hessen stehen Landtagswahlen an. Wird es denn so etwas wie Wahlprüfsteine der Evangelischen Kirche geben?

Bischof Hein: Das hatten wir in den vergangenen Jahren bei Landtagswahlen nicht, und gegenwärtig gehe ich davon aus, dass es auch diesmal keine Prüfsteine gibt. Wir trauen es den Mitgliedern unserer Kirche durchaus zu, sich ein eigenständiges Urteil als mündige Bürgerinnen und Bürger zu verschaffen.

Fischer: Welche Kriterien sind Ihnen persönlich wichtig?
 
Bischof Hein: Zum einen die Frage der Glaubwürdigkeit der Politik: Ist das, was eine Partei will, tatsächlich auch deutlich benannt, oder gibt es geheime Strategien? Zum anderen sollte die Politik versuchen, trotz der begrenzten Möglichkeiten in Hessen Strukturpolitik zu treiben. Das bedeutet, Gebiete gerade im Osten und Norden Hessens nicht einfach abzuschreiben, sondern trotz der allgemeinen globalisierten Bedingungen die strukturschwachen Regionen zu fördern. Ich glaube außerdem, die Politik sollte dem Aspekt der Ganztagsschulen mehr Gewicht geben. Hier ist die Frage zu stellen, wie Kinder aus benachteiligten Familien deutlicher gefördert werden können. Ich habe ohnehin den Eindruck, dass in den nächsten Jahren auf den Bildungssektor noch erheblich mehr Gewicht gelegt werden muss. 

Fischer: Schulpolitik gehört in den Wahlkämpfen in Hessen zum festen Repertoire.  Frau Kultusministerin Wolff hat diese Tage mit einer Idee für Aufregung gesorgt. Wie ist Ihre Meinung: Soll die biblische Schöpfungsgeschichte demnächst auch in den Biologieunterricht Einzug halten?

Bischof Hein: Zunächst einmal muss man klar sagen, dass - aus meiner Sicht - die Ministerin an dieser Stelle sehr sinnentstellend wieder gegeben worden ist. Frau Ministerin Wolff plädiert keineswegs für eine kreationistische Interpretation der Schöpfungsgeschichte in der Bibel, wonach die Schöpfungsgeschichte als Alternativmodell zu den Einsichten der Naturwissenschaften verstanden werden könnte.
Worum es aus meiner Sicht geht, ist folgendes: Es geht um eine Begegnung zwischen Einsichten der Religion und Erkenntnissen von Wissenschaft. Und ich denke, dass der Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie oder zwischen Biologie und Religion auch im Unterricht eine ganze Menge an Chancen bietet.
Ich plädiere dafür, dass wir die Voraussetzungen wissenschaftlicher Erkenntnis thematisieren und uns in gleicher Weise bewusst werden, was mit dem Anspruch des Christentums auf Deutung der Welt verbunden ist. Konkret: Es kann doch nicht angehen, auf der einen Seite biologische Erkenntnisse wahrzunehmen und auf der anderen Seite davon die Theologie und auch die Einsichten des Glaubens völlig unberücksichtigt zu lassen. Es geht um den Versuch, einen Dialog miteinander zu führen. Eine kluge Wissenschaft wird sich immer auch ihrer eigenen Grenzen bewusst sein. Und der Glaube wird sich seinerseits nicht mit der wissenschaftlichen Erkenntnis in Eins setzen wollen.

Fischer: Das heißt, Sie plädieren für ein interdisziplinäres Gespräch sowohl im Fach Religion als auch in den naturwissenschaftlichen Fächern?

Bischof Hein: So ist das, und so wird das auch vom Lehrplan für Biologie etwa für die gymnasiale Jahrgangsstufe 12 gefordert. Es ist völlig nahe liegend, dass man die eigene Weltsicht zu anderen Erkenntnissen in Beziehung setzt. Ja, warum denn nicht? Und wo kämen wir hin, wenn wir das nicht mehr täten?!

Fischer: Um einen Dialog zwischen zwei unterschiedlichen Disziplinen geht es auch in meiner nächsten Frage: Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck setzt in diesem Jahr mit ihrer Begleitausstellung zur documenta 12 in Kassel einen ganz besonderen Akzent bei dem Thema Kunst. Warum macht sie das, Herr Bischof?

Bischof Hein: Kunst ist ein Seismograph für gesellschaftliche, kulturelle Entwicklungen. Und wenn wir uns als Kirche dieser Bewegung nicht stellen würden, würden wir ganz wesentliche Tendenzen, die es in unserer Gesellschaft gibt, verpassen. Kunst ist aber auch immer ein Faktor in der Gestaltung der Kirche selbst, bis hin zu der Tatsache, dass in den vergangenen Jahrhunderten die überwiegende Anzahl von Kunstwerken im religiösen Raum dargestellt wurde. Also insofern gibt es keine Berührungsängste zwischen Kunst und Kirche. Gleichzeitig gilt es, die Unabhängigkeit beider Bereiche wahrzunehmen.
Und immer erst dann, wenn ich beide Bereiche in ihrer Unabhängigkeit wahrnehmen kann, entdecke ich, wie sehr sich beide miteinander verbinden oder gegenseitig befruchten können.

Fischer: Sind Sie mit dem bisherigen Verlauf der kirchlichen „Vision | Audition“-Ausstellung zufrieden?

Bischof Hein: Was in der Kasseler Martinskirche und der Karlskirche zu sehen und zu hören ist, kommt mir teilweise geradezu genial vor. Das ist auf einem Niveau, das den Vergleich mit der documenta nicht scheuen muss.

Fischer: Einen weiteren Schwerpunkt setzt die Landeskirche mit dem Elisabethjahr. Das scheint alle Erwartungen zu übertreffen. Viele Menschen sehnen sich nach Identifikationsfiguren und Elisabeth scheint sich sehr gut dafür zu eignen.

Bischof Hein: Nach einer langen Zeit, in der der Geschichtsunterricht sich eher darauf bezogen hat, Bewegungen in den Blick zu nehmen und geschichtliche Tendenzen zu entpersonalisieren, gibt es gegenwärtig – auch gefördert durch das Medienverhalten – wieder eine Beziehung auf deutlich erkennbare und identifizierbare Köpfe. Und dazu gehört allemal Elisabeth. Sie wird allerdings heute anders wahrgenommen, so ist es mein Eindruck, als das in früheren Jahrhunderten der Fall ist.
Elisabeth ist eine Frau des Mittelalters. Sie war eine junge Frau. Sie hatte rebellische Züge und lebte ihr Leben in einer fast kaum nachvollziehbaren Radikalität. All das macht sie zumindest zu einer Gestalt, an der man sich reiben kann, mit der man sich auseinander setzen muss. Natürlich geht es nicht darum, das Leben der Heiligen Elisabeth unter heutigen Bedingungen eins zu eins zu imitieren. Niemand von uns würde so leben, dass er bereits mit 24 Jahren erschöpft und verausgabt stirbt. Aber die Radikalität ihrer Hingabe hat unter heutigen Gesichtspunkten, gerade wo alles ökonomisch verzweckt zu sein scheint, eine große Faszination. Wie stark das hinein reicht in unsere Gesellschaft, das überrascht uns.

Fischer: Kann man was daraus lernen? Sollte die Evangelische Kirche wieder mehr auf Personen setzen?

Bischof Hein: Um es ganz einfach zu sagen: Die entscheidende Person ist Jesus Christus. Und auf die können wir immer setzen. Sie gilt es nach vorne zu bringen, davon bin ich überzeugt. Aber darüber hinaus gibt es natürlich auch besonders glaubhafte Zeuginnen und Zeugen Jesu Christi. Und dazu gehört Elisabeth. Inzwischen sind wir als Evangelische durchaus wieder in der Lage, diese Menschen in einem übertragenen Sinn als Heilige zu bezeichnen: weil sie ein beispielhaftes Leben führen, und weil sich an ihnen zeigt, welche Gnade Gott ihnen schenkt – und damit auch, was Gott mit uns vorhaben kann. Es ist hilfreich, dass man das christliche Leben und christliche Handeln sowie die Art und Weise, wie wir glauben können, mit bestimmten Personen verbindet und es an ihnen auch verdeutlicht. Nicht von ungefähr haben wir sowohl im Kasseler Haus der Kirche wie im Predigerseminar in Hofgeismar Räume nach Glaubenszeugen aus unserer Landeskirche benannt.

Fischer: Das Elisabethjahr feiern katholische und evangelische Christen gemeinsam. In der vergangenen Woche haben zwei Verlautbarungen des Vatikans Aufsehen erregt: die Wiederzulassung der  traditionellen lateinische Messe und Veröffentlichung der römischen Kongregation für die Glaubenslehre "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“. Was halten Sie davon?

Bischof Hein: Das Papier der Glaubenskongregation trägt vorsätzlich zur Verschlechterung des ökumenischen Klimas bei. Der evangelischen Kirche wird aus Rom das Kirchesein abgesprochen. Das ist nun zunächst nichts Neues, sondern war bereits in der Erklärung „Dominus Jesus“ aus dem Jahr 2000 enthalten. Nur: Die permanente Wiederholung der Alleinvertretungsansprüche der römisch-katholischen Kirche stiftet keine theologische Klarheit, sondern zeugt  vielmehr von Ignoranz gegenüber der gelebten kirchlichen Wirklichkeit. Die evangelische Kirche ist gewiss anders als die römische Kirche: in ihrer Struktur und in ihrem Selbstverständnis. Ich wünschte mir, dass wir uns im Anderssein respektieren und die Vielfalt im christlichen Glauben als Reichtum und nicht als Mangel erleben. Das sollte eine zwischen den Kirchen geschwisterliche Selbstverständlichkeit sein. Es ist zutiefst zu bedauern, dass der Vatikan hier offensichtlich anders denkt.

Fischer: Sehen Sie die Wiederzulassung der traditionellen lateinischen Messe ähnlich kritisch?

Bischof Hein: Unbestritten ist für einen Menschen wie mich, der gerne Latein gelernt hat, die lateinische Messe ein Kunstwerk. Das steht völlig außer Frage. Sie hat bis hinein in die Musik das Empfinden geprägt. Auf der anderen Seite muss man fragen, was diese Rückkehr zur lateinischen Sprache in der römischen Kirche soll. Ich denke, es hatte gute Gründe, weshalb Luther im 16. Jahrhundert auf die Einführung der Volkssprache gedrungen hatte. Dem evangelischen Gottesdienstverständnis geht es darum, dass der Glaube vermittelt wird und dass Einsicht in den Glauben gewonnen wird. Wir sollen verstehen, worum es sich handelt. Deshalb die wunderbaren Lieder, die in der deutschen Sprache  gedichtet worden sind, deshalb die Übersetzung der Bibel ins Deutsche und deshalb hoffentlich verständliche Predigten, die den Gemeindegliedern vermitteln können, dass es Sinn macht, Christ zu sein. Ich habe den Eindruck, mit der Einführung der lateinischen Sprache wird die römische Messe wieder zu etwas, dem man nur beiwohnen kann als einem geheimnisvollen Vollzug. Und ich finde es bedenklich, wenn inzwischen darauf hingewiesen wird, dass für den Vollzug der Messe ausschließlich die Anwesenheit des Priesters notwendig sei. Gottesdienste ohne jegliche Gemeinde, da gebe ich Luther Recht, sind Winkelmessen.

Fischer: Und was bedeutet diese Entwicklung für die ökumenische Dimension des Gottesdienstes?

Bischof Hein: Gegenwärtig glaube ich nicht, dass das Bedürfnis nach der lateinischen Messe so ausgeprägt ist, dass die muttersprachlichen Gottesdienste im römischen Bereich vollkommen zurück gedrängt werden, aber es zeigen sich auch an dieser Stelle doch signifikante Unterschiede im Verständnis des Gottesdienstes, über die man weiter sprechen muss. Von Annäherungen zwischen dem römischen und evangelischen Gottesdienstverständnis kann gegenwärtig nicht die Rede sein. Römische Katholiken feiern etwas anderes als wir!

Fischer: Werfen wir noch einen Blick auf die evangelischen Kirchen in Hessen. Vor einem Jahr wurden die EKD-Reformvorschläge auch in Hessen lebhaft diskutiert. Mittlerweile scheint es ruhiger geworden zu sein, aber eine Arbeitsgruppe der beiden großen Kirchen in Hessen lotet die Möglichkeiten der Zusammenarbeit weiter aus. Können sie uns einen Zwischenstand geben?

Bischof Hein: Es gibt nicht nur eine Gruppe, sondern wir haben inzwischen eine ganze Reihe von Arbeitsausschüssen eingesetzt, die auf der konkreten Ebene schauen, wo es zwischen den beiden evangelischen Kirchen in Hessen mehr Möglichkeiten der Kooperation gibt. Man muss ganz deutlich sagen: Das Leitziel ist Kooperation! Wir wollen dadurch unsere Arbeit verbessern. Ob damit immer auch Einsparungen verbunden sind, werden die Prüfaufträge für die Bereiche Mission und Ökumene, Theologische Ausbildung, Religionspädagogik und Akademien zeigen. Ebenso ist zu fragen, wie die diakonische Arbeit besser miteinander verbunden werden kann. Das kann auch bedeuten, dass man gewisse Schwerpunkte in der einen oder anderen Kirche bildet. Bis zum Herbst 2008 sollen entsprechende Ergebnisse vorliegen. Insofern ist die Zeit, die vor uns liegt, spannend. Aber weder für unsere Landeskirche noch für die Evangelische Kirche in Hessen-Nassau läutet das Totenglöcklein. Wir wollen enger kooperieren.

Fischer: Vor einem Jahr war noch  die Rede von Kooperation oder vielleicht doch Fusion. Nach manch gescheiterten Fusionsversuchen in anderen Gliedkirchen der EKD scheint das Thema vom Tisch zu sein?

Bischof Hein: Das kommt darauf an. Es gibt Gebiete, etwa im Norden Deutschlands, wo man intensiv über eine Fusion nachdenkt, und die Pläne sind ja auch in Mitteldeutschland noch nicht vom Tisch. Aber für uns stellt sich weder aus finanziellen noch aus strukturellen Gesichtspunkten eine Notwendigkeit.

Fischer: Herr Bischof, zum Schluss noch drei persönliche Fragen. Hier ist die erste: An der Uni Kassel läuft zur Zeit eine Umfrage, welche biblische Geschichte den Menschen am wichtigsten ist. Wir fragen Sie: Welche Geschichte aus der Bibel gefällt Ihnen am Besten?

Bischof Hein: Die schönste Geschichte in der Bibel steht für mich in der Apostelgeschichte, Kapitel 17: Paulus predigt in Athen auf dem Areopag. Und wie er das tut, wie er beschreibt, dass er durch die Stadt gegangen ist, die verschiedenen Altäre betrachtet hat, und wie er dann das Evangelium mitten dort hinein bringt, das finde ich faszinierend. So verstehe ich meine Arbeit als Theologe. Deswegen ist das meine Lieblingsgeschichte.

Fischer: Sie haben als Bischof eine sehr anstrengende Aufgabe. Woraus schöpfen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?

Bischof Hein: Zum einen, und das ist mir das Wichtigste, aus dem Bewusstsein, von Gott getragen zu sein. Und dessen versichere ich mich jeden Tag im Gebet. Zum anderen – nicht religiös gesagt – muss ich einfach feststellen: Es ist eine ungemein abwechslungsreiche Herausforderung, und diese Abwechslung führt dann dazu, dass ich immer neu motiviert bin.

Fischer: Sie haben jetzt bald Urlaub. Worauf freuen Sie sich besonders?

Bischof Hein: Ich freue mich besonders darauf, dass ich, wenn auch nur kurz, ein Land kennen lerne, das ich bisher noch nie betreten habe – nämlich Schottland. Aber keine Bange: Die Erfahrungen, die ich dort mache, sollen keine weitere Sparrunde in unserer Kirche einleiten.

Fischer: Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß und viel Freude in diesem Urlaub. Und vielen Dank für das Gespräch!

Bischof Hein: Ebenso: Vielen Dank!

Das Interview führte Pfarrer Christian Fischer, Redaktionsleiter der landeskirchlichen Medienagentur «medio!» am 9. Juli 2007 in Kassel.