Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 30 Jun 2010

Bischof Prof. Dr. Martin Hein stellte sich am 29. Juni 2010 in Kassel den Fragen von medio-Redaktionsleiter Pfarrer Christian Fischer.

Fischer: Herr Bischof Hein, in Deutschland gab es in der letzten Zeit zahlreiche Rücktritte in Politik und Kirche. Wie könnte Ihrer Meinung nach eine «Kultur des Rücktritts» aussehen? – Konkret: Welche Gründe halten Sie für nachvollziehbar und welche Rücktritte halten Sie für nicht gerechtfertigt?

Bischof Hein: Überall dort, wo das Ansehen von Einrichtungen oder Institutionen durch Personen stark geschädigt wird, halte ich einen Rücktritt für angemessen. In diesem Jahr häuft es sich besonders. Allerdings sind die Anlässe höchst unterschiedlich, und man muss die jeweiligen individuellen Rahmenbedingungen in den Blick nehmen. Der Rücktritt von Frau Käßmann zum Beispiel hat überhaupt nichts mit dem Rücktritt von Bundespräsident Köhler zu tun, genauso wenig der angekündigte Rückzug des hessischen Ministerpräsidenten aus der Politik.

Fischer: Drei Rücktritte – welcher hat sie besonders überrascht?

Bischof Hein: Besonders bewegt hat mich der Rücktritt von Frau Käßmann. Das ist naheliegend. Am meisten überrascht hat mich der Rücktritt von Bundespräsident Köhler, weil ich dafür keine Voraussetzungen gesehen habe.

Fischer: Der dritte Rücktritt, der uns in Hessen besonders betrifft, ist der von Ministerpräsident Koch. Wie beurteilen Sie seine Rücktrittsankündigung?

Bischof Hein: Ich glaube, dass Ministerpräsident Koch nach elf Jahren Tätigkeit im Lande Hessen, übrigens der zweitlängsten Zeit, die ein Ministerpräsident in Hessen amtiert hat nach Georg August Zinn, den Eindruck hat, noch einmal etwas Neues beginnen zu wollen. Da ihm, nach meiner Einschätzung, Perspektiven in Berlin nicht offen stehen, halte ich den Schritt in einen neuen Arbeitsbereich jenseits der Politik durchaus für nachvollziehbar. Den Satz, dass Politik im Leben nicht alles sein kann, hat Ministerpräsident Koch früher häufig gesagt. Man hat es ihm als einem doch stark in der Politik verankerten Menschen nicht abgenommen. Aber er setzt das nun um, und das kann nur mit Respekt zur Kenntnis genommen werden.

Fischer: Der Nachfolger ist schon nominiert. Was erwarten Sie von Herrn Bouffier?

Bischof Hein: Wir führen mit den Politikern im Land Hessen, ganz gleich, welche Regierung in Hessen amtiert, sehr intensive Gespräche. Zunächst einmal wünsche ich mir die Fortsetzung dieses Dialoges. Zum anderen muss man sagen: Noch ist der Innenminister nicht als Ministerpräsident gewählt. Da gibt es sicher hinter den Kulissen auch noch die eine oder andere Auseinandersetzung hinsichtlich der Zusammensetzung der neuen Regierung. Das vermag ich nicht abzuschätzen. Für die neue Regierung wird nicht allzu viel Zeit bleiben, eigene Akzente zu setzen, die auch die Wählerschaft überzeugen. Da muss die neue Landesregierung relativ schnell ihre Akzentuierungen vornehmen. Ich denke, dass auch die Opposition dieses Revirement der Regierung zum Anlass nehmen wird, sich ihrerseits noch einmal neu aufzubauen.
Was ich mir wünsche, ist, dass der Bereich der Bildungs- und Sozialpolitik nicht vernachlässigt wird und dass auch in der Frage der Zuwanderung in Hessen eine liberalere Perspektive möglich wird.

Fischer: Sie haben selbst den Bereich der Bildung angesprochen. Nun spart die hessische Landesregierung schon jetzt an den hessischen Universitäten. Wie steht es um die Bildung in Hessen, Herr Bischof?

Bischof Hein: Ich habe jetzt nicht die hessische Landesregierung zu verteidigen. Nur der Eindruck, an der Bildung würde gespart, trügt. Die Landesregierung hat hohe Investitionen, allein hier in Kassel etwa im Bereich der Universität 200 Millionen Euro zusätzlich, vorgenommen. Der aktuelle Hochschulpakt hatte nur das Einfrieren und das Rückfahren auf ein Niveau von vor ein oder zwei Jahren zum Inhalt. Insgesamt ist das aber in der gegenwärtigen Situation schlecht zu vermitteln. Ich glaube, dass es der Landesregierung nicht gelungen ist, deutlich zu machen, dass man im Hochschulbereich einen gewissen Konsolidierungskurs fährt. Nach außen entsteht der Eindruck, es werde insgesamt an der Bildung gespart. Und um es deutlich zu sagen: Wer an der Bildung spart, geht fahrlässig mit einem ganz wesentlichen Kapital unserer Gesellschaft um. Deutschland hat einen hohen Standard in der Welt, weil wir ein recht gutes Bildungssystem haben, das verbesserungsfähig ist, wir aber auch nicht über Gebühr schlecht reden sollen. Ich halte Kürzungen im Bildungsbereich im Blick auf die Zukunftsfähigkeit unseres Landes für höchst problematisch.

Fischer: Nun ist auch die Evangelische Kirche im Bildungsbereich engagiert und aktiv. Wo kann die Kirche in dieser Zeit in der Bildung Akzente setzen?

Bischof Hein: Wir haben das große Feld des Religionsunterrichtes, und wir haben die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Das Jahr 2014 wollen wir als das «Jahr der Konfirmation» begehen. Da denken wir über den Konfirmandenunterricht nach. Wir sind engagiert im Bereich der Erwachsenenbildung und der Familienbildungsarbeit. Ich glaube, dass die Evangelische Kirche eine Bildungsinstitution ist und der Glaube nach evangelischem Verständnis ein «gebildeter» Glaube ist. Das forderte bereits Luther: Wir müssen Rechenschaft geben können über unseren Glauben. Das macht mündiges evangelisches Christsein aus.
Deswegen müssen nicht alle Menschen Abitur haben. Bildung ist ein sehr viel umfassenderer Begriff und endet auch nicht mit der Schulzeit. Wir haben als Landeskirche in den vergangenen zehn Jahren, in denen ich als Bischof diese Kirche geleitet habe, verstärkt Akzente im Regelschulbereich gesetzt mit der Gründung von zwei evangelischen Grundschulen, in Oberissigheim im Main-Kinzig-Kreis und in Schmalkalden im Freistaat Thüringen. Ich halte das für vorbildlich und für notwendig, um zu zeigen, wie sich evangelisches Bildungsverständnis in der Praxis niederschlägt.

Fischer: Bildung kostet Geld und das fehlt immer mehr. Alle sagen, es muss gespart werden. Wie ausgewogen sind für Sie die Sparpläne der Bundesregierung?

Bischof Hein: Es wird ja nicht gespart, sondern die Schuldenaufnahme verringert. Da hat sich inzwischen ein etwas eigenwilliges Verständnis von Sparen eingeschlichen. Und man muss ganz klar sagen: Ich halte die gegenwärtigen Vorschläge zur Konsolidierung des Haushaltes für sozial unausgewogen.
Ich habe sogar den Eindruck, dass bis hinein in die Wirtschaftskreise der CDU eine prinzipielle Bereitschaft vorhanden ist, die Lasten in unserer Gesellschaft gerechter zu verteilen. Es hat mich schon gewundert, dass ein Vertreter des Wirtschaftsflügels der CDU ebenfalls von einer sozialen Unausgewogenheit gesprochen hat. Wenn wir das Leitbild der solidarischen Gesellschaft nicht aus dem Blick verlieren wollen, bedeutet das für mich, dass diejenigen, die in unserer Gesellschaft die Starken sind, die Schwachen stützen.

Fischer: Was kann eine Landeskirche, was kann ein Bischof tun, um hier mehr Ausgewogenheit herzustellen?

Bischof Hein: Ich sage immer wieder, die Kirche ist nicht der bessere Staat, sondern wir haben unsererseits die Aufgabe, Politikerinnen und Politikern in schwierigen Situationen zur Seite zu stehen und ihnen möglicherweise Hilfen zur Entscheidungsfindung zur Verfügung zu stellen. Gerade auf Grund meiner Erfahrungen, die ich bei Reisen ins Ausland mache, halte ich die soziale Ausgewogenheit, die unser Land weiter prägt, für einen hohen Wert. Aber die Schere zwischen arm und reich wird nachweislich größer. Ich glaube, die Kirche hat die Aufgabe, zu mahnen, dass dieser Prozess nicht als ein naturwüchsiger oder zwangsläufiger verstanden wird, sondern dass wir die auseinander driftenden Bereiche unserer Gesellschaft stärker zueinander führen. Wenn es uns in der Kirche etwa gelingt, Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Bildungsniveaus, unterschiedlichen sozialen Status im Gottesdienst zusammen zu führen, dann ist das eines der wenigen Beispiele dafür, wo solch eine Solidarität in unserer Gesellschaft noch sichtbar wird. Von Politikern zum Beispiel wird viel zu wenig wahrgenommen, dass der Gottesdienst eine «gesellschaftliche Veranstaltung» ist, die für alle Menschen offen ist und die von vielen Menschen unterschiedlicher Prägung wahrgenommen wird und von ihnen besucht wird.

Fischer: Herr Bischof, wir haben über Sparen gesprochen. Das Sparen hat einen Grund: die immer stärker wachsenden Schuldenberge. Spüren auch Sie die Angst angesichts dieser riesigen Staatsverschuldung, in Deutschland, in Hessen, in den Kommunen?

Bischof Hein: Alle reden drüber. Aber faktisch hat niemand Angst, weil niemand die unmittelbaren Auswirkungen spürt. Es geht uns meist genauso gut wie vor der Finanzkrise. Das heißt also: Bei dieser Angst handelt es sich um etwas sehr Diffuses. Ich bin der Meinung, die exorbitanten Staatsverschuldungen sind moralisch nicht mehr zu vertreten. Wir lasten um unseres eigenen Fortkommens willen künftigen Generationen derart viel auf, dass sie das auf Dauer nicht werden tragen können. Es sind jetzt ein kluges Management und kluge Entscheidungen gefragt, die auch Einschnitte in die bisherigen Rahmenbedingungen unseres Lebens bedeuten können. Das will ich gar nicht bestreiten. Das könnte etwa zum Einfrieren von Gehältern führen. Ich halte es nicht für prinzipiell verwerflich, über solche Dinge nachzudenken. Ein besinnungsloses und bedingungsloses Schuldenmachen auf Kosten anderer verletzt den Generationenvertrag, auf dem unsere Gesellschaft  basiert.

Fischer: Sparen muss ja nicht nur der Staat, sondern auch die Kirche. Sehen Sie denn in unserer Kirche Ansätze für innovatives Sparen, das konzeptionell weiter führt.

Bischof Hein: Wir müssen unseren Haushalt weiter konsolidieren. Das ist uns in den vergangenen sechs Jahren gut gelungen. Aber das Schlimmste wäre, wenn wir uns nur noch darauf beschränken, die Finanzen sachgemäß zurück zu führen. Wir müssen die Handlungsfähigkeit behalten, auch mit Projekten nach vorne zu schauen.
Hier sind viele Aktionen zu nennen: «Mit Kindern neu anfangen», «Erwachsen glauben», «Offene Kirchen» oder die Einrichtung von Kirchenläden und Kircheneintrittstellen. Warum sind wir da eigentlich so zurückhaltend? Warum werben wir nicht dafür, Mitglied in einer Kirche zu sein, und zwar in der evangelischen?

Fischer: Aber auch solche Projekte kosten Geld. Wo sollte eingespart werden?

Bischof Hein: Wir haben im Rahmen unserer Sparmaßnahmen immer etwas mehr gespart, als wir vielleicht hätten sparen müssen. Deshalb haben wir die Handlungsfreiheit, manche Dinge auch innovativ anzugehen. Entscheidend ist: Lieber, auch wenn es manchmal grausam erscheint, einen Schritt weiter zu gehen, als es in dem Augenblick nötig ist, um dann mit den vorhandenen Rücklagen tatsächlich in bescheidenem Maß innovative Dinge nach vorne zu bringen. Alles andere wäre keine Kirchenpolitik. Da würde es genügen, wenn Sie einen Rasenmäher einschalten.

Fischer: Wenden wir uns einem anderen Thema zu – der Ökumene. Sie waren auf dem Ökumenischen Kirchentag in München aktiv dabei. Haben sich Ihre Erwartungen an diesen Kirchentag und die Ökumene erfüllt?

Bischof Hein: Bezogen auf unsere Landeskirche und das Bistum Fulda, mit dem wir überwiegend deckungsgleich sind, kann ich sagen: Ja, das ist der Fall. Wir präsentierten uns in München mit einem wunderbaren gemeinsamen Stand auf dem Kirchentag, der von vielen Menschen besucht worden ist. Das war ein voller Erfolg.

Fischer: …und die Schattenseiten?

Bischof Hein: Insgesamt ist der Ökumenische Kirchentag natürlich überschattet gewesen von der Missbrauchsdebatte, die überwiegend die katholische Kirche betrifft aufgrund der Rahmenbedingungen, die dort vorhanden sind. Es sind auch einige innovative Ideen laut geworden, die eine deutliche Veränderung der katholischen Kirche hin in die Gestalt einer evangelischen Kirche zur Folge haben. Ich denke, wir werden in der nächsten Zeit manches erwarten können, was uns vielleicht vor zwei, drei Jahren noch unvorstellbar erschien. Wenn inzwischen Bischöfe fordern, über den Zölibat nachzudenken, oder zumindest darüber sprechen, dass Frauen zum Diakonat zugelassen werden könnten - wenn ich das vor fünf Jahren angemahnt hätte, hätte man mir gesagt, ich möge doch bitte das Gegenüber nicht überfordern. Inzwischen sind diese Forderungen selbst in der katholischen Kirche laut geworden. Insofern denke ich, dass wir in den nächsten zehn Jahren manch Spannendes in der Ökumene erleben werden.

Fischer: Medienberichten zufolge ist auch im Bistum Fulda in Sachen Reformen aktuell einiges in Bewegung geraten. So scheint man auch über eine Neubewertung der konfessionell verschiedenen Ehen bei der Zulassung zur Kommunion nachzudenken  und vieles mehr.

Bischof Hein: Das war eine Forderung, die der damalige EKD-Ratsvorsitzende Landesbischof Lohse schon 1980 gegenüber dem Papst bei dessen Besuch in Mainz genannt hat. Man muss sich das vorstellen: 30 Jahre ist da nichts passiert. Und auf einmal bricht diese Fragestellung in der katholischen Kirche selbst auf. Das ist zwar spät, aber nicht zu spät.

Fischer: Welche Zukunft sehen Sie denn für den konfessionsgebundenen Religionsunterricht? Dort stellt sich ja auch die Frage im Hinblick auf den Islam…

Bischof Hein: Die Evangelische Kirche setzt sich für einen konfessionsgebundenen Religionsunterricht auch im Blick auf den Islam ein, sofern die gleichen Bedingungen beachtet werden, unter denen auch der konfessionsgebundene Unterricht der evangelischen und katholischen Kirche stattfindet. Das ist nicht neu. Ich habe das bereits im Jahr 2001 auf dem Evangelischen Kirchentag in Frankfurt in einer Diskussion deutlich gemacht. Es zeigt sich, dass die Etablierung oder die Einführung eines islamischen Religionsunterrichtes ein langsamer Prozess ist. Hier wird man nichts überstürzen dürfen. Aber man braucht auch keine Ängste zu haben.

Fischer: Wie könnte das konkret aussehen?

Bischof Hein: Ich glaube, es kann gelingen, den Religionsunterricht für Muslime im öffentlichen Schulsystem so durchzuführen, dass gewährleistet bleibt, dass er ein Fach innerhalb des öffentlichen Schulsystems ist. Das war der Religionsunterricht stets. Deswegen habe ich mich in der Zeit, als ich selbst im Gymnasium unterrichtet habe, dagegen gewehrt, dass man den Religionsunterricht aus dem Fächerkanon heraus nimmt und ihn als ein Fach einer besonderen Art darstellt. Das ist der falsche Weg! Auch im Religionsunterricht geht es um die Frage kritischer Beurteilung der eigenen Religion, also um Wissen und um Können. Das heißt, hier werden auch Inhalte vermittelt, die abgefragt werden können. Insofern unterscheidet sich der Religionsunterricht in unserem Schulsystem deutlich vom Konfirmandenunterricht und natürlich auch vom Unterricht, der in Koranschulen stattfindet.

Fischer: Was bedeutet dies für die Ausbildung der Lehrkräfte?

Bischof Hein: Ein guter islamischer Religionsunterricht ist nur möglich, wenn auch eine entsprechende Ausbildung der Islamlehrerinnen und Islamlehrer an deutschen Hochschulen stattfindet. Es muss gemeinsame Anstrengungen der Länder geben, zumindest an einzelnen Universitäten in Deutschland islamischen Religionsunterricht und Didaktik des islamischen Religionsunterrichtes als Studienfach einzurichten. Hier sollten wir auch nicht unter dem Niveau bleiben, das wir im evangelischen bzw. katholischen Religionsunterricht haben.

Fischer: Einige persönliche Fragen zum Schluss: Sie sind gerade aus Südafrika zurück gekommen. Haben Sie etwas von der Stimmung der Fußball-Weltmeisterschaft dort mitbekommen?

Bischof Hein: Anlass zu meiner Reise nach Südafrika war die Konsultation mit den Bischöfen unserer Partnerkirchen. Anwesend waren die Bischöfe aus Namibia, Estland, Indien, Südafrika und ich. Aber da sich der Sitz unserer Partner-Diözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche im südlichen Afrika in Rustenburg befindet, gab es die Möglichkeit, sich zumindest ein Fußballspiel anzuschauen. In dem Spiel Dänemark gegen Japan haben die Japaner für mich überraschenderweise überzeugend gespielt. Und wir haben gemerkt, welch große Begeisterung diese Weltmeisterschaft in Südafrika ausgelöst hat. Ein Problem ist, was passiert, wenn die WM vorbei ist. Was passiert mit diesen wunderbar modernen Stadien? Wie werden sie später genutzt? Was passiert mit der Infrastruktur, die jetzt aufgebaut worden ist, wenn nicht mehr so viele Touristen kommen? Ob sich solch eine Fußball-Weltmeisterschaft insgesamt für ein Land lohnt, auch wirtschaftlich, vermag ich nicht zu beurteilen. Was die Emotionen angeht, hat es sich für Südafrika ganz bestimmt gelohnt. Sie sind unheimlich stolz, obwohl ihr eigenes Team vergleichsweise bescheiden aufgetreten ist.

Fischer: Kann die Fußball-WM etwas dazu beitragen, den Dialog zu fördern?
 
Bischof Hein: Ich bin jetzt zum zweiten Mal in Südafrika gewesen und habe stärker als beim ersten Besuch gemerkt, dass die Apartheid, die strikte Trennung zwischen schwarz und weiß, in den Köpfen der meisten noch fortwirkt. Es gibt kaum Durchmischungen von Wohngebieten und es gibt auch kaum Kontakte zwischen Schwarzen und Weißen. Und das nach all den Jahren, in denen versucht worden ist, eine Annäherung und Versöhnung innerhalb der Gesellschaft durchzuführen. Das ist bitter und manchmal deprimierend.

Fischer: Können deutsche Partner Impulse geben?

Bischof Hein: Wir sind während der Zeit der Apartheid diejenigen gewesen, die als Weiße zu den schwarzen Kirchen die Kontakte aufrecht erhalten haben. Insofern sind diese Kirchen im südlichen Afrika hier auch weiterhin auf unsere Unterstützung angewiesen. Aber manchmal bin ich an dieser Stelle ratlos. Es ist schlichtweg schwierig zu erfahren, wenn ich mit meinem südafrikanischen Partnerbischof durch eine Gegend fahre und er sagt, hier das ist eine Kirche der Weißen und das da ist eine Kirche der Schwarzen. Da frage ich mich schon: Was hat das Evangelium von Jesus Christus, das uns ja sagt, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Menschen, weil wir alle eins sind in Christus, für dieses Land zu besagen? Da ist noch viel zu machen.

Fischer: Welche positiven Bilder haben Sie von der Fußball-WM mitgenommen?

Bischof Hein: Ich habe mich in vielfacher Hinsicht bei dieser Weltmeisterschaft eher an einen Kirchentag erinnert in seiner ganzen Internationalität als an eine Auseinandersetzung zwischen 32 Staaten. Bei dem Spiel Dänemark gegen Japan etwa: Kaum, dass sich die Fans gegenüber standen - oft so gekleidet, als handele es sich um Karneval, die Japaner als Samurai und die Dänen als Wikinger - kaum, dass man sich sah: man umarmte sich, es gab mengenweise gemeinsame Bilder, wo sich die blauen Japaner und die roten Dänen zusammen fotografieren ließen. Also eine Mischung aus Kirchentag und Karneval. Das habe ich sehr genossen.

Fischer: Sommerzeit ist Ferienzeit. Was werden Sie in diesem Jahr im Urlaub unternehmen?

Bischof Hein: Ich werde wieder verreisen. Und diesmal auf einen anderen schönen Kontinent, den ich besonders liebe: in die Vereinigten Staaten.

Fischer: Herr Bischof, dann wünschen wir Ihnen einen erholsamen Urlaub und eine gesegnete Zeit. Vielen Dank für das Gespräch.

(29. Juni 2010)