Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 08 Jul 2008

Kassel (medio). In einem ausführlichen Interview mit der landeskirchlichen Medienagentur «medio!» hat der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Dr. Martin Hein, kurz vor seinem Sommerurlaub zu aktuellen Fragen Stellung genommen.

Die Fragen stellte medio-Redaktionsleiter Pfarrer Christian Fischer. Wir dokumentieren das Interview im Wortlaut:

Fischer: Herr Bischof Hein, in den letzten Tagen sind zahlreiche internationale Gäste nach Hofgeismar gekommen. Dort tagte der «Ständige Ausschuss für Konsens und Zusammenarbeit» des Ökumenischen Rates der Kirchen. Sie vertreten die Evangelische Kirche in Deutschland. Was ist das Ergebnis dieser Tagung?

Bischof Hein: Zunächst haben wir uns gefreut, als Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck Gastgeberin für diese Tagung zu sein. Das letzte Mal haben wir uns in Damaskus getroffen; jetzt in Hofgeismar. Das ist eine gute Traditionslinie. Inhaltlich ging es darum zu schauen, ob die beiden tragenden Konfessionsfamilien des Weltkirchenrates, die reformatorischen Kirchen und die orthodoxe Kirche, in der weiteren Planung der Arbeit des Weltkirchenrates angemessen jeweils ihre unterschiedlichen Positionen einbringen können und ob das Ganze zu einem größeren Verständnis füreinander geführt hat. Angesichts der Gespräche in Hofgeismar bin ich der Meinung, das ist gelungen.

Fischer: Gleich im Anschluss an diese Tagung trifft sich ein weiteres Gremium in Hofgeismar. Es bereitet die Wahl eines neuen Generalsekretärs des Ökumenischen Rates vor. Wagen Sie für uns eine Prognose?

Bischof Hein: Der Findungsausschuss hat zunächst einmal die Aufgabe, sich über die Kriterien, die an alle Mitgliedskirchen hinsichtlich der Wahl des Generalsekretärs versandt worden sind, zu verständigen. Ich denke, es wird auch noch einmal darum gehen, nachzufragen, wie es dazu gekommen ist, dass der bisherige Generalsekretär nicht zur Wiederwahl zur Verfügung steht …

Fischer: ...also ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Warum muss das jetzt sein?

Bischof Hein: Wir stehen alle noch unter dem Eindruck der Tatsache, dass der Generalsekretär, der ursprünglich bereit war, wieder zu kandidieren, sich nun nicht mehr erneut zur Wahl stellen will. Es gibt einen kleinen Ausschuss, der damit befasst ist, die Hintergründe transparent zu machen. Ich glaube, dass das noch einmal eine Rolle spielt, bevor man sich der Frage zuwendet, welche Person in der Lage ist, das Schiff des Weltkirchenrates in der Zukunft mutig, besonnen und sachkundig zu steuern.

Fischer: Da geht es um Personen und auch um Gruppierungen ...

Bischof Hein: Jede Person repräsentiert bestimmte Tendenzen. Dies wird im Findungsausschuss bedacht. Dann werden Vorschläge von Personen gemacht werden, die ihrerseits auf einen breiten Konsens bei der Abstimmung rechnen können.

Fischer: Wie muss das Profil eines zukünftigen Generalsekretärs, einer Generalsekretärin aussehen?

Bischof Hein: Der nächste Generalsekretär oder eine künftige Generalsekretärin sollte in der Lage sein, nach innen integrierend zu wirken und nach außen hin etwas darzustellen, um auch im Bereich des öffentlichen Lebens, der Politik, der Wirtschaft anerkannt zu sein.

Fischer: Werfen wir einen Blick auf Hessen. Wie ist es da um die Ökumene bestellt?

Bischof Hein: Wir haben gegenwärtig überhaupt keine Schwierigkeiten im Umgang miteinander. Die Ökumene ist von gegenseitigem Respekt geprägt. Ein Beispiel: Allein in diesem Jahr habe ich bereits vier ökumenische Gottesdienste gefeiert. Das ist Ausdruck einer großen Selbstverständlichkeit, mit der sich, gerade in Hessen, evangelische und römisch-katholische Kirche begegnen.

Fischer: Die römisch-katholische Kirche hat vom 28. Juni 2008 bis zum 29. Juni 2009 ein Paulusjahr ausgerufen. Paulus hatte einen großen Einfluss auf Martin Luther, manche bezeichnen ihn sogar als evangelischen Theologen.

Bischof Hein: Ich denke, das Paulusjahr war für die katholische Kirche an der Reihe, denn sie hat sich sehr viel stärker als die evangelische Kirche stets auf Petrus berufen. Paulus ist in vielfacher Hinsicht der Kronzeuge der evangelischen Kirche.
Und es hat schon, das zeigt das Neue Testament sehr deutlich, in der frühen Zeit zwischen Petrus und Paulus Auseinandersetzungen gegeben. Insofern ist es an der Zeit, dass sich auch die katholische Kirche stärker mit der Gestalt des Apostels Paulus beschäftigt. Ich fände es allerdings schade, wenn er gewissermaßen «petrinisch» umgedeutet wird. Solche Versuche hat es im Laufe der Kirchengeschichte immer gegeben. Augustin hat gesagt, Petrus geht voran und Paulus folgt ihm. Eine solche Gegenüberstellung ist uns Evangelischen eher fremd. Ich glaube, wir haben Paulus sehr viel zu verdanken.

Fischer: Wird es im Paulusjahr zu besonderen Begegnungen kommen oder wird es Foren der Auseinandersetzung zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche geben?

Bischof Hein: Das ist mir nicht bekannt. Man hätte dies sicher tun können. Nur muss man sich auch fragen, welche Bedeutung solch ein Jahr insgesamt besitzt. Manche Gedenkjahre sind sehr präsent, andere rutschen schnell in den Hintergrund. Ich denke, dass es auch der evangelischen Kirche gut täte, sich wieder verstärkt mit der besonderen Gestalt des Apostels Paulus zu beschäftigen. Letzen Endes verdanken wir ihm unsere Form des Christentums.

Fischer: Kommen wir zu politischen Fragstellungen: Ganz aktuell sorgte Hamburgs ehemaliger Justizsenator Kusch für einen Tabubruch, als er aktive Hilfe zum Suizid leistete und dies einer breiten Öffentlichkeit präsentierte. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen?

Bischof Hein: Die Nachricht hat mich empört, vor allem aber in meinen seit langem öffentlich geäußerten Befürchtungen bestätigt. Dass Menschen Angst vor der letzten Phase ihres Lebens, vor Krankheit und Schmerzen haben, auch vor Hilflosigkeit und Einsamkeit im Alter, das kann jeder verstehen. Entscheidend aber ist, wie man damit umgeht. Gott hat jedem Menschen das Leben geschenkt und mit ihm eine Würde, die für alle Etappen des Lebens gilt - auch auf unserem letzten Weg. Unsere Gesellschaft ist aufgefordert, alles Geeignete zu tun, dass diese Würde auch in der Praxis gewahrt bleibt. Dazu gehören ein zügiger Ausbau der Palliativmedizin und der Hospizarbeit und ihre entsprechende finanzielle Ausstattung durch den Staat. Dasselbe gilt für die häusliche und stationäre Pflege. Empörend finde ich das Auftreten von Herrn Kusch, der sich in der Öffentlichkeit als Anwalt der Menschlichkeit ausgibt. Tatsächlich gehört er zu denen, die die Würde des Lebens vorsätzlich aushöhlen.

Fischer: Was ist zu tun? - Der Bundesrat konnte sich noch nicht auf ein Verbot organisierter Sterbehilfe einigen.

Bischof Hein: Es ist einerseits bedauerlich, dass der Gesetzgeber nicht schnell auf die etwa von Herrn Kusch organisierte Sterbehilfe reagiert. Anderseits muss man sagen: Lieber ein gründliches Gesetz, das das Leben schützt, als eine Regelung, die gegebenenfalls einer gerichtlichen Prüfung nicht standhält. Deutlich muss auch sein: Ein Gesetz ist ein wichtiger Baustein, das Leben zu schützen. Genauso wichtig ist es, die genannten Rahmenbedingungen zu schaffen, damit am Ende des Lebens die Würde des Lebens gewahrt bleibt und nicht der Todescocktail steht. Unsere Gesellschaft befindet sich hier tatsächlich an einem Scheideweg. 

Fischer: Zwei weitere Themen beherrschen in diesem Sommer die Schlagzeilen: die steigenden Energiepreise und die wachsende Armut trotz wirtschaftlich positiver Rahmendaten. Sind Sie angesichts der zunehmenden Armut in Deutschland besorgt?

Bischof Hein: Die evangelischen Kirchen und Diakonischen Werke in Hessen haben unmittelbar auf die Veröffentlichung des Armutsberichtes der Bundesregierung reagiert und in einer sehr differenzierten Stellungnahme noch einmal unsere Forderung an die Politik gerichtet. Es geht darum, dass wir eine Option für diejenigen treffen, die trotz Wirtschaftswachstum nur wenig daran partizipieren. Wir haben den Eindruck, dass die Sozialpolitik immer weniger in der Lage ist, Menschen vor Armut zu schützen. Wir fordern von der Politik Maßnahmen, die gefährdete Menschen in die Lage versetzen, eigenverantwortlich zu handeln. Es scheint, dass die Umverteilung heute eine Umverteilung des Mangels ist, weil auf der anderen Seite der Überfluss derer, die die Besitzenden sind, eher geschont wird. Man muss deutlich sagen, dass die Schere zwischen arm und reich auseinander geht.

Fischer: Sie sagen, die Politik muss einschreiten. Viele Menschen trauen der Politik bei diesem Thema wenig zu. Wie ist das mit Ihnen? Glauben Sie, dass die Politik hier etwas bewegen kann?

Bischof Hein: Ich glaube, die Politik könnte das, wenn sie es wollte. Aber ich habe den Eindruck, dass die gegenwärtige Politik in Deutschland bemüht ist, allen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen.

Fischer: Und wie sieht es mit der Verantwortung der Wirtschaft aus?

Bischof Hein: Es wäre falsch, jetzt die Wirtschaft grundsätzlich an den Pranger zu stellen. Die Wirtschaft ist derjenige Bereich des gesellschaftlichen Lebens, der uns die Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Das ist in der letzten Zeit in erheblichem Maße geschehen. Ich prangere eher die Auswüchse an, die sich etwa im Gehalt von Spitzenmanagern niederschlagen. Aber eine Klassenkampfideologie wieder hervor zu holen, halte ich unter den gegebenen Bedingungen für vollkommen falsch.

Fischer: Passen das Streben nach immer höherer Produktivität und nach immer höherem Gewinn auf der einen Seite und das christliche Menschenbild auf der anderen Seite zusammen?

Bischof Hein: Deckungsgleich ist das natürlich nicht. Das christliche Menschenbild hat immer auch die im Blick, die nicht mehr mitkommen, die diesem Wettbewerb nicht gewachsen sind. Zugleich aber ist Erfolg nicht von vornherein Sünde.

Fischer: Welche Rolle sollen die Kirchen in der Debatte um Armut spielen?
 
Bischof Hein: Sie sollen deutlich Position beziehen und die Politik an ihre Verantwortung für das gesamte Gemeinwohl erinnern. Und das heißt konkret: Wir fordern eine steuerliche Entlastung für Menschen mit niedrigen Einkommen. Wir fordern auch, dass das Wohngeld und der Kinderzuschlag für diese Menschen angehoben werden.
Nun mag man uns entgegen halten, es ist immer leicht, Forderungen aufzustellen, es muss auch der Gedanke der Finanzierbarkeit in den Blick genommen werden. Aber hier halte ich eine Steuerpolitik, die ein wenig stärker zu Lasten der Wohlhabenderen geht, durchaus für angemessen. Das ist Ausdruck einer Solidarität, die in Deutschland eine gute Geschichte hat.

Fischer: Viele Menschen sind auch über die steigenden Energiepreise besorgt. Mancher macht sich schon Gedanken, wie er über den Winter kommen soll ...

Bischof Hein: Energie wird inzwischen so teuer, wie sie nun einmal ist. Der erste Schritt zur Verminderung der Ausgaben ist die Energieeinsparung. Das ist aber eine Binsenweisheit, die die Kirchen und die Umweltbeauftragten in vergangenen Zeiten immer gesagt haben. Inzwischen haben viele Menschen Angst vor einer Inflation durch die rapide und rasant angestiegenen Energiepreise. Das zeigt, wie dünn der Boden ist, auf dem wir uns ökonomisch bewegen. Auch die Frage nach der Erschließung neuer Energiequellen wird in der nächsten Zeit eine politische Herausforderung sein.

Fischer: Für viele Kirchengemeinden besteht die Herausforderung darin, im nächsten Winter für eine warme Kirche zu sorgen. Oder werden wir im Gottesdienst demnächst frieren müssen?

Bischof Hein: Ich denke, man kann sich auf einen Gottesdienstbesuch im Winter einstellen. Die Kirchen sind bisher selten kälter als 15 Grad gewesen. Ob wir wie früher für eine Stunde noch einmal so aufheizen können, dass man sich den Mantel auszieht, wage ich zu bezweifeln. Schlecht finde ich allerdings, wenn Gemeinden zunehmend auf die Idee kämen, ihre Kirchen den Winter über kalt zu lassen und stattdessen in Gemeindehäuser zu gehen. Dann kann man sich zu Recht fragen, wofür wir hohe Summen in die Restaurierung und Sanierung von Kirchen investieren. Ich glaube, alle sind in der Lage, sich persönlich warm anzuziehen und dann eine bis anderthalb Stunden auch in einer etwas kühleren Kirche zu verbringen.

Fischer: Kommen wir zu sommerlicheren Themen: Ganz Deutschland scheint ja eine große Sehnsucht nach Sommermärchen zu haben. Woher kommt  diese  Riesenlust aufs Feiern und immer ausgerechnet beim Fußball?

Bischof Hein: Im Sommer lässt sich besser feiern als im Winter. Man kann draußen sein. Wir haben es wieder erlebt: Während in der Schweiz und in Österreich Sturzbäche herunter gingen, sind wir hier in Deutschland vom schlechten Wetter verschont geblieben. Es macht einfach Spaß, ins Freie zu gehen. Alle zwei Jahre wird uns das gegenwärtig durch den Fußball ermöglicht. Wir entdecken ganz neue Formen von Gemeinschaft. Lange Zeit war es so, dass man sich zu Hause vor den Fernseher gesetzt hat. Inzwischen ist Public Viewing eine Sache von vielen Menschen, sei es auf den großen Fanmeilen, sei es aber auch in vielen Kirchengemeinden: etwa in unserer Landeskirche, wo bis zu 200 Leute zusammen gekommen sind, um nichts anderes zu tun als gemeinsam ein Fußballspiel zu schauen. Das Spannende am Fußball ist, dass man nicht weiß, wie es ausgeht. Und der Fußball hat eine große Faszination, weil er dazu anleitet, mit dem Versagen umzugehen. Etwa 80 Prozent aller Spielzüge beim Fußball gelingen nicht.

Fischer: Wie haben Sie das Scheitern der deutschen Mannschaft im Finale erlebt?

Bischof Hein: Ich hatte ja von Anfang an auf die deutsche Mannschaft gesetzt.  Aber nach der Niederlage gegen Kroatien wurde schnell deutlich, dass in dieser Mannschaft gewisse Potentiale nicht zur Geltung kamen. Anschließend wurde das Ganze als «Rumpelfußball» dargestellt und mit den typisch deutschen Tugenden, also Durchsetzungskraft und Disziplin, verbunden. Andererseits waren die Spiele gegen Portugal und die Türkei nicht so rumpelig, wie man es erwarten musste. Aber beim Endspiel war Kennern etwa nach zehn Minuten klar, dass irgendwie der zündende Funke im deutschen Spiel fehlte. Ich hätte mir mehr gewünscht. Dass man jetzt das Ergebnis schön redet, überzeugt mich nicht. Ich glaube, es ist eine deutliche Selbstkritik hinsichtlich der Spielweise, der Aufstellung und der Spieler beim DFB notwendig.

Fischer: Regen Sie sich beim Spiel auf oder sind Sie eher gnädig?
 
Bischof Hein: Wie gesagt: Fußball ist ein Spiel, bei dem das meiste nicht gelingt. Die meisten Abschläge, die meisten Pässe kommen nicht an. Das ist ganz wichtig: Fußball lehrt, mit Versagen umzugehen, mit Nichtkönnen. Ich bin, glaube ich, eher kritisch. Zwar würde ich die Spieler nicht so zusammenstauchen, wie das der türkische Trainer gemacht hat, aber ich denke, ein produktiver Druck kann die Leistung einer Mannschaft fördern.

Fischer: Weit entfernt von einer guten Mannschaftsleistung ist die Politik in Hessen. Nach den Wahlen Anfang des Jahres gab es außer Machtspielen wenig Produktives zu berichten. Wie sehen Sie die Lage in Hessen, Herr Bischof?

Bischof Hein: Dass das Parlament regiert und nicht mehr die Regierung, erweist sich auf Dauer als schwierig. Um es konkret zu sagen: Wenn es nicht gelingt, eine Mehrheitsregierung in Hessen zusammen zu stellen, halte ich Neuwahlen im ersten Quartal des kommenden Jahres für unausweichlich.

Fischer: Ein Thema hat die Gemüter junger Leute besonders erhitzt: Die Studiengebühren. Da Sie selbst an einer Universität lehren, möchte ich Sie fragen:  Ist die Abschaffung der Studiengebühren aus Ihrer Sicht richtig?

Bischof Hein: Es gab für die Einrichtung der Gebühren gute Gründe. Es gibt auch für die Abschaffung der Gebühren gute Gründe. Wenn es gelingt, den Ausfall an Studiengebühren durch den Haushalt zu kompensieren, braucht man keine Studiengebühren. Man muss aber deutlich sagen, dass die Studiengebühren in bestimmten Bereichen zu einer verbesserten Ausstattung des Lehrbetriebes geführt haben. Das ist nicht zu bestreiten.

Fischer: Das klingt so, als wenn sie die Abschaffung eher bedauern …
 
Bischof Hein: Ich kann mit der einen wie mit der anderen Entscheidung leben. Das sage ich nicht als jemand, der schon studiert hat, sondern der auch für Kinder im Studium selbst noch bezahlt. Es gibt, wie gesagt, für beides gute Gründe. Das Problem ist, dass dieses Thema parteipolitisch polarisiert wurde.

Fischer: Mal abgesehen von der Parteipolitik. Welche Schritte empfehlen Sie, um die Bildung zu verbessern?

Bischof Hein: Eine bessere Ausstattung der Universitäten, eine bessere Ausstattung mit Lehrerinnen und Lehrern und mit Sachmitteln in den Schulen. Ich glaube, da ist in den letzten Jahren einiges aufgeholt worden. Wir sind aber noch längst nicht wieder soweit, dass man Hessen ein «Bildungsland» nennen könnte.

Fischer: Umstritten ist nicht nur die Bildungspolitik. Zwei Projekte in Hessen werden schon seit langer Zeit von Umweltschützern bekämpft: Der Ausbau des Flugplatzes in Kassel-Calden und das Kohlekraftwerk Staudinger. Kassel-Calden hat ja vor kurzem, wie es scheint, alle juristischen Hürden erst mal genommen …

Bischof Hein: Wir haben uns als Landeskirche bewusst einer Stellungnahme zum Flughafenausbau enthalten. Auch hier gibt es unterschiedliche Positionen. Ich kann die Befürchtungen der Anrainer gut nachvollziehen und habe auch damals die Unterschriftenlisten aus meiner ehemaligen Kirchengemeinde, in der ich selbst Pfarrer gewesen bin, an den Ministerpräsidenten weitergeleitet. Ich weiß, dass auf der anderen Seite ein starker Druck seitens der Wirtschaft hinsichtlich des Flughafenausbaues vorhanden ist. Insofern gibt es auch hier ein Für und ein Wider. Wenn der Flughafen gebaut werden sollte, werden wir als Landeskirche darauf achten, dass die Begrenzungen und Beschränkungen, die etwa im Blick auf Nachtflug festgelegt sind, eingehalten werden. Wir müssen bei allen übergeordneten Überlegungen auch die Lebensbedingungen derer mit bedenken, die vor Ort wohnen.

Fischer: Etwas entschiedener hat sich die Landeskirche bei der geplanten Erweiterungen des Kraftwerks Staudinger positioniert. Sie gehört der Klimaallianz an, die zu einer Großdemonstration gegen den Ausbau des Kraftwerks am 13.9. aufruft, und sie ist bei dieser Veranstaltung auf dem Podium vertreten …

Bischof Hein: Ich kann nicht verstehen, warum beim Staudinger Kraftwerksbau derart auf die Energienutzung durch Kohle gesetzt wird. Wir machen uns hier sehr stark abhängig. Der Ausstoß an Schadstoffen schädigt trotz aller moderner Maßnahmen, die der Betreiber ins Feld führt, die Umwelt in einer Weise, dass man sich in der Tat fragen muss: Bietet der Ausbau in dieser Dimension eine wirkliche Zukunftsperspektive? Wir rufen als Landeskirche nicht unmittelbar zur Beteiligung an der Demonstration auf, aber die Demonstranten haben mein persönliches Verständnis.

Fischer: Zum Schluss möchte ich mit Ihnen gerne einen Blick in die Landeskirche werfen. Seit mehreren Jahren läuft der Reformprozess. Wo stehen wir gerade?
 
Bischof Hein: Wir sind jetzt dabei, noch einmal in bestimmten Regionen die Strukturfragen zu bedenken. Insgesamt gesehen ist es aber wichtig, dass der Reformprozess nicht ein permanenter Reflexionsprozess ist, sondern dass er zu seinem Ende kommt. Ich denke, mit dem Ablauf der gegenwärtigen Synodalperiode im Jahr 2009 wird der Reformprozess einstweilen abgeschlossen sein müssen. Es ermüdet auf Dauer, und manche Außenstehende gewinnen den Eindruck, wir wären als Kirche überwiegend mit uns selbst beschäftigt. Das muss nicht sein. Reformprozesse dürfen eine bestimmte Zeit dauern, aber dann auch müssen sie zum Abschluss kommen.

Fischer: Wird es denn zu einer weiteren Reduzierung der Kirchenkreise kommen?

Bischof Hein: Das lässt sich gegenwärtig nicht abschätzen, aber es gibt in einigen Regionen entsprechende Reflexionsprozesse, die moderiert werden. Ich könnte es mir in dem einen oder anderen Fall vorstellen. Das muss nicht übers Knie gebrochen werden. Die Zukunft unserer Landeskirche hängt nicht davon ab, ob wir nun zwei oder drei Kirchenkreise weniger haben. Trotzdem: Es gibt Sachgründe, die dafür sprechen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, in den vergangenen acht Jahren, in denen ich Bischof bin, hat unsere Landeskirche besonders durch Wegzüge und Sterbefälle 70.000 Gemeindeglieder verloren. Das entspricht zwei vollen Kirchenkreisen. Wir können nicht so tun, als ginge alles einfach so weiter. Schaut man nur auf die Zahlen, müsste man sagen: zwei Kirchenkreise weniger.

Fischer: Werfen wir einen Blick nach Süden. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau plant weitreichende Reformen. Unter anderem wird die Einführung eines Bischofsamtes vorgeschlagen. Freut sie das?
 
Bischof Hein: Mich wundert die ganze Debatte um die Einführung des Bischofstitels. Ein geistliches Leitungsamt hat auch die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau. Einerseits in Gestalt des sogenannten Leitenden Geistlichen Amtes und andererseits in der Person des Kirchenpräsidenten. Der Bischofstitel ist ein seit der frühen Christenheit gut eingeführter Titel für einen leitenden Geistlichen und hat überhaupt nichts mit Monarchie oder Episkopalismus zu tun. Also: Wer glaubt, unsere Landeskirche sei weniger presbyterial-synodal verfasst als die hessen-naussauische, irrt gewaltig. Hier wird bei den Befürwortern des Kirchenpräsidenten-Amtes gegenüber dem Bischofsamt ein Popanz aufgebaut, der mit der Realität nichts zu tun hat. Noch hat die Synode in Hessen und Nassau ja nicht darüber entschieden, ob sie sich auf diesen Weg begibt. Aus meiner Sicht spricht vieles dafür, zumal die Bischofsbezeichnung auch ökumenisch gut eingeführt ist.

Fischer: Das könnte die Hürden für eine Fusion beider großen evangelischen Kirchen in Hessen kleiner werden lassen …

Bischof Hein: Eine Fusion steht gar nicht zur Debatte. Wir befinden uns allerdings in einem guten Kooperationsprozess. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass viele Strukturfragen in Hessen und Nassau sich in der Weise geklärt haben, dass es eine Ähnlichkeit mit der kurhessen-waldeckischen Struktur gibt. Es gibt inzwischen etwa in Hessen und Nassau hauptamtliche Dekane. Die Gestalt der Kirchengemeinden ist ähnlich. Auch die Aufgaben der Dekanate sind vergleichbar. Wenn man genau hinschaut (abgesehen vielleicht von Mentalitäten), unterscheiden sich diese beiden Kirchen in der Ordnung kaum. Deswegen ist es an der Zeit, enger miteinander im Land Hessen zu kooperieren.

Fischer: Auch auf der Ebene der Evangelischen Kirche von Deutschland (EKD) stehen wichtige Entscheidungen an. Bischof Huber wird sein Amt des Ratsvorsitzenden bald übergeben, auch der Rat der EKD wird neu besetzt werden. Ist Kurhessen-Waldeck aus Ihrer Sicht in den EKD-Gremien angemessen vertreten?

Bischof Hein: Vom Zahlenverhältnis her nicht. Wir sind mit 950.000 Gemeindegliedern eine mittelgroße Landeskirche, allerdings in den Gremien der EKD-Synode unterrepräsentiert. Wir haben das bereits moniert, und das wird bei einer Überarbeitung der Zusammensetzung der EKD-Synode eine Rolle spielen. Ansonsten habe ich den Eindruck, dass wir innerhalb der EKD sehr gut aufgestellt sind.

Fischer: Was wünschen Sie sich von einem oder einer zukünftigen Ratsvorsitzenden?
 
Bischof Hein: Dass der oder die Ratsvorsitzende die Gemeinsamkeit und die Eigenständigkeit der Landeskirchen in gleicher Weise betont. Oder anders gesagt: Dass er oder sie die Gemeinsamkeit der Landeskirchen nach außen darstellt und die Eigenständigkeit der Landeskirchen nach innen achtet. Wir sind keine Einheitskirche.

Fischer: Herr Bischof, wir haben über viele ernste Themen gesprochen. Jetzt ist Sommer und Ferienzeit. Was haben Sie sich für den Urlaub vorgenommen?

Bischof Hein: In diesem Jahr geht es in die Wärme, für zehn Tage mit meiner Frau nach Sizilien, um dort die antiken Tempelanlagen ein wenig kennen zu lernen. Wieder wird ein Auto gemietet und wir fahren durchs Land. Danach ein paar Tage Ausruhen in Kassel. Anschließend geht es noch einmal fünf Tage von Oberstdorf aus ins Allgäu zu einer Hüttenwanderung. Unter anderem haben wir uns den «Heilbronner Weg», den wohl schönsten alpinen Höhenweg Deutschlands, vorgenommen.

Fischer: Dann wünschen wir Ihnen gute Erholung und eine gesegnete Zeit im Urlaub. Vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führte Pfarrer Christian Fischer, Redaktionsleiter der landeskirchlichen Medienagentur «medio!» am 3. und 8. Juli 2008 in Kassel.