Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 28 Mär 2014

Prälatin Marita Natt stellte sich den Fragen von Radioredakteur Torsten Scheuermann am 26.03.2014 in Kassel.

Scheuermann:
Frau Prälatin Natt, bereits im letzten Jahr hatten Sie davor gewarnt, bei anhaltend niedrigen Zahlen könnten nicht mehr alle frei werdenden Pfarrstellen besetzt werden. Wie hat sich die personelle Situation der Pfarrerinnen und Pfarrer entwickelt?

Prälatin Natt:
Wir werden ab 2020 deutlich mehr Ruheständler haben als Nachwuchs, darum wird es nötig sein, in Zukunft sehr viel stärker für den Pfarrberuf zu werben. Um die pfarramtliche Versorgung auch dann noch sicherstellen zu können, ist es sinnvoll, in Nachbarschaftsverbünden zu arbeiten. Schon jetzt ist es zunehmend schwieriger, die Parochie und - damit verbunden die Pfarrstelle - aufrecht zu erhalten. Andererseits gibt es auch bei weniger werdenden Mitgliedszahlen weiterhin Bedarf an seelsorgerlicher Begleitung, so dass wir mehr und mehr dazu ermutigen, sogenannte Kooperationsräume zu bilden. Dazu brauchen wir allerdings noch die rechtlichen Rahmenbedingungen. Diese wollen wir zügig erarbeiten zusammen mit Vertretern der Pfarrerschaft, Dekaninnen und Dekanen und Juristen. Ich erfahre in vielen Gesprächen, dass dieses Konzept auf hohe Zustimmung stößt. Dafür bin ich dankbar; denn wir können die synodale Vorgabe, im Jahr 2026 nur noch 400 Gemeindepfarrstellen vorzuhalten, nun dann sinnvoll umsetzen, wenn wir in solchen größeren Verbünden denken. Mein Wunsch ist es, neben Pfarrerinnen und Pfarrern, die sich ergänzen, vernetzen, entlasten und ermutigen, auch Diakoninnen, Diakone, und die Mitarbeitenden in der Jugendarbeit und der Kirchenmusik in solche Teams mit hineinzunehmen, so dass wir in enger Vernetzung kirchliche Präsenz sicherstellen können. Im Personalbericht beziehe ich mich auf 1. Kor. 3 und spreche ich von Umbauprozessen, bei denen mir allerdings wichtig ist und bleibt, dass wir auf das eigentliche Fundament, unseren Herrn Jesus Christus, aufbauen. 

Scheuermann:
Woran liegt es, dass immer weniger junge Menschen Pfarrerin oder Pfarrer werden wollen?

Prälatin Natt:
Es gab eine Zeit, da stand Kirche gesellschaftlich und finanziell recht gut da. Kirchenvertreter hatten etwas zu sagen und wollten das auch. Gerade im Zusammenhang mit «Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung» wurden viele zu Vorbildern. Der Beruf «Pfarrer» war für junge Leute ein Beruf, in dem sie sich vielfältig verwirklichen konnten. Das Leben im Pfarrhaus war selbstverständlich. Ich merke, dass sich da die Einstellungen heute doch sehr verändert haben. Während viele noch immer sehr gern im Pfarrhaus leben, ist es für andere eine große Herausforderung. Der Wunsch nach einer geregelten Arbeitszeit steigt. Das hängt auch mit der familiären Situation zusammen, mit dem Wunsch gemeinsame freie Zeit mit dem Partner, der Partnerin zu haben, die anders als früher heute zumeist berufstätig sind. Es wird schwieriger, ländliche Bereiche zu besetzen, weil dort die Berufschancen für die Partnerinnen und Partner geringer sind. Außerdem leben wir in einer globalen Gesellschaft, die Welt ist klein geworden und eine Landgemeinde erscheint nicht mehr so attraktiv. All diese Dinge wurden früher weniger hinterfragt. Heute prüfen die jungen Leute viel stärker, was auf sie zukommt und was der Pfarrberuf ihnen bieten kann, nach dem Motto: Wenn ich ein akademisches Studium, das einen hohen Anspruch hat, auf mich nehme, dann müssen die Bedingungen auch stimmen. Manche wechseln im Lauf des Studiums zum Lehramtsstudium. Gott sei Dank gibt es aber auch den umgekehrten Wechsel.

Scheuermann:
Welche Maßnahmen will die Landeskirche dem Trend des fehlenden Pfarrernachwuchses entgegen setzen?

Prälatin Natt:
Mit unserer Homepage und mit Flyern versuchen wir zu werben. Wir bieten darüber hinaus in den Regionen «Pfarrer-Schüler-Tage» an. Vor dem Abitur werden Interessierte zu Schnupperwochenenden in die Kifas eingeladen. Wir gehen mit Pfarrerinnen und Pfarrern, mit Theologiestudierenden in Oberstufenklassen um zu erzählen, welche reizvollen Seiten der Pfarrberuf hat: Freiheit, Verantwortung, hohes Vertrauen, Verkündigung und Gemeinschaft. Auf Berufsmessen sind wir vertreten, um das Interesse für kirchliche Berufe zu wecken. Es geht uns darum, in solchen Begegnungen zu vermitteln, was für ein Geschenk es ist, in diesem Arbeitsbereich zu tätig zu sein. In meinem Bericht erbitte ich die Unterstützung der Gemeinden und der Pfarrerschaft, und ich spreche an, dass es gut wäre, so wie in vielen anderen Landeskirchen auch in unserer Landeskirche eine Stelle für Nachwuchswerbung einzurichten. Wir bemühen uns verstärkt, unsere Pfarrhäuser in einen guten Zustand zu bringen, energetisch herzurichten, damit es eine Freude ist, in diesen Häusern zu wohnen. In der Ausbildung im Vikariat lernen die jungen Leute mehr als früher, dass die Arbeit im Beruf kein Einzelkämpferdasein ist, sondern dass man ganz wunderbar bereichernd und entlastend miteinander als Bodenpersonal Gottes arbeiten kann. Es ist schön, zu erleben wie Theologiestudierende, die im Laufe ihres Studiums ein Gemeindepraktikum machen, erzählen, wie sie mit Leib und Seele erfahren haben, was für ein Schatz es ist, in einer Gemeinde oder im Funktionsdienst arbeiten zu können.

Scheuermann:
Bei welchen Gruppen junger Menschen wollen Sie besonders werben? Wo soll der Pfarrernachwuchs herkommen?

Prälatin Natt:
Wir sind jetzt dabei Kirchengemeinden für ein Freiwillig Soziales Jahr zu gewinnen. Das war schon immer möglich, aber nun wollen wir es auch von Seiten unserer Landeskirche finanziell unterstützen und damit den Gemeinden helfen, die einem jungen Menschen die Möglichkeit zu bieten, Gemeindearbeit in all ihrer Vielfalt und Buntheit kennenzulernen. Ich ermutige Pfarrerinnen und Pfarrer in meinem Bericht, ihre Konfirmandinnen und Konfirmanden aufmerksam im Blick zu behalten und weiter zu begleiten; denn sie sind die Mitarbeitenden von morgen. Im Jahr der Konfirmation gibt es viele Möglichkeiten, Kirche zu erleben, zum Beispiel beim Konfivent in Ziegenhain im Juli. Die Konfirmandinnen und Konfirmanden an Gottesdiensten zu beteiligen und in der Gemeinde mitwirken zu lassen oder mit verschiedenen diakonischen Aufgaben zu betreuen wird ja schon in vielen Kirchengemeinden als große Bereicherung erlebt. Da sind wir auch mit der neuen Konzeption zur Konfirmandenzeit auf einem guten Weg!

Scheuermann:
Wo muss Kirche umdenken bezüglich der Mitgliederzahlen?

Prälatin Natt:
In Zukunft müssen wir genauer hinschauen, wie wir in den unterschiedlichen Regionen unserer Landeskirche präsent sein wollen. Eine Stadt wie Hanau oder Kassel hat andere Möglichkeiten, aber auch andere Fragestellungen an Kirche als beispielsweise eine Region wie die Schwalm, aus der ich gebürtig komme. Dort spielt die Ortsgemeinde noch eine sehr viel größere Rolle.Mein Ziel ist es darum, den ländlichen Bereich wahrzunehmen und dort die Möglichkeiten der Ortsgemeinden zu erhalten und zu stützen, damit Menschen hier eine Heimat finden und behalten. Auf der anderen Seite liegt mir sehr daran, aufmerksam zu hören, welche Fragen Menschen im städtischen Kontext an Kirche haben und welche Begegnungsorte dort möglich sind. Die funktionalen Dienste in diesen Begegnungsräumen sind deshalb für mich genauso wichtig wie die Dienste in den Gemeinden. Weil viele Menschen beruflich und persönlich überhaupt nicht mehr am Leben ihrer Ortsgemeinde teilnehmen können oder wollen, aber durchaus auch ihre Nöte, Anfragen und Bedürfnisse nach Seelsorgebegleitung haben, müssen wir auch «Kirche auf dem Weg» und an «anderen Orten» sein. Nicht nur in der Gemeinde, sondern auch an den Brennpunkten müssen wir deshalb mit unseren funktionalen Diensten - 2026 sollen es noch 150 Stellen sein - präsent bleiben, ob z.B. in der Schule, in den Krankenhäusern und weiterhin in den Gefängnissen. Vielleicht müssen wir sogar zukünftig noch eher schauen, wo wir uns in der Stadt darüber hinaus engagieren müssen, damit wir sichtbar werden und bleiben – auch für die Kirchenfernen; denn für sie sind wir genauso da. Ich finde es spannend und herausfordernd, in den nächsten Jahren die Zukunft unserer Kirche mitgestalten zu dürfen, und ich freue mich, wenn mein Bericht auch andere dazu anregt.

Scheuermann:
Vielen Dank!

(26.03.2014)