Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 25 Aug 2011

Bischof Prof. Dr. Martin Hein stellte sich den Fragen von medio-Redaktionsleiter Pfarrer Christian Fischer am 22.08.2011 in Ottrau.

Fischer: Herr Bischof, Sie besuchen zurzeit den Kirchenkreis Ziegenhain. Was hat Sie bisher am meisten beeindruckt?

Bischof Hein: Der Kirchenkreis Ziegenhain ist stark bestimmt vom diakonischen Engagement der Kirche. Die größte hessische diakonische Anstalt Hephata hat in Treysa ihren Sitz. Zugleich gibt es auch ein starkes Bildungsengagement mit der Melanchthon-Schule, einem Gymnasium unserer Landeskirche. Hier sind also schon seit langer Zeit große Schwerpunkte gesetzt worden. Hinzu kommt hier eine starke kirchliche Verbundenheit. Statistisch gesehen ist es die höchste, die wir in unserer Landeskirche haben. Das zusammen zeigt, dass wir diese Region sehr pfleglich behandeln müssen. Wir sollten gewachsene Strukturen nicht um jeden Preis grundlegend umstürzen, sondern darauf achten, dass wir sie weiterentwickeln – gerade auch angesichts der notwendigen Veränderungen, mit denen wir zu tun haben.

Fischer: Was hat sie überrascht?

Bischof Hein: Ich habe ungemein viele motivierte Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Gemeindeglieder erlebt, die ihre Region lieben und die sagen, es lohne sich hier zu leben. Viele engagieren sich in Initiativen, damit das Leben hier auch weiterhin für alle lebenswert bleibt. Man darf die Region nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Abwanderung sehen, sondern es gibt auch viele Potenziale.

Fischer: Welche Zukunft sehen sie denn generell für ältere Menschen in dieser ländlichen Region?

Bischof Hein: Unsere Gesellschaft insgesamt wird älter und damit nimmt auch die Nachfrage nach Begleitung und Betreuung zu. Ich halte es für einen falschen Weg, wenn größere Alteneinrichtungen etwa auf der «grünen Wiese» gebaut werden und alte Menschen dann dort hin ziehen müssen. Viel interessanter ist es, wenn ortsnahe nachbarschaftliche Projekte entwickelt werden. Wir haben das in Ottrau gesehen, wo sich ein Verein gebildet hat mit dem Namen «Füreinander – miteinander», der versucht, aus dem bisherigen Pfarr- und Gemeindehaus eine Begegnungsstätte für alte Menschen zu entwickeln und Schritt für Schritt auszubauen zu einer Tagesbetreuung. Das heißt also, die Menschen, die im Ort leben, können hier bleiben und müssen nicht in eine größere Einrichtung in einem anderen Ort. Und die Familien der Menschen, die hier betreut werden, bleiben mit der Einrichtung unmittelbar verbunden. Das stärkt insgesamt das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gemeinde, und wir als Kirche können hier viel Unterstützung bieten. Bei der Gründung dieses Vereins ist die  Landeskirche fördernd tätig gewesen, weil wir das als eines der Zukunftsmodelle sehen.

Fischer: Was kann die Kirche noch tun?

Bischof Hein: Wir können mit der Vielzahl von Kirchenchören, Posaunenchören, Gospel- und Ten Sing-Gruppen sowie durch klassische Kirchenmusik das gesellige Leben bereichern. Es gibt die Möglichkeit einer sinnvollen Betätigung etwa als Lektorin und Lektor in Gottesdiensten. Viele der Gottesdienste in den kleinen Kirchen im Kirchenkreis werden von so genannten «Laien» durchgeführt. Dies ist eine wichtige Stütze unseres gottesdienstlichen «Programms».

Fischer: Ein weiteres Thema ist die Landwirtschaft. Es gibt immer weniger Landwirte …
 
Bischof Hein: Wir haben in Schwalmstadt-Treysa unsere Ländliche Familienberatung eingerichtet, mit der wir Betriebe beraten, wenn sie schließen oder sich umorientieren. Insgesamt muss man natürlich sagen, dass die Landwirtschaft für das reine Bruttosozialprodukt unseres Landes mittlerweile weniger austrägt als früher. Aber die Landwirtschaft bestimmt weiterhin das Kulturland ganz wesentlich mit. Und wir stellen fest, dass nicht mehr die Frage der Stilllegung von Flächen in der Landwirtschaft im Vordergrund steht, sondern dass inzwischen wieder geschaut wird, wie man neue Anbaumöglichkeiten gewinnen kann, um auf diese Weise etwa Rohstoffe für die Energiegewinnung anzubauen. Das Problem an dieser Stelle ist allerdings nicht nur regional zu sehen, sondern auch in einem globalen Zusammenhang. Wir haben auf der einen Seite ausgezeichnete Anbauflächen für Rohstoffe, die energetisch genutzt werden. Auf der anderen Seite haben wir  einen katastrophalen Hunger in der Welt. Und wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, da kann die evangelische Familienberatung im Bereich der Landwirtschaft auch einiges an Sensibilität schaffen.

Fischer: Herr Bischof, welche Impulse können Sie durch Ihren Besuch geben?

Bischof Hein: Ich komme als jemand, der sehen und hören möchte. Das ist der Sinn der Visitation. Ich komme nicht, um andere zu belehren. Ich konnte aber den Impuls geben, mehr Zutrauen zur eigenverantwortlichen Organisation zu haben, etwa auch in der pfarramtlichen Zusammenarbeit. Ich möchte ermuntern, sich stärker in der Region zu vernetzen, ohne zu fragen, ob das auch wirklich so erlaubt ist oder was die Kirchenleitung dazu sagt. An dieser Stelle besteht sehr viel mehr Freiraum, als manche glauben. Das hat in der Pfarrkonferenz durchaus für Interesse gesorgt.

Fischer: …und was nehmen Sie mit?
 
Bischof Hein: Zunächst einmal: In dieser Region gibt es viele Menschen mit Ideen, mit Kreativität. Und das lässt mich gerade im Bereich Ziegenhain doch recht hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Der Landkreis Schwalm-Eder ist der  «evangelischste» Landkreis in ganz Hessen. Das ist zunächst einmal ein wunderbares Gefühl, aber es verdankt sich natürlich der Tatsache, dass es hier eine sehr traditionelle Kirchlichkeit gibt und die Kirche Bestandteil des Lebens ist. Manchmal würde ich mir das auch in anderen Regionen unserer Landeskirche wünschen: Dass die Kirche ganz selbstverständlich zu dem gehört, was unser Leben ausmacht.

Fischer: Vielen Dank, Herr Bischof!