Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 22 Apr 2015

Präses Kirchenrat Rudolf Schulze stellte sich den Fragen von medio-Reporterin Ramona Kopec am 17.04.2015 in Kassel.

Kopec: Herr Präses, sie setzen bei Ihrer Frühjahrssynode einen Schwerpunkt bei dem Thema «Volkskirche». Was bedeutet das eigentlich: Volkskirche?

Schulze: Die evangelische Kirche versteht sich als Volkskirche, weil sie Kirche für das Volk und für die Gesellschaft sein möchte. Sie stellt an sich selbst den Anspruch, so vielen Menschen wie möglich auf vielfache Weise zu dienen. Also eine Kirche, die offen ist für alle Menschen mit ihren Sorgen und Freuden und für unterschiedliche Ausdrucksformen des Glaubens. Diese Offenheit ist ein Markenzeichen der evangelischen Volkskirche. In ihrer Offenheit für unterschiedliche Frömmigkeitsformen und Lebensweisen bietet sich die Volkskirche gerade einer pluralen Gesellschaft als zukunftsfähiges Kirchenmodell an.

Kopec: Wie wird sich denn die Kirche in der Zukunft verändern müssen, um weiterhin Volkskirche zu sein?

Schulze: Sie kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass sie in ihren Gemeinden selbstverständlich die Bevölkerungsmehrheit oder einen großen Teil der Bevölkerung darstellt. Die evangelische Kirche wird sich, wie die katholische Kirche im Übrigen ja auch, zunehmend darauf einstellen müssen, in Partnerschaft und Konkurrenz mit anderen Religionsgemeinschaften, Sinnanbietern oder Atheisten vor Ort zu leben.

Kopec: Verändert sich dann auch was in den Gemeinden selbst? Was bedeuten diese Veränderungen für die Gemeinden und die Gemeindemitglieder?

Schulze: Das wird sehr unterschiedlich sein. In den städtischen Ballungsräumen ist es ja heute schon so, dass Kirchengemeinden oft in einem Umfeld leben, in denen viele Nichtchristen wohnen. In unseren ländlichen Gebieten haben wir eine hohe stabile Kirchenmitgliedschaft. Da wird die Veränderung so schnell gar nicht wahrnehmbar sein. Aber auch unsere Dörfer machen natürlich Erfahrungen damit, dass es heute nicht mehr selbstverständlich ist, dass alle Kinder getauft oder konfirmiert werden, sondern das liegt heute wesentlich mehr als früher in der persönlichen Entscheidung. Früher haben Traditionen geprägt, heute ist die persönliche Entscheidung gefragt. Das muss nicht schlecht sein, denn eine persönliche Entscheidung hat ja ein erhebliches Gewicht. Und von daher kann man vermuten, dass viele Christen, die sich dafür entscheiden ihre Kinder taufen zu lassen oder Jugendliche, die sich haben konfirmieren lassen, dann auch sehr bewusst Mitglieder der Kirche sind.

Kopec: Aber die Gemeinde wird sich ja auch verändern müssen, weil Personal eingespart wird. Wie wird sich das denn auswirken auf die Kirche der Zukunft?

Schulze: Sie sprechen von hauptamtlichem Personal. Nach meinem Verständnis ist die Kirche immer schon eine Kirche, die stark ehrenamtlich organisiert ist. Auch der Apostel Paulus war nicht hauptberuflich angestellt bei der Kirche, sondern hat seinen Lebensunterhalt selber verdient. Es ist eine gute Tradition, dass die Kirche im Laufe ihrer Geschichte professionelle Berufe und Ämter ausgebildet hat - insbesondere das Pfarramt - um  durch Verkündigung, Seelsorge und Diakonie das Evangelium so vielen  Menschen wie möglich  nahe zu bringen. Es muss uns nicht schrecken, wenn wir zukünftig nicht mehr so viele Hauptamtliche haben, dann werden andere überzeugte Christen an die Stelle treten und werden ihre Kräfte einsetzten, damit die Botschaft Jesu Christi in Wort und Tat unter die Leute kommt.

Kopec: Verändert sich denn auch in Zukunft das Amt des Pfarrers, der Pfarrerin?

Schulze: Das Amt der Pfarrerin oder des Pfarrers wird sich auch zunehmend wandeln. Wir werden unsere Pfarrerinnen und Pfarrer von manchen Aufgaben, die ihnen in den letzten Jahren zugewachsen sind,  entlasten. Heute wird von Pfarrern die Wahrnehmung vieler Spezialaufgaben verlangt, dass sie das oft belastet und von ihren ureigensten Aufgaben, der Verkündigung, Seelsorge und der religiösen Bildung, doch zu stark fernhält. Also ich nenne als Beispiel Verwaltungsaufgaben, die mit einer großen Kindertagesstätte zusammenhängen. Da sind so viele spezielle rechtliche und konzeptionelle Fragen zu beachten, da könnte mancher  Pfarrer eine Halbtagsstelle daraus machen. So etwas können wir auf Dauer nicht wollen.

Kopec: Ein anderes Thema bei der Synode im Frühjahr sind die orientalischen Christen. Wie ist denn die Lage vor Ort?

Schulze: Ja, darüber wollen wir uns  informieren, wie die Lage der orientalischen Christen ist. Dazu haben wir mit Herrn Professor Tamcke einen Fachmann eingeladen, der uns darlegen wird, wie die Situation der Christen gegenwärtig ist und wie die geschichtliche Entwicklung des Christentums im vorderen Orient gewesen ist.  Wir nehmen wahr, dass der christliche Glaube weltweit heute  stark bedroht ist. Das ist insbesondere in muslimische Ländern der Fall  oder durch muslimische Terroristen, die Christen verfolgen. Aus dem Irak zum Beispiel sind eine Millionen Christen in den letzten Jahren geflohen, obwohl sie dort eine uralte Tradition und ihre Wurzeln haben. In jüngster Zeit müssen Christen aus Syrien fliehen, wo das Christentum seit fast 2000 Jahren beheimatet ist. Wir hören davon, dass die Terrororganisation «IS» Christen geköpft hat. Oder denken Sie  daran, dass in Nigeria über 200 Mädchen entführt worden sind, weil sie Christinnen sind. Das ist eine bedrückende Situation, zu der wir doch nicht schweigen können. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen und das Unrecht und die Verfolgung beim Namen nennen, im Gebet den verfolgten Christen nahe bleiben und unsere Politiker ermutigen alles zu tun, um für die Religionsfreiheit in den betroffenen Ländern einzutreten.

Kopec: Warum ist das auch ein Thema für die Synode?

Schulze: Weil die Synode für die Kirche spricht. Unsere Landeskirche ist Teil der einen, weltweiten Kirche Jesu Christi. «Wenn ein Glied leidet, leiden die anderen mit» heißt es im Neuen Testament. Also es kann uns nicht gleichgültig sein. Es sind unsere Schwestern und Brüder in Jesus Christus, die im Irak oder in Syrien oder in Nigeria oder in Pakistan oder in anderen Ländern, an Leib und Leben bedroht sind und leiden. Zuweilen fängt das mit einfachem Rechtsbruch oder mit einfachen Benachteiligungen an und das steigert sich bis hin zur Todesurteilen, wie bei der in Pakistan inhaftierten Christin Asia Bibi. Deren Ehemann erwarten wir übrigens am Samstag bei unserer Synode. Weltweit leben Christen oft in bedrängten Situationen, wie wir sie nicht mehr kennen. Wir leben in Freiheit, aber gerade deshalb, weil wir in dieser Freiheit und in Frieden leben, sehen wir uns verpflichtet uns für die Anderen einzusetzen, dass sie auch ihren Glauben in Freiheit leben können. Das gilt übrigens für alle Religionen. Es geht uns nicht nur darum für die Religionsfreiheit von Christen einzutreten, sondern unsere Haltung ist, dass alle Menschen ihren Glauben leben können unabhängig davon, welcher Religionsgemeinschaft sie angehören.

Kopec: Wie können die Hessen die orientalischen Christen unterstützen?

Schulze: Wir werden sehen, ob auf der Synode konkrete Vorschläge dazu kommen. Aber ich sagte schon: das Wichtigste ist zunächst einmal, dass wir es überhaupt wahrnehmen und beim Namen nennen, weil dies oft in der öffentlichen Darstellung gar nicht so recht zum Ausdruck kommt, wie viele Christen in der Welt inzwischen an Leib und Leben bedroht sind. Es geht jetzt auch darum, dass wir das Schicksal der verfolgten und bedrängten Christen öffentlich thematisieren und insofern - wie es die Bibel nennt - zum «Mund der Stummen» werden.

Kopec: Herr Präses, vielen Dank für das Interview!

(17.04.2015)