Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 22 Apr 2015

Prälatin Marita Natt stellte sich den Fragen von Medienhausleiter Pfarrer Christian Fischer am 17.04.2015 in Kassel.

Fischer: Frau Prälatin Natt, in Ihrem diesjährigen Personalbericht gehen Sie auf die Situation der Pfarrerschaft in der Landeskirche ein. Welche Entwicklungen beobachten Sie?

Prälatin Natt: Zurzeit ist das Verhältnis von Pfarrerinnen und Pfarrern, die in den Ruhestand treten im Vergleich zu den Berufsanfängern noch relativ ausgeglichen, das wird sich in den nächsten Jahren mangels Theologiestudierender dramatisch verändern. Dazu kommen gesellschaftliche Entwicklungen, die dauerhaft zu Veränderungen  in den kirchlichen Arbeitsfeldern führen werden. Unsere Pfarrerinnen und Pfarrer erleben mittlerweile in Stadt und Land, dass die Konfirmandenzahlen nicht so stabil bleiben, wie sie es lange gewesen sind. Da wird der demographische Wandel besonders deutlich. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass Kasualien, zum Beispiel Trauungen, nicht mehr so stark nachgefragt werden, wie das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Diesen Umbruch bekommen  Pfarrerinnen und Pfarrer im Gemeindepfarramt mittlerweile deutlich zu spüren. Das ist eine Herausforderung, über neue Konzepte im Pfarramt nachzudenken Die Kolleginnen und Kollegen merken, dass es gut ist «zusammen zu rücken». Sie weiten und öffnen den Blick über die eigene Gemeinde hin zum Nachbarn. Ich habe den Eindruck, unsere Pfarrerinnen und Pfarrer  haben die Zeichen der Zeit erkannt und versuchen, Kirche der Zukunft mit zu gestalten. «Was kann ich in dieser Zeit tun, um die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat und Unterricht und Begegnung lebendig zu halten?», dieser Anfrage stellen sich vermehrt auch Kirchenvorstände und ehrenamtlich Mitarbeitende in Gemeinden und Einrichtungen.

Fischer: Als Prälatin haben Sie Ihren Dienstsitz in Kassel, aber die Landeskirche ist groß. Wie kommen sie an die Informationen und Eindrücke vor Ort? 

Prälatin Natt: Die Begegnungen und Gespräche mit den Pfarrerinnen und Pfarrer sind mir sehr wichtig. Daum habe ich beschlossen, Sie in ihren Pfarrämtern  zu besuchen. Diese Reisen habe ich der Pfarrerschaft über die Dekanate angekündigt. Ich habe gefragt, wer bereit ist mir die Tür zu öffnen, wenn ich klingele. Das Resultat: Aus allen Kirchenkreisen habe ich Rückmeldungen  für Gespräche vor Ort erhalten. Ich fand das sehr ermutigend und habe daraufhin die betreffenden Kolleginnen und Kollegen angeschrieben. Diese vertrauensbildenden Gespräche sind von einer großen Offenheit geprägt. Wir sprechen über alles, was den Pfarrerinnen und Pfarrern am Herzen liegt. Ich höre zu. Diese guten Begegnungen weiten meinen Blick in die Pfarrerschaft und auch in die Landeskirche noch einmal auf gute Weise. Dafür bin ich sehr dankbar. 

Fischer: Können Sie Beispiele nennen?
 
Prälatin Natt: Man lernt einen Menschen ganz anders kennen, wenn man zwei Stunden mit ihm zusammensitzt oder durch die Gemeinde spaziert. Oder die Kirche betrachtet und  seinen / ihren Ausführungen lauscht. Es ist ein Unterschied, ob ich auf einer Pfarrkonferenz bin, wo die Kolleginnen und Kollegen ein Thema beraten, oder ob ich in ein Haus trete, in dem eine Pfarrfamilie oder eine alleinstehende Kollegin oder Kollege wohnen. Ich habe Zeit zu hören, zu kommentieren, zu erzählen, zu schauen – nicht selten auch zu schmecken… Es ist eine andere Atmosphäre, ob man im Personalbüro mit-einander spricht oder im Amts- oder Wohnzimmer. Themen und Fragen werden behandelt, die mir die Lebenssituation der Kolleginnen und Kollegen noch einmal auf eine ganz andere Weise nahe bringen. Das schenkt  mir als Personalchefin wichtige und wertvolle Einsichten für Gegenwart und Zukunft.
Jenseits davon entdecke ich Kirchen auf dem hohen Meißner und im weiten Süden, deren Schönheit ich bis dahin noch nicht kannte.

Fischer: Nun sagt die neueste EKD-Mitgliedschaftsuntersuchung: Pfarrerinnen und Pfarrer sind wichtig, gerade was die Kirchenbindung angeht. Was ziehen Sie als Personalchefin für Folgen aus dieser Mitgliedschaftsuntersuchung?

Prälatin Natt: Pfarrerinnen und Pfarrer sind wichtig, in der Tat. Sie haben  laut Untersuchung eine Schlüsselposition, sind und bleiben die Experten in Glaubensfragen. Die Studie macht jedoch auch deutlich, wie wichtig überhaupt Menschen sind, die für Kirche stehen und sich engagieren, also «Flagge zeigen», als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Neben den Pfarrerinnen und Pfarrern denke ich dabei auch an die vielen Ehrenamtlichen und an die haupt- und nebenamtlich Mitarbeitenden.
Unsere Synode hat 2013 beschlossen, dass wir weiterhin Pfarrstellen abbauen müssen und wir arbeiten daran. In meinem Bericht lenke ich allerdings das Augenmerk auch darauf, über welch großartige Ressource wir in Gemeinden, Einrichtungen und Schulen mit unseren Pfarrerinnen und Pfarrern verfügen. Ich will mich keinesfalls meiner Aufgabe entziehen, Pfarrstellen zusammenzulegen, es ist schon allein deshalb notwendig, weil wir weniger Personal haben werden. Allerdings müssen wir uns auch über die Folgen des weiteren Abbaus von Pfarrstellen im Klaren sein. Es wird in vielen Arbeitsgruppen zurzeit intensiv darüber nachgedacht, wie wir uns in Zukunft gut aufstellen: mit weniger Pfarrstellen und mehr nichttheologischen Mitarbeitenden. Aber darüber werden wir erst in der Herbstsynode mehr erfahren.

Fischer: Werfen wir einen konkreteren Blick auf Pfarrerinnen und Pfarrer. Sie kennen ja die Pfarrerinnen und Pfarrer in unserer Kirche vielleicht am besten. Was belastet denn heute die Kolleginnen und Kollegen am meisten?

Prälatin Natt: Es belastet sie, wahrnehmen zu müssen, dass es weniger werden, die sich zur Kirche halten. Das ist deutlich zu spüren im Bereich der Konfirmandenarbeit, aber auch bei Chören, Gemeindekreisen und in Bezug auf die Kasualien. Das macht gar manchem und mancher das Herz schwer. Sie investieren viel, etwa in die Kooperation mit Nachbargemeinden, müssen sie erleben, dass vieles, was vor zehn Jahren noch selbstverständlich war, nicht mehr nachgefragt wird, im wahrsten Sinne des Wortes «einschläft». Zwar wächst Neues nach. So ist ein großartiges ehrenamtliches Engagement im Bereich der Flüchtlingshilfe sichtbar. Aber langjährig Vertrautes muss losgelassen werden. Gerade für die Älteren ist das ein schmerzlicher Vorgang! Als sehr belastend wird von vielen die zunehmende Verwaltungsarbeit benannt, aber auch das Leben im Pfarrhaus. Deshalb habe ich dieses Thema in meinem Bericht als Herausforderung der Zukunft benannt. Unsere Pfarrhäuser sind uns lieb und teuer, aber sie sind auch eine große Herausforderung. Junge Menschen sind es häufig gar nicht gewohnt in einem eigenen Haus zu leben. Und plötzlich werden sie allein in ein großes traditionsreiches Pfarrhaus geschickt, auf welches «das Dorf» oder «die Gemeinde» einen wachen Blick hat. Heizkosten spielen eine Rolle, Trennung von Dienst- und Privatbereich und manches mehr, das ich jetzt nicht näher ausführen möchte. Das Alleinleben in einem Pfarrhaus erscheint mir allerdings zu einem brennenden Thema zu werden. Dem müssen wir uns dringend mit alternativen Überlegungen zuwenden.

Fischer: Und was macht den Pfarrerinnen und Pfarrern in Kurhessen-Waldeck besondere Freude?

Prälatin Natt: Da könnte ich vieles aufzählen wie z. B. Kirchenmusik, Jugendarbeit und Diakonie. Da höre ich von wunderbaren Veranstaltungen. Jeder und jede im Gemeindebereich, aber auch in Schule und Einrichtungen hat seine / ihre ganz besonderen Herzensanliegen. Aber für die meisten gilt: Es gibt eine große Freude an der Verkündigung! Unsere Pfarrerinnen und Pfarrer halten gerne Gottesdienste und stecken viel Liebe und Vorbereitung da hinein. Viele sagen: «Die Arbeit am Bibeltext und die Gottesdienstvorbereitung sind für mich eine wichtige Ressource. Da tanke ich Kraft für die anderen Aufgaben und Herausforderungen.»

Fischer: Frau Prälatin, ein Blick in die weitere Zukunft zum Schluss: Welche Pfarrerin, welcher Pfarrer wird mir denn als Gemeindeglied in 20 Jahren begegnen?

Prälatin Natt: Die Pfarrerinnen und Pfarrer in 20 Jahren sehen wahrscheinlich entsprechend der Mode jener Zeit aus. Aber Spaß beiseite: Sie sind ausgebildete Theologinnen und Theologen und  als solche wissen sie, von was sie sprechen, wenn Menschen zu ihnen kommen mit ihren existenziellen Glaubensfragen. Sie sind geschult in Seelsorge, Unterricht und Verkündigung - und sensibel in der Wahrnehmung der Sorgen und Nöte ihres Umfeldes. Sie sind sprachfähig, auch in einer säkularen Umgebung. Sie zeigen Profil gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen, wie z. B. Kommunen und  staatlichen Stellen.  Sie sind gut vernetzt. Kurz gesagt: Sie sind aufgeschlossene, gut ausgebildete, kritische Zeitgenossinnen und Zeitgenossen. Und selbstverständlich arbeiten sie gern und engagiert im Team mit anderen in ihrer Kirche von Kurhessen-Waldeck.

Fischer: Frau Prälatin, vielen Dank für das Gespräch!

(17.04.2015)