Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 20 Nov 2015

Bischof Prof. Dr. Martin Hein stellte sich den Fragen von Medienhausleiter Pfarrer Christian Fischer am 16. Oktober 2015 in Kassel.

Fischer: Herr Bischof, Sie setzen bei Ihrem Bericht vor der Herbstsynode einen Schwerpunkt bei dem Thema «befreiende Reformation». Warum dieses Thema in genau dieser Zeit?

Bischof Hein: Wir haben uns in unserer Landeskirche in der letzten Zeit sehr stark mit uns selbst, mit der Frage der Zukunftsfähigkeit auseinander gesetzt. Dazu wird es auf der Synode viele, viele Diskussionen geben, weil ein umfangreiches Papier vorliegt. Mir geht es darum, den großen Horizont zu beschreiben, innerhalb dessen sich alle Reformen in der Kirche ereignen: nämlich die Verkündigung des Evangeliums dauerhaft zu gewährleisten. Alle Strukturmaßnahmen, Einsparungen und Anpassungen dienen nicht uns selbst, sondern diesem Ziel. Unsere Ordnungen haben sich diesem Grundsatz anzupassen, und damit dies nicht aus dem Blick gerät, sondern unser Leitbild bleibt, ist es wichtig, an die Reformation vor fünfhundert Jahren zu erinnern.

Fischer: Was hat Reformation mit Freiheit zu tun?

Bischof Hein: Die Reformation war ein großer Freiheitsprozess. Dies gilt zunächst einmal persönlich, als Befreiung von der Vorherrschaft der Kirche über das Heil. Aber Luther hat auch immer wieder auf die Befreiung von der Macht der Sünde hingewiesen – etwas, das wir oft vergessen. Der Christenmensch ist eben ein freier Mensch, weil er von Gott aus der Macht der Sünde befreit ist zu einem freien Tun innerhalb unserer Gesellschaft. Und das ist der zweite Aspekt: Wir sind nicht nur von etwas befreit, sondern wir sind zu einem Handeln als freie Menschen befreit. Diese Doppelbestimmung der Freiheit, die Luther in seiner Schrift «Von der Freiheit eines Christenmenschen» niedergelegt hat, finde ich heute noch genau so aktuell wie damals.

Fischer: Freiheit ist für viele Menschen ein wichtiges Gut. Viele machen sich auf den Weg, um endlich einmal Freiheit zu erleben, fliehen vor Unterdrückung und Krieg. Was hat Ihr Bericht mit der gegenwärtigen Flüchtlingskrise zu tun und welche Antworten geben Sie?

Bischof Hein: Nach evangelischem Verständnis gibt es Freiheit nie ohne Verantwortung: Verantwortung gegenüber sich selbst, Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft und nicht zuletzt und ganz wesentlich Verantwortung gegenüber Gott. Wenn wir die Flüchtlinge bei uns sehen, die in großer Zahl zu uns kommen, weil sie hier ein besseres, sicheres, geschütztes Leben erwarten, dann heißt das für uns: Die Freiheit, die Gott uns schenkt, befreit uns zu einem verantwortlichen Tun der Nächstenliebe. Damit nehmen wir das Matthäusevangelium im 25. Kapitel ernst, wenn Jesus sagt: «Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.» So sehen wir im Angesicht der Flüchtlinge, seien es Christen oder Muslime, das Angesicht Christi. Dazu hat uns Christus befreit. Die Reformation unterstreicht dies, und deswegen ist sie auch in gesellschaftlicher Hinsicht ein ganz wesentlicher Motor der gesellschaftlichen Entwicklung gewesen.

Fischer: Und was heißt das konkret jetzt für die Aufnahme von Flüchtlingen? Auch durch die Kirche.

Bischof Hein: Wir stehen da vor großen Herausforderungen, die wir uns noch vor einem halben Jahr gar nicht haben träumen lassen. Jetzt geht es für uns an eine beherzte Arbeit. Das bedeutet auch, Konventionelles, das uns bisher bestimmt hat, gedanklich zu überwinden. Konkret gesagt: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Gemeindehäuser – nicht nur solche, die leer stehen, sondern auch solche, die für die Gemeindearbeit genutzt werden – für einen bestimmten Zeitraum freigeräumt und zur Verfügung gestellt werden. Es kann nicht sein, dass Menschen, die zu uns kommen, in Zeltlagern den Winter über frieren und wir unsere Kirchen und Gemeindehäuser heizen. Dann heißt es eben, für diesen Zeitraum die Gemeindehäuser, vielleicht auch die Kirchen zu öffnen, um vorübergehend Menschen dort Obdach zu geben. Das Ganze muss koordiniert werden mit den Trägern der öffentlichen Wohlfahrtspflege, also den Kommunen, den Landkreisen, dem Regierungspräsidium, aber ich möchte nicht von vornherein die Bremse ziehen oder die Schere im Kopf haben, was alles nicht möglich ist. Ich frage: Was ist möglich?

Fischer: Werfen wir zum Schluss einen Blick auf den Zukunftsprozess. Sie haben sich als Landeskirche vorgenommen, 25 Prozent des Haushaltes bis zum Jahr 2026 einzusparen. Was wird das für eine Kirche sein im Jahre 2026, wenn sie diesen Prozess durchlebt hat?

Bischof Hein: Wir machen diesen Prozess ja deswegen, um auch in Zukunft Volkskirche sein zu können. Einfach nicht zu reagieren, würde man mir später als großen Fehler während der Zeit meines Bischofsamtes ankreiden. Das will ich nicht. Sondern wir passen die Rahmenbedingungen unserer Kirche der veränderten gesellschaftlichen Stellung an. Aber wir ziehen uns nicht aus der Öffentlichkeit zurück. Die Nische ist niemals der Ort gewesen, den Christus seiner Kirche gewiesen hat. Wir bleiben öffentlich wahrnehmbar, und sollte es wieder einmal eine Bewegung geben hin zur Kirche, dann sind wir auch in der Lage, uns hinsichtlich der Pfarrstellen und der sonstigen Arbeit wieder auszuweiten. Wenn die Entwicklung so weiter geht, wie sie sich nun einmal gegenwärtig andeutet, sind wir in der Lage, 2026 weiterhin aus gutem Grund Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck zu sein.

Fischer: Herr Bischof, vielen Dank für dieses Gespräch!

(16.10.2015)