Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 22 Feb 2016

Bischof Prof. Dr. Martin Hein stellte sich den Fragen von Medienhausleiter Pfarrer Christian Fischer am 18.2.2016 in Kassel.

Fischer: Eine Sondersynode steht bevor. Auf der Tagesordnung steht auch das Thema Flüchtlinge. Wie sehen Sie als Bischof der Landeskirche die derzeitige Flüchtlingssituation?

Bischof Hein: Die derzeitige Situation ist angespannt und auch unübersichtlich. Vor allem die Flüchtlinge, die aus Syrien kommen, haben Schlimmes hinter sich; auf der anderen Seite droht sich Europa immer mehr abzuschotten. In den letzten Tagen haben einzelne Länder Grenzbefestigungen installiert, so dass ich glaube, dass der Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland abnehmen wird, weil die meisten der Flüchtlinge gar nicht mehr bis nach Deutschland kommen. Ich halte das für ein eher zynisches Verhalten der Regierungen, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Ich befürchte, dass im Zuge der drei anstehenden Landtagswahlen auch eine Verschärfung der Aufnahme in Deutschland stattfindet. Die öffentliche Rhetorik tönt das schon an. Aber die Situation in Syrien und in anderen Ländern ist derart katastrophal, dass es eigentlich gegen jedes humanitäre Gebot verstößt, wenn wir Flüchtlinge abweisen. Das glaube ich trotz allem sagen zu müssen, obwohl ich nicht blauäugig bin und die enormen Herausforderungen deutlich sehe. Glücklicherweise stehen im Moment wegen der guten wirtschaftlichen Lage die Finanzierungsfragen nicht so im Vordergrund. Aber auch das wird sich möglicherweise ändern.

Fischer: Wie schätzen Sie die Chancen einer Integration der Flüchtlinge in Hessen ein?

Bischof Hein: Es ist uns bisher gut gelungen, diejenigen, die zu uns gekommen sind, aufzunehmen, und es wird uns auch, wenn wir uns bemühen, gut gelingen, sie in Deutschland zu integrieren. Das sind Aufgaben, die wir uns letztlich nicht ausgesucht haben. Aber ich glaube, dass es viele Menschen guten Willens gibt, die dazu ihren Beitrag leisten wollen – nicht zuletzt in den großen Kirchen.

Fischer: Was ist aus ihrer Sicht das Gebot dieser Stunde?

Bischof Hein: Das Gebot dieser Stunde ist konkrete Hilfe vor Ort. Unsere Landeskirche hat in den letzten vier Jahren über 7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um Flüchtlinge in unterschiedlichen Situationen zu unterstützen, sei es durch Beratung, sei es durch Aufnahme, sei es durch Initiativen, die in den Kirchengemeinden stattfinden. Wir kommen unserer gesellschaftlichen Verantwortung nach. Das würde ich mir auch von manch anderen Institutionen und Organisationen in gleicher Weise wünschen. Dann können wir es tatsächlich schaffen, den Menschen eine Heimat zu geben, und sei es auch nur vorübergehend. Wir dürfen nicht nur reden! Wir müssen es tun! Die Landeskirche hat allein seit Herbst letzten Jahres 500 Wohnplätze zur Verfügung gestellt. Das sind Plätze für die dauerhafte Unterbringung von Flüchtlingen. Wir konnten eine ganze Anzahl von Gemeindehäusern und Pfarrhäusern umwidmen, so dass die Menschen eine Bleibe finden. Insgesamt nehmen wir die Aufgabe, die sich uns seit dem vergangenen Jahr stellt, sehr ernst.

Fischer: Wie sehen Sie das gesellschaftliche Umfeld für diese Aufgaben?

Bischof Hein: Die Akzeptanz für das, was wir als Kirche tun, nimmt ab. Aber das ist eine Erfahrung, die wir häufiger machen. Die sehr gereizte und polarisierte Stimmung in unserer Gesellschaft erreicht auch die Kirchen. Wichtig ist mir, dass diejenigen, die anfangs hochmotiviert waren, sich um Flüchtlinge zu kümmern, nicht in ihrem Engagement nachlassen. Wir müssen uns aber nicht nur um Flüchtlinge kümmern, sondern um alle, die ehrenamtlich arbeiten oder die ehrenamtliche Arbeit fördern und begleiten. Wir müssen sie unterstützen, müssen ihnen die Möglichkeit geben, sich hinsichtlich der Belastungen auszutauschen. Und wir sollten uns Gedanken über eine Kultur des Abschieds machen: Wenn Menschen für eine Weile bei uns gelebt haben und wieder nach Hause müssen, haben wir ihnen so beizustehen, dass der Abschied gelingen kann. Das wird jetzt häufiger geschehen! Denn es ist ja immer wieder überraschend, wie schnell vor Ort enge Beziehungen zwischen völlig fremden Menschen entstehen. Eine Erfahrung übrigens, die ich vielen Menschen wünsche. Sie ist das beste Mittel gegen Ängste.

Fischer: Herr Bischof, zu einem anderen Thema: Sie legen bei dieser Synode ein ganzes Paket zur Nachwuchsförderung vor. Was ist die Idee hinter dem Paket?

Bischof Hein: Es gibt weniger junge Menschen, die Pfarrer oder Pfarrerin werden wollen. Die Konkurrenz nimmt zu, denn auch in anderen Bereichen des öffentlichen oder wirtschaftlichen Lebens gibt es Initiativen, junge Menschen für einen bestimmten Beruf zu motivieren. Das hängt mit der Bevölkerungsentwicklung zusammen! Wir sollten also unsere eigenen Stärken klar darstellen. Ich halte den Pfarrberuf für einen wunderschönen und tief erfüllenden Beruf. Das müssen wir denjenigen Abiturientinnen und Abiturienten vermitteln, die möglicherweise überlegen, ob sie den Pfarrberuf ergreifen wollen.

Fischer: Und wie wollen Sie Abiturientinnen und Abiturienten vom Theologiestudium begeistern?

Bischof Hein: Wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, gut Theologie zu studieren. Sie sollen nicht darauf angewiesen sein, neben dem Studium zu jobben. Deswegen bieten wir allen Studierenden ein Stipendium von monatlich 500 € an, das verbunden ist mit der Verpflichtung, im Anschluss dann auch fünf Jahre in dieser Landeskirche zu arbeiten. Ähnliche Modelle gibt es in der Wirtschaft schon lange. Wir wollen damit auch die innere Bindung an die Landeskirche fördern, denn wir stehen als Region und als Landeskirche in Konkurrenz! Mit dieser Idee sind wir richtig innovativ. Wir werden die erste Landeskirche sein, die solch ein Programm auflegt. Und ich glaube, dass andere Landeskirchen das ebenfalls ausprobieren werden.

Fischer: Sie haben die anderen Landeskirchen angesprochen. Wie werden die anderen Landeskirchen das kurhessische Modell sehen?

Bischof Hein: Sie werden es zumindest aufmerksam beobachten. Auf zwei Probleme stoßen wir nämlich überall: Zum einen ist die Frage, was Pfarrerinnen und Pfarrer eigentlich genau machen, also worin der Beruf genau besteht, in der jüngeren Generation oft unklar. Man erlebt Pfarrerinnen und Pfarrer normalerweise ja immer nur in bestimmen Situationen, also im Gottesdienst, im Unterricht oder bei Besuchen. Aber das ist ja wahrlich nicht alles! Auf der anderen Seite gibt es angesichts der demografischen Entwicklung einfach insgesamt weniger junge Menschen. Uns geht es darum, durch ein länger angelegtes Konzept das Interesse am Theologiestudium und am Pfarrberuf zu wecken und Möglichkeiten zu schaffen, in einem überschaubaren Zeitraum dieses interessante Studium und eine gute Ausbildung zur Pfarrerin bzw. zum Pfarrer zu gewährleisten. Und dieses Interesse teilen alle Landeskirchen.

Fischer:  Welche konkrete Anzahl von Theologiestudierenden, die in unserer Landeskirche später einmal als Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten wollen, streben Sie mit diesen Maßnahmen an?

Bischof Hein: Wir streben eine Zahl von 100 Theologiestudierenden an, die nach dem Studium ihren Dienst in der Landeskirche versehen wollen. Wenn uns das in den nächsten Jahren gelingt, dann ist die Versorgung der Gemeinden durch Pfarrerinnen und Pfarrer gewährleistet und auch der Pfarrberuf gut aufgestellt.

Fischer: Herr Bischof, vielen Dank für das Gespräch!