Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 09 Nov 2016

Bischof Prof. Dr. Martin Hein stellte sich den Fragen des Leiters des Medienhauses der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Pfarrer Christian Fischer, am 16.11.2016 in Kassel.

Fischer: Herr Bischof, Sie setzten bei Ihrem Bericht vor der Herbstsynode den Schwerpunkt in diesem Jahr auf dem Thema «Barmherziger Gott». Warum dieses Thema in dieser Zeit?

Bischof Hein: Schon seit langer Zeit bin ich bundesweit im interreligiösen Gespräch engagiert. Die Flüchtlingssituation im vergangenen Jahr hat dazu geführt, dass eine große Anzahl Muslime zu uns gekommen ist. Natürlich stellen sich nun unsere Gemeinden die Fragen: Wie ist das in der Begegnung mit der Religion anderer? Was gibt es an Gemeinsamkeiten? Was trennt uns wirklich? Mein Anliegen ist es, einmal auf theologischem Weg, jenseits der aktuellen politischen Auseinandersetzung, aufzuzeigen, was die drei großen monotheistischen Religionen miteinander verbindet und was uns trennt. Und da ist gerade das Verständnis der Barmherzigkeit Gottes eine ganz, ganz große Brücke, auf der wir uns als Juden, Muslime und Christen begegnen können. Die Barmherzigkeit Gottes spielt in allen drei Religionen eine wesentliche Rolle als Voraussetzung für unser eigenes barmherziges Tun. Wir können anderen Barmherzigkeit zukommen lassen – etwa in der Integration von Flüchtlingen –, weil Gott zu uns barmherzig ist. Das ist etwas, was sich in allen drei Religionen findet, was nicht immer in gleicher Weise ausgeprägt ist, woran ich aber in meinem Bericht erinnern möchte.

Fischer: Barmherzigkeit ist das Stichwort. Was bedeutet Barmherzigkeit im christlichen Kontext?

Bischof Hein: Barmherzigkeit ist nicht allein Mitleid, sondern sie ist die liebende Zuwendung zu den Menschen, die schwach oder ausgestoßen sind, die missachtet werden, die unterdrückt sind, die nicht im Rampenlicht stehen, damit auch sie aus der ganzen Fülle leben können, die Gott für uns bereit hält. Aus Gottes Barmherzigkeit können wir reichlich barmherzig sein. Das ist die Erkenntnis, die sich mir aus dem Nachdenken über alle drei Religionen aufdrängt.

Fischer: Und was bedeutet Barmherzigkeit zum Beispiel im Islam? Gibt es da Unterschiede?

Bischof Hein: Im Islam heißt Barmherzigkeit auch, dass man sich, als eine der fünf Säulen, um die Fürsorge für die Armen kümmert. Ein aufrechter Muslim kann seine Frömmigkeit gar nicht erfüllen, ohne gleichzeitig an die zu denken, denen es schlechter geht als ihm.

Fischer: Die großen monotheistischen Religionen beten jeweils ihren eigenen Gott an. Welche Gemeinsamkeiten gibt es? Handelt es sich vielleicht sogar um den gleichen Gott?

Bischof Hein: Der Satz, dass nur die Muslime zu Allah beten, wäre schon deswegen in sich problematisch, weil auch die orientalischen Christen, die arabisch sprechen, ebenso zu Allah beten. «Allah» heißt nichts anderes als «Gott». Gott ist also nicht «Allah» im Sinn eines Eigennamens, sondern Allah ist der arabische Ausdruck für Gott. Für mich bedeutet das, dass es nicht drei Götter von drei Religionen im Himmel gibt. Es ist der gleiche Gott, zu dem wir beten, aber auf unterschiedliche Weise und auch auf Grund unterschiedlicher Erkenntnis. Und dann kann ich in aller Gelassenheit sagen: Wir als Christen vertrauen auf die Offenbarung Gottes in Jesus Christus und können von dieser Offenbarung gar nicht absehen, sonst würden wir uns ja außerhalb unseres eigenen Glaubens stellen. Aber am Schluss, sagt der Apostel Paulus, wird Gott alles in allem sein. Ich gehe davon aus, dass das in gleicher Weise Juden wie Muslime umfasst.

Fischer: Es gibt also so etwas wie ein Konzert der großen Religionen. Wo ist die Rolle des Christentums, wenn Sie an diese drei großen Religionen denken?

Bischof Hein: Gegenwärtig sind Judentum und Christentum in ihrer Form der eigenen Glaubensüberzeugung so entwickelt, dass sie reflektiert über ihren eigenen Glauben Auskunft geben. Die Aufklärung hat das Nachdenken über den jüdischen wie den christlichen Glauben nachhaltig geprägt. Soweit sind weite Teile des Islam aktuell nicht. Gerade in den letzten zweihundert Jahren gibt es im Islam eine Tendenz hin zum Fundamentalismus, der gegenwärtig mit Macht nach vorne drängt und der sich gewaltsam äußert. Aber auch das Grundprinzip des Islam ist keine Gewalt, sondern Überzeugung. Ich glaube, dass man die Vertreter des Islam an ihre eigenen Wurzeln erinnern muss, um zu zeigen, dass es in unserer Gesellschaft nur ein friedliches Zusammenleben der Religionen geben kann. Alle Versuche, einem fundamentalistischen Islam zu folgen, werden auf den deutlichen Wiederstand einer freiheitlichen Gesellschaft stoßen. Ich kann mir also überhaupt nicht vorstellen, dass für Muslime in Deutschland ein eigenes Recht, etwa in Form der Scharia, eingeführt wird. Wer Muslim ist, genießt in Deutschland Religionsfreiheit, genauso wie Juden, Christen und Angehörige anderer Religionen und Weltanschauungen, dies aber im Rahmen der für uns alle gültigen demokratischen Grundordnung.

Fischer: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bischof.

(16.11.2016)