Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 22 Feb 2017

Bischof Prof. Dr. Martin Hein stellte sich den Fragen des Leitenden Redakteurs der Mitarbeiterzeitschrift «blick in die kirche», Lothar Simmank, und des blick-Redakteurs Olaf Dellit am 31.01.2017 in Kassel.

blick in die kirche: Im Bischofsbericht vor der Landessynode, in einem Zeitungsinterview und auch in einem Vortrag vor der EKD in Brüssel haben Sie die These vertreten: «Juden, Christen und Muslime beten zu demselben Gott». Dies hat Zustimmung und auch heftigen Widerspruch provoziert. Haben Sie damit gerechnet?

Bischof Hein: Die zum Teil aggressiven Rückmeldungen haben mich überrascht, weil ich den Eindruck habe, sie beziehen sich auf etwas, was ich gar nicht gesagt habe. Dabei spielen Vorurteile eine nicht geringe Rolle. Ich habe nie behauptet, dass der Islam, das Christentum und das Judentum identische Religionen seien. Ich habe nur gesagt: Nach meiner theologischen Erkenntnis handelt es sich um denselben Gott, den alle drei monotheistischen Religionen verehren. Aber gleich angefügt: Sie verehren ihn auf höchst unterschiedliche Weise.

blick in die kirche: Das wurde zum Teil als Angriff auf das Christentum gewertet.

Bischof Hein: Ich stelle doch das Erlösungswerk Jesu Christi wie auch die Berufung Israels überhaupt nicht in Frage. Es ist eine ganz andere Ebene, mit der wir es zu tun haben. Ich versuche, in dem Bezug auf den gemeinsamen Gott die Menschen guten Willens in allen drei Religionen anzusprechen und zu mehr Gemeinsamkeit einzuladen.

blick in die kirche: Es gab doch auch Zustimmung zu Ihren Aussagen?

Bischof Hein: Meine These ist ja nicht neu. Deswegen habe ich etwa aus dem katholischen Bereich überhaupt keinen Widerspruch erfahren, vielmehr sagen zwei Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils genau dies: dass auch die Angehörigen der anderen monotheistischen Religionen denselben Gott verehren. Für die katholische Kirche ist das Thema seit 50 Jahren klar.

blick in die kirche: Welcher Kritik mussten Sie sich stellen?

Bischof Hein: Mir ist unterstellt worden, ich wolle das Christentum auflösen oder die Bedeutung Jesu Christi, des Kreuzes und seiner Auferstehung leugnen. Bis dahin, dass mir ein Pfarrer unserer Landeskirche nahegelegt hat, zurückzutreten, weil ich nicht mehr auf dem Boden von Bibel und Bekenntnis stünde. Mögliche Kritik habe ich vorher schon im Blick gehabt – aber in dieser Gestalt nicht. Eine kleine Pointe ist, dass selbst das Augsburger Bekenntnis – also das Grundbekenntnis der Evangelischen Kirche – die Muslime nicht unter die Heiden subsumiert, sondern von Häretikern spricht.
Häretiker sind aber diejenigen, die nicht an einen anderen Gott glauben, sondern an denselben Gott, aber auf irrige Weise. Damit ist die Frage nach demselben Gott im Augsburgischen Bekenntnis eindeutig entschieden.

blick in die kirche: Das ist auch eine theologisch anspruchsvolle Debatte.

Bischof Hein: Es zeigt sich an dieser Stelle, dass theologische Argumentation anspruchsvoll differenzieren muss. Ich habe mich mit meiner Aussage auf den engen Gottesbegriff bezogen und gesagt, dass wir hier eine Gemeinsamkeit haben.
Mehr noch: Ich erwarte sogar von Muslimen, dass sie nicht bei dem Vorurteil stehen bleiben, wir Christen würden an drei Götter glauben. Ich erwarte, dass ein ernsthafter Dialog versucht, die christliche Position der Trinitätslehre nachzuvollziehen.

blick in die kirche: Die Debatte konzentrierte sich auf den Islam, aber Sie beziehen ja auch das Judentum ein.

Bischof Hein: Ich habe interessanterweise Schützenhilfe von dem jüdischen Historiker Michael Wolfssohn bekommen, der in einem Radiointerview gesagt hat, für Juden sei der Gedanke der Trinität in seinen Inhalten durchaus nachvollziehbar. Die Zumutung christlicherseits besteht darin, dass sich die beiden anderen Religionen mit der Art und Weise auseinandersetzen müssen, wie sich uns Christen dieser selbe Gott in trinitarischer Weise offenbart. Möglicherweise können sie darin eine Brücke zu ihrer eigenen Gottesvorstellung finden. Das ist die Pointe meiner Ausführungen.

blick in die kirche: Wer sich in diesen Tagen öffentlich zum Islam äußert, muss mit heftigen Reaktionen bis hin zu handfesten Drohungen rechnen. Gab es das bei Ihnen auch?

Bischof Hein: Nein. Die einzige brieflich geäußerte Hoffnung bestand darin, dass mir ein Mühlstein um den Hals gehängt werden solle, um mich zu versenken. Das nehme ich nicht ernst.

blick in die kirche: Wie war die Resonanz rein zahlenmäßig?

Bischof Hein: Am Anfang war die Kritik sehr heftig. Meine Position wurde vor allem im evangelikalen Bereich öffentlich kritisiert. Inzwischen ist es umgekehrt. Ich erhalte – auch aus den Reihen der Emeriti – viel Dank und Zustimmung. Das Blatt hat sich vollkommen gewendet. Die ursprüngliche Erregungsatmosphäre ist einem Nachdenken gewichen.
Nicht nur Theologen stimmen mir zu, sondern auch Gemeindeglieder, die mir schreiben: Wir sind Ihnen dankbar, dass Sie versuchen, in der angespannten Situation zwischen Christen und Muslimen die Theologie als ein friedensstiftendes Potenzial zu entdecken. Und wir Christen entdecken in dieser Diskussion die trinitarische Weite unseres Gottesbegriffes wieder. 

blick in die kirche: Kritiker sagen, Sie würden verfolgten Christen in muslimischen Ländern schaden.

Bischof Hein: Der Vorwurf, ich würde den Christen in arabischen Ländern in den Rücken fallen, ist absurd. Zum einen ist im Arabischen «Allah» schlicht die Gottesbezeichnung auch für Christen. Zum anderen: Ich bin im Oktober 2016 in Syrien gewesen und im Januar 2017 aus dem Irak zurückgekommen und habe mich genau mit der Lage der Christen befasst. Mein Fazit: Wenn es so weitergeht, wird es dort in 20 Jahren keine Christen mehr geben. Die Frage aber, wie Muslime mit Christen umgehen und wie Christen bei uns mit Muslimen, hat mit der Frage, ob wir an denselben Gott glauben, zunächst einmal nichts zu tun.

blick in die kirche: Was folgern Sie daraus?

Bischof Hein: Ich habe mit muslimischen Vertretern – in Bagdad etwa mit dem Direktor der Religionsbehörde der Schiiten – über meine These gesprochen. Er teilt sie vollkommen. Es ist für ihn derselbe Gott, obwohl er vollkommen andere Konsequenzen daraus zieht. Wenn man sich nicht bekämpft, sondern fragt: «Wie siehst du das?», dann ist das die Öffnung eines Dialogs.
Bei einem Gespräch mit dem Rat der Imame in Erbil, Kurdistan, mündete das Gespräch in ein Gebet, zu dem uns der Imam einlud. Er bat um Vergebung für all das, was Muslime im Irak Christen antun. Damit war für mich auch die theoretische Frage nach den Formen des Gebetes durch die Praxis eingeholt. Es war ein Gebet, zu dem er uns eingeladen hatte und das ich von Anfang bis Ende mitbeten konnte.

blick in die kirche: Sie würden also sagen, dass Ihr Vorstoß erfolgreich war?

Bischof Hein: Ja. Er hat zumindest dazu geführt, dass die Dreieinigkeit Gottes in den Gemeinden unserer Landeskirche auf einmal wieder zum Thema wird. Darüber bin ich froh. Die Trinitätslehre könnte eine Brücke sein, miteinander enger in Beziehung zu treten; und das nicht nur mit Muslimen, sondern auch mit Menschen jüdischen Glaubens. Also: Wir müssen uns nicht verteidigen, dass wir drei Götter haben, sondern ich lade andere ein zu verstehen, warum wir so von Gott reden, wie wir das tun. Dann muss man immer noch in der Begegnung offen lassen, was daraus folgt. Sich über die Gottesfrage zu verständigen, ist ein spannender Weg.

blick in die kirche: Ihre Kritiker halten vor allem die Dreieinigkeit für einen nicht aufzulösenden Gegensatz zwischen den Religionen. Wenn Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist ist; dann geht derselbe Gott nicht ohne Jesus Christus.

Bischof Hein: Natürlich nicht. Das wäre ja geradezu fatal, dann wären wir keine Christen. Aber die Offenbarung Gottes in Jesus Christus ist nicht die alleinige. Im jüdisch-christlichen Dialog sind wir so weit gekommen, sagen zu können: Gottes Offenbarung in der Tora ist für das Volk Israel die letztgültige und abschließende. Wir werden durch Christus in den Bund hinein genommen, den Gott mit Israel geschlossen hat.
Muslime sagen, sie könnten ohne das alles auskommen. Jesus sei zwar ein wichtiger Prophet, der letzte vor Mohammed, und Maria sei auch wichtig, aber im Grunde brauchten sie das nur als Vorbereitung auf die alleinige Offenbarung Gottes im Koran. Doch ohne das Christentum ist der Islam nicht denkbar.

blick in die kirche: Also gibt es doch große Differenzen zwischen den Religionen?

Bischof Hein: Die erste Person der Trinität steht bei allen außer Frage. Ich als Christ kann mich nicht frei machen von meiner eigenen Glaubenserfahrung. Natürlich glaube ich an Christus. Die Frage ist, ob die Offenbarung Gottes durch den Heiligen Geist nicht weiterreicht und auch jene umfassen kann, die Christus leugnen und trotzdem vom Licht des Evangeliums erfasst werden.

blick in die kirche: Wie kann das konkret in der Praxis umgesetzt werden? Christen beten explizit zu Jesus Christus, da können die anderen ja nicht mitbeten?

Bischof Hein: Wenn ich in einem gemeinsamen Gottesdienst ein christliches Gebet spreche, müssen Muslime das mit Andacht und Respekt hören können.

blick in die kirche: Nehmen wir als Beispiel Einschulungsgottesdienste, die religionsübergreifend gefeiert werden...

Bischof Hein: Unsere Kammer für Mission und Ökumene steht einem interreligiösen Gebet mit gemeinsamen Formulierungen, die allen Religionen gemäß sind, eher zurückhaltend gegenüber. Ein multireligiöses Gebet ist da angemessener; das heißt, die einzelnen Vertreterinnen und Vertreter der Religionen sprechen ein Gebet für sich in einem gemeinsamen Gottesdienst.
Es ist ja schon beachtlich, wenn Muslime freiwillig zu solch einem Gottesdienst kommen, denn sie begeben sich in einen Raum hinein, der von vornherein christlich bestimmt ist; es sei denn, der Gottesdienst findet in der Turnhalle der Schule statt.    

blick in die kirche: Würden Sie auch einen Einschulungsgottesdienst in einer Moschee für denkbar halten?

Bischof Hein: Ich könnte es mir letzten Endes vorstellen, aber das hat dann mit den Mehrheits- und Minderheitsverhältnissen zu tun und es setzt immer voraus, dass der christliche Part auch zur Geltung kommt.
Der Versuch ist ja, das Gemeinsame zu betonen, aber das ist unter den gegenwärtigen politischen Entscheidungen ausgesprochen schwierig. Wir haben es unbestritten mit islamischem Terror zu tun. Er kann sich nicht aus den Wurzeln des Islam begründen, aber er macht sich den Koran zunutze, um Unterdrückung, Diskriminierung und terroristische Attacken zu legitimieren.

blick in die kirche: Seit einigen Jahren gibt es auch islamischen Religionsunterricht an den Schulen. Wie sehen Sie das?

Bischof Hein: Die beiden evangelischen Kirchen in Hessen waren von Anfang an sehr dafür, dass ein konfessionell bestimmter islamischer Religionsunterricht in Hessen eingeführt wird. Ich finde es wichtig, dass nicht eine allgemeine Religions- oder Islamkunde unterrichtet wird, sondern dass ein authentischer islamischer Unterricht stattfindet. Und je besser die Lehrbücher gestaltet sind, desto mehr trägt der Unterricht zur Kenntnis der anderen wie der eigenen Religion bei.

(22.02.2017)

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