Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 22 Nov 2017

Prälatin Marita Natt stellte sich den Fragen von Pfarrer Christian Fischer, Leiter des Medienhauses der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, und blick-Redakteur Lothar Simmank am 21. November 2017 in Kassel.

Fischer: Frau Natt, als ich Sie vor 7 Jahren kurz vor Ihrer Amtseinführung befragte, sagten Sie: «Ich freue mich darauf, die unterschiedliche Arbeit von Pfarrerinnen und Pfarrern ermutigend und kritisch zu begleiten». Lassen Sie uns heute einen Blick zurück werfen. Wo konnten Sie in den vergangenen 7 Jahren ermutigen, wo gab es Anlass zur Kritik?

Prälatin Natt: Ich denke, ermutigend haben die Geschwister im Pfarramt die Gespräche im Personalbüro empfunden, in denen ihre Belange gehört wurden und gemeinsam nach Lösungen gesucht wurde. Dafür habe ich mir immer Zeit genommen. Es ist mir in diesen 7 1/2 Jahren ein Anliegen gewesen, jede und jeden Einzelnen in ihrer/seiner jeweiligen Situation zu sehen, ernst zu nehmen und zu unterstützen. Die «Pfarrhausbesuche» in den Kirchenkreisen 2015 waren für mich ein unglaublicher Gewinn. Bis heute wirken sie nach. Den Einladenden bin ich sehr dankbar, dass sie mir Haus und Kirchentüren geöffnet und meinen Blick in die Landeskirche geweitet haben. Ich hoffe, dass sie diese Besuche ebenfalls als Ermutigung und Wertschätzung erfahren haben. Gern habe ich positive Rückmeldungen auf Gottesdienste und Veranstaltungen gegeben und hoffe, dass das den Betreffenden gut getan und sie ermutigt hat.

Fischer: Und wo gab es Anlass zur Kritik?

Prälatin Natt: Wenn nachhaltige Störungen in der Wahrnehmung des Dienstes vorlagen und die Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben nicht mehr gewährleistet war, erforderte das klare Worte. In Bezug auf den Umgang mit den Synodenbeschlüssen und der Bearbeitung im Dezernat, die sehr transparent und unter breiter Beteiligung von Dekanen, Dekaninnen, Pfarrerinnen und Pfarrern in den Arbeitsgruppen stattgefunden hat, werde ich zunehmend kritischer gegenüber Stimmen, die alles schlecht reden wollen. Es gab schon lange regelhaft in meinen Personalberichten einen diesbezüglichen Schwerpunkt. Von Kooperationsräumen habe ich z. B. schon 2012 gesprochen. Die Bereitschaft zur Teamarbeit ist nicht immer gegeben, auch da bedarf es hin und wieder eines mahnenden Wortes.

Fischer: Sie hatten mit den Gemeinden angesichts der Pfarrstellenanpassungen schwierige Gespräche zu führen. Was ist Ihnen in diesem Zusammenhang am deutlichsten in Erinnerung geblieben?

Prälatin Natt: Die Leidenschaft und das Engagement, mit denen die Kirchenvorsteher/innen für ihre Gemeinden kämpfen, haben mich beeindruckt. Dass manche Gespräche zum Einverständnis führten, auch wenn vorher die Fronten verhärtet schienen, hat mich gefreut. Die Mühe hat sich immer wieder gelohnt, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Dekaninnen und Dekanen, die demnächst Pfarrstellenanpassungen (PAP) in Ihren Kirchenkreisen selbst verantworten müssen, waren uns immer wichtige Gegenüber. Das deutlichste Bild? Der Bus mit den 50 Menschen, die mit Transparenten und zwei Türen mit 95 Thesen, warum Pfarrstellen nicht eingespart werden sollen, vor dem Landeskirchenamt vorfuhren. Jedes Alter vertreten und alle mit Herzblut für den Verbleib ihres Pfarrers kämpfend. Wir haben geredet – ein erfahrener Freund und Dekan hat mich dabei unterstützt - und das war gut.

Fischer: Wie ist es denn ausgegangen?

Prälatin Natt: Man hat akzeptiert, dass Pfarrstellenanpassung in Zeiten weniger werdender Mitglieder nötig ist. Ich habe das Procedere einer Pfarrstellenanpassung, die ja einen längeren Zeitraum umfasst, erklärt. Die Sorge, zu Weihnachten keinen Pfarrer mehr zu haben, konnte damit allen genommen werden. Jetzt will man vor Ort daran arbeiten, dass die Gemeinde wächst. Schön, wenn es gelingt! Mit einem Reisesegen und einem gemeinsamen Lied im Foyer des Hauses sind wir auseinander gegangen. Eine gute Erfahrung, ich glaube, auf beiden Seiten!
In anderen Fällen gab es gegen den Bischofsbescheid Widerspruch, der dann im Rat behandelt wird. Schmerzliche Erfahrungen.

Simmank: Frau Natt, Sie haben ja in der Frühjahrssynode in diesem Jahr im Personalbericht davon gesprochen, dass ein Umdenken in der Personalplanung erforderlich sei. Was bedeutet das? Sind Sie nicht zufrieden so wie es bisher läuft, möchten Sie irgendwelche Dinge grundsätzlich geändert haben?

Prälatin Natt: Dahinter steht der Gedanke, alle kirchlichen Berufe stärker in den Blick zu nehmen, nicht nur Pfarrerinnen und Pfarrer, wie es lange Jahre im Personalbüro der Fall gewesen ist. Die Zukunft erfordert Aufmerksamkeit für alle kirchlichen Berufe und Mitarbeitenden. Ein Synodenbeschluss lautet: «Ziel soll sein, die Anforderungsprofile der kirchlichen Berufe auf der Grundlage der Aufgabenkritik weiter zu entwickeln». Daran wird beispielsweise in der Arbeitsgruppe Profilierung des Diakonenamtes und im neuen Personalausschuss gearbeitet.

Simmank: Also, im Prinzip zielt das ja dann auf ein gemeinsames Personaldezernat für Pfarrer und Nicht-Pfarrer?

Prälatin Natt: Das ist denkbar. Der erste Schritt in diese Richtung ist der von der Synode gewünschte gemeinsame Personalausschuss gewesen. Im Jahr 2019 soll es einen gemeinsamen Personalbericht geben, nicht mehr nur den Bericht der Prälatin / des Prälaten über das theologische Personal. Dieser Weg führt zwangsläufig dahin, dass wir uns als «Dienstgemeinschaft» sehen. Ich benutze einmal ganz bewusst diesen – leider umstrittenen – Ausdruck. Alle miteinander, gleichberechtigt, mit ihren jeweiligen Talenten und Berufen sind engagiert für die Sache Jesu, das wahrzunehmen und umzusetzen stärkt Kirche und Gemeinden.

Simmank: Der Begriff der Dienstgemeinschaft ist ja sehr ambivalent oder er wird zumindest im arbeitsvertraglichen Sinne oft zur Disziplinierung benutzt. Man hat den Eindruck, Sie haben den Begriff jetzt anders verstanden?

Prälatin Natt: 1934 ging es im «Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen» um die Einführung des Führerprinzips in die öffentliche Verwaltung und das Ausscheiden «volksfremder Elemente» aus der Dienstgemeinschaft, die im Zusammenhang mit der «Volksgemeinschaft» gesehen wurde. Für mich bedeutet «Dienstgemeinschaft», im wahrsten Sinne des Wortes: einander dienen. Und zwar im Sinn von 1. Korinther 12, in dem es um «viele Glieder und einen Leib» geht. Jeder ist gleich wichtig, gleich kostbar, und nur gemeinsam bilden wir den Leib Christi.

Simmank: Aber müsste man sich angesichts dieser belasteten Vergangenheit des Begriffs nicht vielleicht doch von dem Wort verabschieden und dafür irgendein neues sprachliches Konstrukt finden?

Prälatin Natt: Da ich meine Tätigkeit in allen Bereichen und Funktionen immer als «Dienst» empfunden habe, ist dieses Wort für mich nicht belastet. Und «Gemeinschaft» schon gar nicht. Gemeinsam Gott und den Menschen dienen, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.

Simmank: Eine ganz andere Frage: Im Bereich der landeskirchlichen Kirchenmusik geht es ja zurzeit darum ein Gesamtkonzept zu erarbeiten. Ich glaube, das hat gerade begonnen. Was erhoffen Sie sich denn von diesem Konzept?

Prälatin Natt: Ich erhoffe mir, dass unsere Kirchenmusik gestärkt wird! Und gesichert! Was wäre unsere Kirche ohne sie? Unsere Gottesdienste und Veranstaltungen? Aber das ist ja allen bewusst. Dass auch hier wirtschaftlich gedacht werden muss, haben die Synodenbeschlüsse gezeigt. Im Verlauf des Prozesses zur Vorbereitung eines Gesamtkonzeptes habe ich immer wieder gehört, wie Gewinn bringend es gewesen ist, dass alle beteiligt waren. Auch hier ist deutlich geworden, dass nicht ein Gegen – sondern ein gutes Miteinander aller Stimmen der Sache dient. Das stimmt mich zuversichtlich, dass ein «stimmgewaltiges» und klangvolles Ergebnis bei den weiter folgenden Sitzungen herauskommen wird. Ich bin gespannt auf 2020.

Simmank: Eine gemeinsame Internetseite gibt es ja schon.

Prälatin Natt: Ja, das ist wunderbar. Und weiteres: unsere kirchenmusikalische Ausbildungsstätte in Schlüchtern wird auch von der südhessischen Nachbarkirche gern genutzt. Das neue EGplus belegt es eindrücklich die gute Zusammenarbeit über Landeskirchengrenzen hinaus. Herr Hamburger unterrichtet in Herford, ist in der westfälischen Kirche als begnadeter Popkantor gern gesehen. Das zeigt: Kurhessen-Waldeck klingt bereits unüberhörbar in den Ohren der EKD. So soll es bleiben!

Fischer: Frau Natt, Ihr Dienst im Amt der Prälatin endet mit dem Jahreswechsel. Wenn Sie heute Bilanz ziehen: Wie zufrieden sind Sie rückblickend mit Ihrer Arbeit?

Prälatin Natt: «I did it my way», hat Frank Sinatra gesungen. Meine Art, das Prälatenamt zu füllen, ist vielleicht nicht überall auf Zustimmung gestoßen. Aber ich stehe dazu. Ich bin eine Teamworkerin. Ich habe bei vielen Entscheidungen, die die Zukunft betreffen, andere mit ins Boot geholt. Dekane, Dekaninnen, Pfarrer und Pfarrerinnen, Diakoninnen, Kirchenmusiker, Vertreterinnen der Verwaltung waren mir in den Arbeitsgruppen zur Umsetzung der Synodenbeschlüsse wichtige Berater und Gesprächspartner/innen. Ich wollte ungern von oben herab verordnen, sondern die Menschen, um deren Geschicke es ging, mitnehmen. Das ist mal mehr, mal weniger gelungen. Zumindest kann ich sagen, dass wir in den letzten sieben Jahren unsere Hausaufgaben im Personalbüro gemacht haben: Kooperationsräume, Dienstbeschreibungen, Leitfäden für bestimmte Arbeitsbereiche, alles das liegt vor. Da bin ich sehr dankbar für die Mitarbeit von Andreas Rohnke. Meine Sekretärin, Frau Meyer, Herr Nöding, der Referatsleiter im Personalbüro, sie haben mir die letzten Jahre eng zur Seite gestanden. Die Verantwortlichen aus den weiteren Referaten, und nicht zuletzt viele Menschen im Haus und in den Gemeinden haben dazu beigetragen, dass diese Jahre zu «Leuchtenden Jahren» (Mascha Kaleko) geworden sind. Die vielen Gottesdienste und Begegnungen landauf, landab will ich nicht missen, ebenso wenig die Gespräche im geschützten Raum des Büros.
Dankbar bin ich für die Erfahrungen in den vielen kirchenleitenden Gremien. Und nicht zuletzt unserem Bischof für sein Vertrauen und unserem Vizepräsidenten für seine Begleitung.

Simmank: Aber braucht es nicht manchmal auch, wenn Sie dieses dialogische Prinzip so betonen, Machtworte, um gerade in Personaldingen Entscheidungen herbei zu führen?

Prälatin Natt: Unbedingt! Die gibt es, die lassen sich ja in vielen Zusammenhängen überhaupt nicht vermeiden. Letztlich muss immer eine Entscheidung gefällt werden. Aber auf dem Weg dahin finde ich es gut, wenn man Verständnis für bestimmte Schritte wecken kann.

Simmank: Was ist gelungen, was ist unvollendet?

Prälatin Natt: Das Ziel, was uns synodal von 2010 - 2017 vorgegeben war, haben wir erreicht. Was jetzt noch aussteht sind Einsparungen bei den Funktionspfarrstellen in höherem Maß. Das war bisher vom Umfang her so nicht vorgesehen, ist aber nach den Strukturbeschlüssen nun erforderlich. Eine neu gegründete Arbeitsgruppe aus dem Personalausschuss wird sich jetzt damit befassen, wie weitere Funktionspfarrstellen bis 2026 abgebaut werden können. Mir ist es nicht leicht gefallen, weil ich Kirche an anderen Orten und in der Gesellschaft unglaublich wichtig finde, jenseits der Parochie, die ich als leidenschaftliche Gemeindepfarrerin immer vertreten habe. Da müssen jetzt politische Entscheidungen gefällt werden, sonst schaffen wir es nicht.

Fischer: Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf das Amt. Welche Eigenschaften sind denn im Amt der Prälatin, im Amt des Prälaten von großem Vorteil? Was würden Sie sagen, was braucht man da?

Prälatin Natt: Zuhören können, Geduld und Demut, weil man nicht alles weiß und wissen muss, aber auch den Willen Entscheidungen zu fällen, wenn die Zeit reif ist und die Erkenntnis, wann die Zeit reif ist. Diplomatisches Geschick und Menschenfreundlichkeit sind mir wichtig, der erste Blick, mit dem man jemanden empfängt. Freude an vielen Begegnungen braucht es. Und für die Mitwirkung in vielen Gremien Sitzfleisch und Gelassenheit. Gottvertrauen ist nötig in diesem Amt, ebenso wie Jesus Christus als das eine Wort Gottes zu wissen, «dem allein wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben» (Barmen).

Fischer: Wenn Sie an den Übergang denken, was wünschen Sie denn ihrem Nachfolger im Amt?

Prälatin Natt: Dass er die Erfahrung machen darf, die ich machen durfte, nämlich in einem Personalbüro arbeiten zu dürfen, wo alle das Bestmögliche tun, um die vielfältige Arbeit zu unterstützen. Ich habe eine große Solidarität und Loyalität und Rückenstärkung erfahren durch Herr Nöding und sein Team, durch Frau Meyer, die Referatsleitenden und durch alle Mitarbeitenden hier im Haus. Ich wünsche meinem Nachfolger, dass er spürt, er ist hier in einem Team zusammen, auf das er sich verlassen kann. Ansonsten bringt er alles mit, was man für dieses Amt braucht. Auch die geistliche Stärke – und das ist das Wichtigste.

Fischer: Frau Natt, dann wünschen wir Ihnen Gottes Segen und viel Freude in Ihrer neuen Lebensphase. Übrigens: Was wird mit Frau Natt geschehen, wenn das neue Jahr beginnt?

Prälatin Natt: Dann wird sie erst einmal sortieren und den Umzug vorbereiten. Aus dem schönen Haus im Heideweg geht es in die Konfirmationsstadt Ziegenhain, in das Elternhaus meines Mannes, das über einen großen Garten verfügt. Da gibt es viel zu gestalten und neu zu entdecken. Ansonsten geht der Blick in Richtung Kirchenmusik. Ich habe früher ein wenig Orgel gespielt und überlege, ob ich einen Seniorenkurs in Schlüchtern besuche. Mal schauen. Also: ich lasse die Dinge sich entwickeln und kommen, die da kommen wollen. Gottesdienstanfragen gibt es schon für das nächste Jahr, ich muss nicht darben. Und im Übrigen freue ich mich auf die Zeit mit meinem Mann und auf viele Begegnungen mit unseren drei Töchtern und deren Partnern. Außerdem will ich mich um den Hof meiner verstorbenen Eltern kümmern. Nach vielen dienstlichen Umzügen kommen wir zuhause an. Das ist ein gutes Gefühl.

Fischer: Dann viel Spaß dabei.

(24.11.2017)