Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 03 Apr 2020

Kassel (medio). Der Rat der Landeskirche und das Kollegium des Landeskirchenamtes haben eine von Bischöfin Dr. Beate Hofmann und Vizepräsident Dr. Volker Knöppel am 3. April unterzeichnete «Stellungnahme zur Angemessenheit der derzeitigen Regelungen zu Zusammenkünften in Kirchen» angenommen.

Wir dokumentieren die Stellungnahme im Wortlaut:

Stellungnahme zur Angemessenheit der derzeitigen Regelungen zu Zusammenkünften in Kirchen 

«Neben vielen anderen Einschränkungen von Freiheiten im öffentlichen Leben hat das Land Hessen durch Rechtsverordnung auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes zeitlich befristet auch Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen und Gemeindezentren untersagt. Kritische Stimmen werten dies als unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit. Die Kirchen werden aufgefordert, sich gegenüber dem Staat gegen «Gottesdienstverbote» zur Wehr zu setzen. 

Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck hat schon zu einem frühen Zeitpunkt der Corona-Verbreitung das Infektionsrisiko bei Versammlung der Gläubigen in ihren Kirchen erkannt und insofern die staatliche Untersagung als notwendige Einschränkung zum Schutz des Lebens und der Gesundheit aller angenommen. Die Feier von Gottesdiensten wird hierdurch nicht verboten, aber die - für viele Menschen vertraute und wichtigste - herkömmliche Form der Zusammenkunft in der Kirche zum Gottesdienst ist für einen begrenzten Zeitraum nicht möglich. In dieser Zeit wird weiter Gottesdienst in anderen, zum Teil bereits eingeführten, zum Teil neuen, kreativen Formen gefeiert, ohne dass die mitfeiernden Menschen zusammen vor Ort sind. Auch ein Fernseh- oder Rundfunkgottesdienst, eine Andacht via Telefon oder im Internet sind vollwertige gottesdienstliche Formen der Verkündigung des Evangeliums. Das zentrale Geschehen eines Gottesdienstes, das Hören auf das Gottes Wort und das Reden mit Gott, kann auch digital oder telefonisch geschehen. Martin Luther hat in seiner sogenannten Torgauer Formel festgestellt: «Das ist Gottesdienst, dass nichts anderes geschehe, als dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch unser Gebet und Lobgesang.» Dies ist nicht verboten und geschieht weiter. Der Verzicht auf die physische Präsenz und das gemeinsame Feiern in einem Kirchenraum geschieht aus Nächstenliebe und Verantwortung insbesondere für die besonders Gefährdeten. Die Kirchen stehen den Menschen weiterhin offen zum Gebet und zur persönlichen Andacht. Auch kirchliche Bestattungen im engsten Familienkreis und seelsorgerliche Begleitung einzelner unter Wahrung der Abstand- und Schutzregeln sind weiterhin möglich und werden entsprechend durchgeführt.

Verfassungsrechtlich steht der uneingeschränkten Ausübung der Religionsfreiheit durch die gemeinsame Feier von Gottesdiensten in Kirchen das gesundheitspolitische Konzept der sozialen Distanzierung zum Schutz vor raschen massenhaften Infektionen gegenüber. Das Recht auf Leben nach Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz kann als Verfassungsgut auch einen Eingriff in die Religionsfreiheit rechtfertigen, sofern er verhältnismäßig ist und sich nicht gegen eine bestimmte Religion oder die Religion an sich richtet. Die Versammlungsverbote treffen alle Religionsgemeinschaften in Deutschland gleichermaßen, ebenso wie so gut wie alle übrigen Bereiche des sozialen Lebens. Ausgenommen sind nur die elementaren Grundbedürfnisse der Menschen wie Lebensmittelgeschäfte. Sofern und solange die religiöse Betätigung unter diesen Bedingungen einschließlich der Feier von Gottesdiensten in anderen Formaten möglich bleibt, begegnen daher die temporären Einschränkungen von Versammlungen in Kirchen, die von einem dauerhaften Verbot zu unterscheiden sind, keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. 

Diese und alle anderen staatlichen Maßnahmen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes müssen regelmäßig auf ihre Verhältnismäßigkeit hin geprüft werden. Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck wird die Beschränkungen der Religionsfreiheit ebenso wie anderer bürgerlichen Freiheiten, deren weitestmögliche Gewährung sie als hohes Gut erachtet, in diesem Sinne wie bisher weiter konstruktiv-kritisch begleiten.»

Kassel, 03.04.2020

gez. Dr. Beate Hofmann, Bischöfin
gez. Dr. Volker Knöppel, Vizepräsident