Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 12 Mär 2015

Frankfurt a.M. (medio). Der «Runde Tisch der Religionen» in Deutschland kam am Mittwoch (11.3.) in Frankfurt am Main zu seinem regelmäßigen Treffen zusammen. Angesichts der aktuellen Situation befasste sich das bundesweite Dialogforum in einen inhaltlichen Teil mit der Gewalt in den Religionen. Es sei ein Phänomen, das wohl den meisten Religionen bekannt ist: ihre Gedanken und Inhalte werden missbraucht, um menschenverachtende oder gar terroristische Taten zu rechtfertigen, berichtete Pfarrer Jens Heller, Medienbauftragter im Sprengel Hanau, von dem Treffen.

Im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stünden derzeit die Gräueltaten des Terrornetzwerkes „Islamischer Staat“ vor allem in Syrien. Unter Berufung auf den Koran und mit dem Anspruch, einen Gottesstaat zu errichten, würden grausame Verbrechen an der Menschlichkeit verübt, vor denen selbst die große Mehrheit der Muslime nur erschrocken den Kopf schütteln kann, so Heller weiter.

In zahlreichen Fernsehtalkrunden werde in diesen Tagen allerdings der Versuch unternommen, die Religion des Islam von der Belastung durch den Islamismus zu unterscheiden und zu befreien. Dr. Detlef Görrig, Beauftragter der Eevangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für den interreligiösen Dialog, und Dr. Timo Aytac Gützelmansur von der Christlich-Islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstätte (CIBEDO) versandten im Vorfeld der Sitzung eine Liste mit potientiell gewaltverherrlichenden Koranversen an die Vertreter des Islam mit der Bitte um Erläuterung und Auslegung.

Selçuk Dogruer, Landeskoordinator des DITIB Landesverbandes Hessen, erläuterte die Verse auf dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte. Sie seien in einer Zeit der Bedrängnis geschrieben worden und hätten auch nur Gültigkeit, wenn und solange eine akute Bedrohung vorliege. Man müsse im Koran normative und historische Verse unterscheiden. Im Mainstream der Koranauslegung gebe es fünf unbedingt schützenswerte Prinzipen: das Leben, die Religion, was auch als Religionsfreiheit zu übersetzen sei, die Nachkommenschaft, das Eigentum und der Verstand. Zudem sei bei der Betrachtung zeitgenössischer Phänomene in islamischen Ländern auch immer zu bedenken, dass die Mehrzahl der Gesetze nicht religiös, sondern kulturell bedingt seien. Der Islam lehre eben keine Gewalt, sondern Toleranz. Mission sei im Islam nie als Zwang zu verstehen, sondern müsse immer auf dem freien Willen beruhen. Wo dies nicht so verstanden werde, treffe man auf ein Paradoxum.

Der Islamwissenschaftler und Pädagogische Mitarbeiter im «Violence Prevention Network», Talha Taskinsoy, erläuterte die Mechanismen und Prozesse, die bei muslimischen Jugendlichen zur Radikalisierung führen. Dazu berichtete er lebendig und anschaulich aus seinem Alltag, wo es darum gehe, diese Radikalisierung zu verhindern oder bereits radikalisierte Jugendliche zurückzugewinnen. Die Abgrenzungstendenzen seien in der Regel gerade nicht religiös, sondern sozial motiviert. Die «religiöse Schicht» sei am Ende sehr dünn.  Jugendliche kämen meist aus sozial schwachen Bedingungen und hätten zudem in der Regel Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. In der Begegnung mit ihnen gehe es zunächst einmal darum, zuzuhören. In vielen Gesprächen werde versucht, die Jugendlichen vor den Radikalismen zu retten und ihnen stattdessen Ideale zu geben. In Deutschland müsse man, empfahl Taskinsoy, mehr mit den Begriffen spielen: so seien muslimische Kinder nicht «Kinder mit Migrationshintergrund», sondern eher «Kinder mit kulturellen Zusatzqualifikationen». Die Teilnehmer der Diskussionsrunde waren sich darin einig, dass es positive Signale brauche, um voranzukommen, so Pfarrer Heller. (12.3.2015)

Linktipp:

Informationen zum «Runden Tisch der Religionen» finden Sie im Internet
unter:

runder-tisch-der-religionen.de/