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Radwegekirchen in der EKKW
Radwegekirchen in der EKKW

Eine Liste aller Radwegekirchen der Evangelischen Kirche in Kurhessen-Waldeck mit Adressen und Angabe der Radwege bzw. Pilgerpfade.

Wenn Fans zum heiligen Rasen pilgern

Was Stadionpfarrer Eugen Eckert über den Fußball allgemein und den Fußballgott denkt - das komplette Interview

Was macht eigentlich ein Stadionpfarrer?
Pfarrer Eugen Eckert: Neulich habe ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Kirchengemeinde zum Betriebsausflug begrüßt. Am Samstag habe ich eine Taufe, am Sonntag drei Taufen. Vor ein paar Wochen habe ich die Trauerfeier für Bernd Hölzenbein, unseren Weltmeister von 1974, gestaltet. Der Stadionpfarrer macht ganz normal Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Ansonsten kommen viele Gruppen.


Gibt es Parallelen zwischen Bundesligaspielen und Gottesdiensten?
Eckert: Fangen wir mit dem Szenario an: Da pilgern die Fans, und zwar zum heiligen Rasen. Die Gemeinde macht sich auf und betritt den Gottesdienstraum. Dann gibt es die Vorsänger, denen alle anderen nachsingen. Es gibt die liturgische Kleidung der Spieler, der Einlaufkinder und der Schiedsrichter. Die Schiedsrichter sind wie die Pfarrerin, Pfarrer und Kirchenvorstand; sie stellen die Regeln auf und sagen, wann es anfängt und wann es aufhört. Dazwischen gibt es Zwischenrufe und Gesänge, vergleichbar mit amerikanischen Gottesdiensten, wo jemand „Hallelujah“ oder „Praise the Lord!“ ruft.

Und der wichtigste Unterschied?
Eckert: Fußball ist ein Spiel, ganz einfach. Es dauert 90 Minuten, erzählt also nicht vom ganzen Leben. Im Fußball wird auch nicht der Frage nachgegangen: Woher komme ich und wohin gehe ich? Und was hält mich im Letzten, im Leben und im Sterben? Im Fußball hofft man nur, dass die eigene Mannschaft gewinnt.
Aber es gibt schöne biblische Geschichten, die auch beim Fußball eine Rolle spielen. Zum Beispiel, dass die vermeintlich schwächere Mannschaft immer hofft, dass der kleine David den großen Goliath besiegt.

Darf man eigentlich für den Sieg der eigenen Mannschaft beten?
Eckert: Ich habe einmal ein Fußballbuch geschrieben und unter anderem Sebastian Kehl interviewt. Er war als frommer Katholik bekannt und ich habe ihn auch nach dem Gebet gefragt. Er hat sehr deutlich gesagt, dass man Gott nicht parteilich auf seine Seite ziehen kann. Sein Satz hat mir imponiert: „Wenn ich in meiner Kabine für den Sieg beten würde, kann ich davon ausgehen, dass in der anderen Kabine auch einer sitzt, der um den Sieg bittet.” Das ist ein unauflösliches Dilemma. Dafür darf man Gott nicht missbrauchen. 
Wofür man beten kann, so seine Antwort, ist, dass man fair bleibt im Spiel, dass man gesund herauskommt und dass man das Spiel als Spiel begreift und nicht als die wichtigste Sache im Leben.

Geht Ihnen auch manches zu weit; zum Beispiel wenn Fußballer regelrecht vergöttert werden?
Eckert: Ich betrachte diese Dinge mit einem Schuss Humor. Der Begriff Fußballgott kommt von 1954, als Reporter Herbert Zimmermann den Torhüter Toni Turek Fußballgott nannte, aber auch Teufelskerl. Er ist damals von den Kirchen angeschossen worden und hat sich für die Wortwahl entschuldigt. Aber das Wort Fußballgott ist seither im Mund der Fans.
Ich finde den Begriff nicht prickelnd. Aber ich merke daran, dass unsere Sprache Grenzen hat, wenn die Fans versuchen, das Schönste, das Größte darzustellen. Als Pfarrer lächele ich darüber und wenn ein ernstes Gespräch mit Fans möglich ist, relativiere ich es auch sehr schnell.

Sie arbeiten nicht mehr im Waldstadion, sondern im „Deutsche Bank Park“ – wie problematisch ist die Kommerzialisierung des Fußballs?
Eckert: Das ist ein schwieriges Thema. Im Halbfinale der Champions League hat Borussia Dortmund gerade erst im Spiel gegen Paris Saint Germain gegen eine noch sehr viel kommerzialisiertere Mannschaft gewonnen. Diese Geschichten kann der Fußball immer noch schreiben. Zum Glück oder: Gott sei Dank.

Aber natürlich sagen die Fans, dass die Kommerzialisierung im Fußball überbordet. Im Grunde ist es ein Wettlauf, der irgendwann zu einer Implosion führen wird. Selbst ehemalige Bundesligisten, die in dem Wettlauf mitgelaufen sind und nicht erfolgreich waren, erleben das Desaster, dass sie bis in die vierte Liga durchgereicht werden.

Es ist eine Münze mit zwei Seiten. Die eine Seite heißt: Wenn man will, dass Mannschaften erfolgreich spielen, brauchen sie die finanzielle Ausstattung für den Erfolg. Die andere Seite: Spieler werden ohne jeden Respekt gekauft und verkauft. Dass Neymar für 220 Millionen Euro nach Paris gegangen ist, war ein Skandal. Für diesen Betrag hätte man viele hungernde Menschen wochenlang ernähren können.

Ein anderes Thema: Zum einen verbindet Fußball, zum anderen führt er manchmal zu Hass und Gewalt. Wie erleben Sie diesen, diesen Zwiespalt?
Eckert: Die Bibel weiß, dass der Mensch auch böse Anteile hat und dass diese Anteile manchmal herausbrechen. Der Fußballplatz ist oft ein Ort, an dem man die Aggression mal rauslässt. Dann hat das eine Ventilfunktion. Wenn's gut läuft, nimmt niemand Schaden und man hat seine Wut einfach rausgeschrien.
Schlecht ist es, wenn diese Wut in Aggression gegen andere übergeht, wenn es zu Schlägereien kommt, wenn die Polizei zur Zielscheibe wird. Das tut mir weh. Speziell, wenn es um Taufen und Hochzeiten geht, habe ich auch mit Leuten aus der Ultra-Szene zu tun. Dann versuche ich, über die Gewaltproblematik zu reden. Und dann merke ich, dass wie oft die Massensuggestion eine Rolle spielt. Denn als Einzelne sind diese Menschen in aller Regel sehr auskömmlich und verständnisvoll.

Trotz der Probleme: Was macht den Reiz von Fußball für Sie aus?
Eckert: Fußball ist ein Spiel mit offenem Ausgang. Ein Gottesdienst ist von A bis Z durchgetaktet, ebenso ein Theater- oder ein Musikstück. Man weiß, wie es anfängt, man weiß, wie es endet. Beim Fußball kann es passieren, dass ein Sonntagsschuss ein Spiel entscheidet und die Masse steht Kopf. Dieser offene Ausgang, das Unvorhersagbare, das ist ein hoher Reiz.

Wenn Sie einen Fußball-Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Eckert: Als Frankfurter natürlich, dass die Eintracht mal wieder Deutscher Meister wird – nach 1959.
 
 

Zur Person

Eugen Eckert (70) war als Sozialarbeiter tätig, bevor er Pfarrer wurde. Seit 2007 ist er Stadionpfarrer in Frankfurt. Außerdem ist Eugen Eckert Liedermacher und Teil der christlichen Band Habakuk. Selbstverständlich ist er Eintracht-Frankfurt-Fan.