Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 20 Jul 2007

Darmstadt/Kassel (medio). In einer gemeinsamen Stellungnahmen haben muslimische und evangelische Spitzenvertreter Hessens zur Frage Stellung genommen "Wie viel Religion braucht der Mensch?". Die Erklärung wird getragen von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen und der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religionsangelegenheiten und geht zurück auf ein Gespräch am 4. Juli
2007 in Darmstadt. Wir dokumentieren die Erklärung im Wortlaut:

"Muslime in Deutschland sind Teil der Gesellschaft und des Landes geworden.
Sie haben begonnen, eine Strukturform zu entwickeln, die auch organisatorisch zur Gesellschaftsform in Deutschland passen kann. In dieser Einschätzung waren sich die Spitzenvertreter der evangelischen Kirchen in Hessen, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religionsangelegenheiten (DITIB) und der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) einig. Sie hatten sich am 4. Juli 2007 in Darmstadt auf Einladung der TU zum zweiten „Tag der Religionen“ versammelt. Teilgenommen hatten der Vorsitzende der IRH Ramazan Kuruyüz, der Referatsleiter für interkulturelle und interreligiöse Zusammenarbeit der DITIB Bekir Alboga M.A., der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau
(EKHN) Prof. Dr. Peter Steinacker, der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) Prof. Dr. Martin Hein, sowie Fachleute der Organisationen. Vorträge hielten der muslimische Politologe Ertugrul Sahin und der evangelische Soziologe Dr. Peter Höhmann. Das Thema des Tages lautete „Wie viel Organisation braucht Religion?“

Bei dem Treffen wurde deutlich, dass sich die islamischen Organisationen in Deutschland in einem Prozess der strukturellen Konsolidierung befinden, die sich an den vom Staat vorgegeben gesetzlichen Formen orientiert. Der Islam mache für eine organisierte Form der Religion zwar keine festen Vorgaben, aber er sei mittels einer Vielzahl flexibler Normen anpassungsfähig und vor allem spezifische kulturelle Traditionen betreffend auch zeit- und ortsabhängig revidierbar. Dadurch ermögliche er den Muslimen, sich in allen Gesellschaften zurechtzufinden und nach Gemeinsamkeiten mit den bestehenden Gesellschaftssystemen zu suchen. Dies bedeute für die Vertreter der beiden islamischen Verbände, dass den Muslimen in Deutschland die Möglichkeit offen stehe, neue Islam-konforme Traditionen im Kontext der deutschen Gesellschaft zu entwickeln. Deshalb orientiere sich in Deutschland die Suche nach geeigneten Organisationsstrukturen für die kollektive Religionsausübung an den Rahmenbedingungen der religiös pluralistischen Gesellschaft und des säkularisierten demokratischen Rechtsstaats. In diesem Sinne arbeite der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland/KRM (Mitglieder sind Bundesverbände DITIB, Islamrat, VIKZ und ZMD) gemeinsam mit den bereits bestehenden muslimischen Länderstrukturen (einschließlich der IRH) an der Schaffung rechtlicher und organisatorischer Voraussetzungen für die Anerkennung des Islam in Deutschland im Rahmen von Staatsverträgen. Dieser Prozess solle auch von den beiden evangelischen Kirchen positiv begleitet und unterstützt werden.

Auch die Organisationsform der evangelischen Kirchen war Thema der Fachtagung. Die synodalen Strukturen der evangelischen Kirchen könnten für die Organisationsform der Muslime als ein Beispiel angesehen werden, da sie in einem demokratischen Rahmen dem Einzelnen eine individuelle Form der Glaubensausübung ermöglichten. Die evangelischen Vertreter betonten, dass ein evangelischer Christ seine Religionszugehörigkeit nicht über ein Lehramt definiere, sondern durch Bibel und Bekenntnis. Damit spreche  man dem einzelnen Christen ein hohes Maß an Kompetenz für seine individuelle Glaubensgestaltung zu. Hier seien nach Ansicht der evangelischen und muslimischen Vertreter  Gemeinsamkeiten in den beiden Religionen zu sehen.

Rahmenrichtlinien für islamischen Religionsunterricht

Einen Bildungsauftrag reklamierten sowohl islamische wie auch evangelische Vertreter. Dabei bedauerten die Muslime, dass sie einerseits im Zusammenhang der rechtlichen Gleichstellung der Kirchen bzw. Religionsgemeinschaften vom Staat bisher nicht genug gefördert wurden und andererseits ihnen sowohl die finanziellen als auch personellen Strukturen fehlten, um ihn auf eine den Kirchen ähnliche Weise zu erfüllen. Sie hofften auf Anerkennung, Gleichbehandlung und Förderung durch die Politik und den Staat sowie auf Unterstützung der Kirchen mit ihren jahrelangen Erfahrungen, zum Beispiel bei der Erstellung von Rahmenrichtlinien für einen islamischen Religionsunterricht.

Ziel des „Tages der Religionen“ ist es, auf der Spitzenebene einen Dialog auf Augenhöhe zu führen, in dem theologische und gesellschaftspolitische Fragen, die sowohl islamische Religionsgemeinschaften als auch christliche Kirchen betreffen, offen und kritisch diskutiert werden. Sowohl die islamischen als auch die christlichen Vertreter einigten sich darauf, den „Tag der Religionen“, der zum ersten Mal am 7. Juni 2006 in Darmstadt stattfand, weiterzuführen. Das nächste Treffen werde in Kassel stattfinden."

gez.
Bekir Alboga M.A.
Referatsleiter für interkulturelle und interreligiöse Zusammenarbeit der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religionsangelegenheiten (DITIB)

Prof. Dr. Martin Hein
Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW)

Ramazan Kuruyüz
Vorsitzende der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen (IRH)

Prof. Dr. Peter Steinacker
Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN)

(20.07.2007)