Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 09 Apr 2020

Kassel (medio). Die ekkw.de-Video-Andacht für den Karfreitag am 10. April 2020 kommt von Bischöfin Dr. Beate Hofmann aus der Martinskirche in Kassel. 

Lesen Sie hier den Wortlaut der Ansprache der Bischöfin:

«Der Friede des Herrn sei mit euch allen.

Heute ist Karfreitag. Wir erinnern uns heute an das Leiden und Sterben von Jesus Christus und an seinen Tod. Und wir feiern, dass Gott mit dem Tod Jesu der Macht des Todes ein Ende macht.
Und darum können wir auch in Zeiten der Coronapandemie getrost auf das Kreuz Christi schauen und die Worte hören, die von seinem Leiden berichten.

Lesung: Joh 19,16-30 

Liebe Schwestern und Brüder,

Noch nie habe ich einen Karfreitag gefeiert, an dem das Leiden und Sterben von Menschen so gegenwärtig, so bedrängend nah war wie heute. Corona führt (uns) auf beklemmende Weise vor Augen, wie zerbrechlich unser Leben ist. 

Das macht Angst und verunsichert. Viele spüren die Folgen ihrer Ängste schon körperlich, schlafen schlecht, sind unkonzentriert, gereizt oder energielos. Und mitten in dieser Unruhe, mit dem täglichen Blick auf die Zahlen von Infizierten und Gestorbenen, mit den bedrückenden  Bildern von Intensivstationen, Altenheimen und Flüchtlingslagern, in Gedanken an die infizierten Bewohnerinnen und Bewohner - mitten in all dem feiern wir Karfreitag. 

So ist der Karfreitag diesmal nicht einfach ein stiller Tag, an dem das Leben ruht. An diesem Karfreitag kommt uns die Realität des Todes auf unheimliche Weise nahe. 

Warum schauen wir Christinnen und Christen an diesem Tag auf das Kreuz Christi? Warum schauen wir nicht weg und genießen einfach die Frühlingssonne?  

Weil hier am Kreuz, in diesem Blick auf die Realität von Leiden und Tod, Gott selbst erkennbar wird. Das ist der Kern des christlichen Glaubens. 

Der Apostel Paulus beschreibt das Kreuz als Inbegriff der göttlichen Liebe und Hingabe. Inmitten des Alten, Vergänglichen, Sterblichen wird etwas Neues sichtbar. Jesu Weg in den Tod schenkt Leben für alle, Leben über den Tod hinaus. Darauf setzen wir unsere Hoffnung. 

Das ist die Botschaft von Karfreitag; wir können das Kreuz aushalten, weil wir weiter sehen - auf Ostern sehen. Als Christinnen und Christen sind wir nicht verliebt in den Tod, wir sind verliebt in das Leben - auch über den Tod hinaus. Darauf setzen wir – auch für die Menschen, die jetzt an Corona leiden und sterben. Wir hoffen auf die Auferstehung, darum schauen wir nicht weg. 

In der Sprache des Paulus im 2. Brief an die Gemeinde in Korinth im 5. Kapitel klingt das so:

14 Denn die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt haben, dass einer für alle gestorben ist und so alle gestorben sind. 15 Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und auferweckt wurde. […]

17 Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. 18 Aber das alles ist von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt.

19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. 20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. 

Zwei Gedanken sind mir an diesem Karfreitag besonders wichtig: Christus ist für alle gestorben. Das bedeutet: es braucht keine Opfer mehr. Niemand muss mit seinem Leben für irgendetwas bezahlen. Die Schuldbücher sind zu, die Rechnung ist beglichen, ja, das Rechnen hört auf. 

Deshalb sind die zynischen Rechnungen, die manche in diesen Tagen aufmachen, mit dem christlichen Glauben unvereinbar. Da heißt es: „Was hat mehr Wert, das Leben einiger zehntausend von Corona bedrohter Älterer?  Oder das Funktionieren der Gesellschaft in Freiheit und Wohlstand, mit funktionierender Wirtschaft, Bildung und Kultur für 80 Millionen?“

Aus christlicher Perspektive gibt es eine klare Antwort auf solche Überlegungen: Der Wert eines menschlichen Lebens lässt sich nicht verrechnen. Gottes Liebe durchkreuzt alle Rechnungen.
 
Das hat auch Eingang in unser Grundgesetz gefunden: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es in Art 1 des Grundgesetzes. Das ist die Grundlage unseres Zusammenlebens in Deutschland: Das Leben eines Menschen kann nicht verrechnet werden. Deshalb müssen wir alles tun, damit Ärztinnen und Ärzte nicht in die Situation kommen, dass sie Lebenschancen von Menschen gegeneinander aufrechnen müssen.

Wird sich diese Grundüberzeugung in der Krise bewähren? Wird sich das Wissen um die unbedingte Würde und den nicht berechenbaren Wert jedes menschlichen Lebens durchsetzen? Die Achtung auch des alten und gebrechlichen Lebens? 

Ich schaue dabei auf das Kreuz, auf den leidenden und sterbenden Christus. Und ich denke an seine Liebe. Wer im Sinne Christi lebt, lebt in der Liebe. Und die Liebe hält es aus, um der besonders Gefährdeten willen eine Zeit lang auf persönliche Freiheitsrechte zu verzichten. 

Wer aus der Liebe lebt, zeigt sich solidarisch mit denen, die jetzt in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind. 
Wer aus der Liebe lebt, hat die Kraft, nicht nur um sich selbst zu kreisen, der denkt auch an die, die dem Corona-Virus unter ganz prekären Bedingungen ausgeliefert sind, in Flüchtlingslagern, in Ländern ohne gute Intensivmedizin. 

Wer aus der Liebe lebt, hält es aus, dass Corona auch Wohlstandsverluste bringen wird und dass wir wirtschaftlich, aber nicht menschlich ärmer aus dieser Krise kommen werden. 
Dass wir Menschenleben nicht auf dem Altar eines wirtschaftlichen Kalküls opfern, dass wir als Gesellschaft unser menschliches Antlitz bewahren, darauf kommt es an. Davon soll später einmal erzählt werden, wenn wir uns an diesen Karfreitag in Corona-Zeiten erinnern. Es soll erzählt werden, dass Liebe und Solidarität die schrecklichen Folgen des Virus besiegt haben. Niemand wird geopfert, niemand wird zum Sündenbock.

Denn das sagt uns Karfreitag: Dafür ist Christus gestorben, dass es diese Opfer von Menschen nicht mehr braucht, dass ein neuer Geist, eine neue Haltung unser Leben, auch unser Zusammenleben, durchdringt. Liebe und Leben, nicht Opfer und Tod.

Und noch etwas ist mir in diesem Jahr besonders wichtig: Wir glauben, dass Gott selbst in seinem Sohn Jesus Christus gekreuzigt wurde. Das bedeutet: Gott ist mitten unter denen, die in diesen Stunden und Tagen leiden und sterben.

Für mich ist das ein tröstlicher Gedanke gerade jetzt, wenn wir immer wieder hören, dass Menschen ganz allein sterben, ohne Angehörige, ohne seelsorgerliche Begleitung. 

Gott ist da, das sagt das Kreuz, das in manchen Krankenzimmern hängt. Gott geht mit in diesem Weg durch Leid und Tod. Auch wenn niemand aus deiner Familie jetzt deine Hand halten kann, bist du in Gottes Hand, getragen und geleitet. Auch wenn Du einem liebsten Menschen jetzt nicht nah sein kannst: Gott ist ganz nah.

In einem Karfreitagslied hat der Dichter Paul Gerhard dafür erstaunliche Sprachbilder gefunden. Ich meine das Lied „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“ (EG83) Es ist im 30-jährigen Krieg mitten in großem Leid entstanden. Da sagt Paul Gerhardt in Strophe 6 vom Tod Jesu für uns: „Das soll und will ich mir zunutz zu allen Zeiten machen. Im Streite soll es sein mein Schutz, in Traurigkeit mein Lachen... im Durst soll`s sein mein Wasserquell, in Einsamkeit mein Sprachgesell“.

Das ist der Trost, den uns dieser Karfreitag schenkt, 
auch denen, die jetzt allein sind, die große Angst haben, 
auch denen, die mit dem Tod ringen. 

Gott ist da, Gott ist nah und Gott geht mit uns allen, durch Krankheit und Schmerz, durch Leid und Tod. Zum Leben, zum neuen Leben. 

In dieser Hoffnung können wir in die Frühlingssonne schauen. Und irgendwann auch wieder lachen.

Amen.»

Dr. Beate Hofmann
Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck

Ansprache in der Videobotschaft am Karfreitag, 10.4.2020

Video-Andacht zum Osterfest

Am Ostersonntag können Interessierte ebenfalls ab 9 Uhr eine Video-Andacht aus der Martinskirche sehen, die von Pfarrer Lars Hillebold und Studienleider Thomas Hof gestaltet wird über. Die Andachten sind auf allen Onlinekanälen der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck abrufbar: hier auf ekkw.de, auf Youtube und auf Facebook.

Produziert werden die Videos vom Team des Medienhauses der EKKW. Auf der Internetseite der Landeskirche stehen zudem viele Anregungen und Materialien bereit, um Glaube und Gemeinde auch von zu Hause aus leben zu können: www.ekkw.de/ostern-von-zu-hause (10.04.2020)

Download:

Sie möchten die Andacht nachlesen oder jemandem mitbringen, der kein Internet hat? Hier können Sie die Andacht herunterladen:

PDF-Dokument