(Foto: Pexels/Juan Arenas)

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Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 15 Mai 2023

Marburg/Kassel. «Mann wird Vater» heißt ein Projekt, das von der Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck getragen wird. Wir haben mit den Projektverantwortlichen Christoph Lyding und Martin F. Mehl darüber gesprochen, wie die Rollen von Vätern sich verändern und was das für die Kinder bedeutet. Die Fragen stellte Olaf Dellit, Redakteur im Medienhaus der EKKW.

Geburtsvorbereitung für Frauen kennt man. Aber Sie bieten das für Männer an. Worum geht es da?

Martin F. Mehl: Ganz wichtig ist die Frage: Wie stelle ich mir den Rollenwechsel von Mann zu Vater vor? Wie stelle ich mir eine gute Vaterschaft vor? Daneben gibt es ganz pragmatische Fragen wie zur Einrichtung von Kinderzimmern oder zum Verhalten in der Geburtsklinik. Dazu gehört auch abzuklären, ob die Väter bei der Geburt dabei sein möchten. Es gibt auch die Möglichkeit, da «Nein» zu sagen. Dann sollte aber klar sein, wer für die Begleitung die Alternative ist. Es wird besprochen, was auf die Väter zuhause zukommt.  Was ist mit Wochenbettdepressionen und auch mit depressiven Episoden bei den Männern selbst? Und dann: Wie können wir ein Paar bleiben, obwohl wir Eltern geworden sind? 
Christoph Lyding: Wir bieten keinen ganzen Kurs an, sondern einen Väterabend im Rahmen des Geburtsvorbereitungskurses von Hebammen. Und es gibt ein Extraangebot für die Väter, wo sie ohne Frauen kommen können. 
Mehl: Die Männer haben dort Raum und Zeit für sich und es wird einmal nicht nur auf Frau und Kind geschaut.

Früher waren die Rollen klar verteilt: Papa verdient das Geld, Mama kümmert sich um Kinder und Haushalt. Wie sehr hat sich das verändert?

Lyding: Man kann das am «Väterreport» wunderbar ablesen. Ein großer Teil der Eltern möchte sich gleichberechtigt um Haushalt und Kinder kümmern. Tatsächlich aber arbeiten 94 Prozent der Väter minderjähriger Kinder in Vollzeit. Allein das zeigt die Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Es gibt oft eine Re-Traditionalisierung, wenn Menschen Eltern werden. Männer verdienen meistens mehr, was häufig dazu führt, dass sie höchstens zwei Monate Elternzeit nehmen und die Frauen den Rest. Andererseits gibt es viele werdende Mütter, die die erste Zeit beim Kind bleiben wollen. Hinzu kommt, dass Deutschland bei Teilzeitmodellen noch sehr unflexibel ist.  

Wodurch zeichnet sich ein «moderner Vater» aus?

Mehl: Wir fragen das die Männer in der Geburtsvorbereitung. Ganz oft wird genannt: Möglichst viel und möglichst intensive Zeit mit dem Kind verbringen. Sie wollen ansprechbar für ihr Kind sein. Einer hat einmal gesagt: Wenn mein Kind, sobald es laufen kann, auf mich zuläuft, habe ich alles richtig gemacht. 
Manche fühlen sich alleine, wenn sie zuhause beim Kind bleiben. Ich kenne einen Vater mit einem einjährigen Kind, der Anschluss gesucht hat, weil auf allen Spielplätzen nur Frauen waren und er sich wie ein Störfaktor fühlte. Es muss in der Gesellschaft noch bewusster werden, dass auch Väter gute Eltern sind. 

Und wie wirken sich die «neuen Väter» auf die Kinder aus?

Mehl: Studien zeigen, dass Kinder, die viel Zeit mit dem eigenen Vater verbracht haben, in der kognitiven Entwicklung weiter sind. Und auch was die körperliche Entwicklung angeht, gibt ihnen das einen ordentlichen Schub. Das erklärt sich wohl daraus, dass Väter körperlich anders mit den Kindern umgehen, wesentlich wilder spielen. Und kognitive Vorteile bringt es, wenn ein Kind zwei Erwachsene gegenüber hat, die unterschiedlich sprechen. Dadurch bekommt es unterschiedliche Impulse, an denen es sich ausrichtet und mit denen es lernen kann. Es hat nur Vorteile. 
Lyding: Auch für die Zukunft der Kinder ist es gut. Sie werden als junge Erwachsene selbständiger und können Beziehungen anders leben, weil sie ihren Vater nicht wie einen Untermieter erleben, der morgens aus dem Haus geht und spätabends wiederkommt. Sie sehen Vater und Mutter gemeinsam im Familienleben, eine gute Voraussetzung, um später selbst eine Familie zu gründen.  

Personen und Projekt

Martin F. Mehl (38) ist Sozialarbeiter, Diakon und Religionspädagoge in Marburg. Er hat keine eigenen Kinder, aber – wie er sagt – einen eigenen Vater.
Christoph Lyding (62) ist Diplom-Pädagoge und hat viel mit Jungen gearbeitet, sich aber auch mit Sexualpädagogik und häuslicher Gewalt befasst. Er war auch in der Beratung von Jungen, Männern und Paaren tätig. Lyding hat eine inzwischen erwachsene Tochter.

Für das Projekt werden noch erfahrene Väter und Großväter oder soziale Väter gesucht, die in den Städten bzw. Landkreisen Marburg und Kassel Väter- und Vater-Kind-Kurse anbieten wollen. In einer Kurzausbildung werden sie fortgebildet. Näheres unter www.mann-wird-vater.de

Christoph Lyding (l.) und Martin F. Mehl (Fotos: privat)

Christoph Lyding (l.) und Martin F. Mehl (Fotos: privat)

Fühlen sich viele Männer durch die sich ändernden, vielleicht auch widersprüchlichen Rollen verunsichert?

Lyding: Ein großer Teil kommt damit gut klar und will ja auch eine aktive Vaterrolle haben. Es gibt andere, die sich durch die vielen Anforderungen zerrissen fühlen. Im Beruf wird vielleicht ein anderes Auftreten verlangt als das emphatische in der Familie. 
Mehl: Die grundlegende Irritation ist der Wechsel von Mann zu Vater. Ich nehme da auch ein Stadt-Land-Gefälle wahr. Männer in der Stadt sind oft wesentlich offener, während viele Männer vom Land so Dinge sagen wie: «Ich kann das Kinderzimmer nicht streichen, solange ich nicht weiß, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird.» Oder: «Warum soll ich denn Elternzeit nehmen? Dafür habe ich doch eine Frau.» 
Lyding: Insgesamt hat sich gesellschaftlich aber sehr viel verändert. Meine Tochter ist jetzt 32. Als ich ein junger Vater war, war es noch sehr ungewöhnlich, dass ich das Kind getragen und gewickelt habe.

Wie sollten sich ihrerseits die Mütter verändern?

Lyding: Die Vätergruppe Kassel hatte kürzlich einen Vortrag von Marc Schulte vom Väterzentrum Berlin mit dem schönen Titel: «Mütter, lasst los! Väter, geht in die Verantwortung!» Das bringt es gut auf den Punkt. Damit Männer aktive Väter werden, ist es auch nötig, dass die Mütter es ihnen zutrauen. Sie müssen bereit sein, zu akzeptieren, dass es der Vater anders macht.

Anders muss nicht schlechter sein...

Lyding: Genau. Zwei verschiedene Strümpfe sind kein Drama. Und wenn das Oberteil farblich nicht zum Unterteil passt, ist das dem Kind meistens ziemlich egal. 
Mehl: Es müssen sich weniger die Mütter ändern, sondern vielmehr die Fachfrauen: Hebammen, Geburtshelferinnen, Ärztinnen – das ganze System der «Frühen Hilfen». Wenn es hier in Marburg ein Arbeitskreistreffen der Frühen Hilfen gibt, bin ich bei 25, 26 Menschen der einzige Mann und werde auch anders behandelt. Es war in der Politik ein zäher Prozess, bis die erste Frau im Bundestag saß und wir schließlich eine Kanzlerin hatten. Umgekehrt muss es selbstverständlich werden, dass die Männer bei den Frühen Hilfen dabei sind. 

Vor was haben werdende Väter Angst?

Mehl: Die einzige konkrete Angst, die einmal ein Mann benannt hat, war ein Kaiserschnitt, weil er nicht wusste, was da passiert und wie seine Frau das verkraften würde. Bei vielen gibt es eher Ungewissheiten: Es steht eine große Veränderung bevor und die Männer haben das Gefühl, da nicht aktiv etwas tun zu können.  
Lyding: Interessanterweise ist die Angst, dass bei der Geburt etwas passieren könnte, größer als früher, obwohl die Medizin ja sehr viel weiter ist. Manche Väter haben die Sorge, dass sie bei der Geburt umkippen, dabei habe ich noch nie gehört, dass es wirklich einmal passiert wäre. Und viele machen sich Gedanken, wo sie bleiben, wenn das Kind da ist. Was ist zum Beispiel mit Hobbys?

Himmelfahrt - oder Vatertag. Was sind Gründe, die Väter einmal richtig zu feiern?

Mehl: Als Theologe muss ich da reingrätschen: Himmelfahrt ist nicht Vatertag, das ist eine unsägliche Übernahme aus Ostdeutschland, wo der Feiertag aus dem christlichen Kontext gerissen werden sollte. Der eigentliche Vatertag ist weltweit der dritte Sonntag im Juni.

Trotzdem: Warum sollte man die Väter feiern, wann auch immer?

Lyding: Väter nehmen sich heute viel mehr Zeit für ihre Kinder und übernehmen viel mehr Verantwortung. Sie wollen dabei sein und nicht nur danebenstehen. Es ist wichtig, das zu sehen und zu erkennen, wie wichtig Väter für ihre Kinder sind.
Mehl: Ich sehe es beim Vater- und beim Muttertag so: Entweder jeden Tag im Jahr feiern oder gar nicht. Wir sollten uns aber im Alltag viel mehr bewusst machen, welche Bedeutung Vater und Mutter für die Kinder haben. 

(15.05.2023) 

Linktipp:

Für das Projekt «Mann wird Vater» werden noch erfahrene Väter und Großväter oder soziale Väter gesucht, die in den Städten bzw. Landkreisen Marburg und Kassel Väter- und Vater-Kind-Kurse anbieten wollen. In einer Kurzausbildung werden sie fortgebildet:

mann-wird-vater.de