Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 30 Jun 2023

Eschwege. «Das war die schlimmste Zeit meines Lebens», sagt Luna Scholl über die Jahre, die sie an der Gesamtschule verbracht hat. Die 18-Jährige hat eine schwierige Phase hinter sich. Sie möchte nicht im Detail darüber reden und spricht von einem «Schicksalsschlag». Doch nun hat sie einen Ausbildungsplatz als Hotelfachfrau sicher. 

Seit 40 Jahren kümmert sich die «Werkstatt für junge Menschen in Eschwege» vor allem um junge Leute, die solche und andere Schwierigkeiten haben. Der «Treffpunkt für Jugendliche in Berufsnot» wird sogar schon 45 Jahre alt – das alles wird am 7. Juli gefeiert. Der Treffpunkt ging 1978 an den Start, dort werden unter dem Dach der evangelischen Kirche junge Leute ohne Ausbildungsplatz beraten. Mit der Werkstatt, die seit 1983 besteht, wurde das Angebot deutlich erweitert. Heute werden dort 640 Menschen jährlich betreut, darunter inzwischen auch Ältere. Den geschäftsführenden Vorstand bilden Anke Engel und Büsra Dikmen.

Die Werkstatt für junge Menschen feiert Geburtstag: (von vorne nach hinten) Büsra Dikmen, Anke Engel (beide geschäftsführender Vorstand), Luna Scholl und Dominik Bauer (Foto: medio.tv/Dellit)

Die Werkstatt für junge Menschen feiert Geburtstag: (von vorne nach hinten) Büsra Dikmen, Anke Engel (beide geschäftsführender Vorstand), Luna Scholl und Dominik Bauer (Foto: medio.tv/Dellit)

Fünf Abteilungen mit Untergliederungen sind so entstanden, 37 Fachkräfte arbeiten in der Werkstatt, 15 Projekte laufen dort mit unterschiedlichen Zielgruppen. Das Programm, über das Luna Scholl gefördert wird, trägt den Titel AQUA. Dort, so erklärte Anke Engel, wird viel Wert auf die sozialpädagogische Einzelbetreuung gelegt. Das Programm wird individuell auf die Einzelnen zugeschnitten. Die Teilnehmenden absolvieren Praktikumstage in verschiedenen Arbeitsfeldern, darunter Naturschutz, Handwerk und Hauswirtschaft, es gibt Gruppen- und Berufsorientierungstage. Die Wochenplanung wird an die Teilnehmer und Teilnehmerinnen individuell angepasst. Vielen, sagt Anke Engel, fehle Schulstoff, sie bereiteten sich dann im Programm auf die Hauptschulprüfung vor. Andere haben bereits einen Abschluss in der Tasche.

So ist es auch bei Dominik Bauer. Der 21-Jährige aus Eschwege hat die Realschule abgeschlossen und zwei Ausbildungen begonnen, die er aber nicht zu Ende brachte. KfZ-Mechatroniker sei nicht das Richtige gewesen und ein kaufmännischer Beruf in der Möbelbrache habe ihm nicht gelegen. Bauer spricht auch von Depressionen, die ihm im Weg gestanden hätten. Über einen Umweg landete auch er im Programm AQUA. Dort absolviert er gerade ein Praktikum im Bereich Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Er sei dort auch gefragt, weil er einen Führerschein hat, erzählt Bauer. Das komme ihm sehr entgegen, sagt er, denn: «Ich brauche einen Job, bei dem ich unterwegs bin.»  

Jubiläum in Eschwege

Jubiläumsfeier am Freitag, 7. Juli, ab 14 Uhr vor und in der Talent-Werkstatt, Thüringer Straße 22a, in Eschwege. Die Projekte stellen sich vor, es gibt einen Jahrmarkt und ein Bühnenprogramm sowie Speisen und Getränke. Weitere Infos auf der Homepage der Werkstatt.

Ein Höhepunkt für Luna Scholl und Dominik Bauer war in diesem Jahr sicherlich der Austausch mit Griechenland. Dort halfen beide mit, an einem Haus für Ehrenamtliche zu arbeiten. Es standen aber auch Wanderungen und ein Bildungsprogramm auf dem Plan. 

Anke Engel vom Vorstand arbeitet bereits seit 1989 in der Werkstatt und hat die Veränderungen im Laufe der Zeit beobachtet. Der Bedarf an den unterstützenden Angeboten sei nicht geringer geworden, doch es habe immer wieder inhaltliche Veränderungen gegeben. So läuft derzeit ein Eingliederungsprojekt für Frauen aus der Ukraine. Es gibt Hilfen für Geflüchtete und Langzeitarbeitslose, Erziehungsbeistand für Familien und Beratung auch dann, wenn junge Leute schon im Beruf sind. Aber auch Ausbildungsbetriebe können sich beraten lassen. Mit Sprachproblemen können die Mitarbeitenden der Werkstatt ebenso umgehen wie mit den Anforderungen von Förder- und Stützunterricht. «Wir reagieren auf das, was gebraucht wird», schildert Engel und das könnte eine Überschrift über die ganzen 40 Jahre sein. Manche Herausforderung sei in der Corona-Zeit noch größer geworden, vor allem psychische Probleme träten verstärkt auf. «Das Gefühl, abgehängt zu werden, ist stärker geworden», erzählt Engel. Für sie und ihre Kollegin Büsra Dikmen bedeutet die Flexibilität allerdings auch viel Bürokratie, denn etliche Hilfen werden von unterschiedlichen Stellen unterschiedlich lange gefördert, es müssen also regelmäßig Anträge und Berichte geschrieben werden. 

Doch die Mühe lohnt sich offenbar. Anke Engel beziffert den Anteil derjenigen, die den angestrebten Abschluss dann auch schaffen, auf 98 Prozent – also beinahe alle. Die Werkstatt ist Mitglied der Diakonie, an der Finanzierung ist aber auch die Landeskirche beteiligt, unter anderem mit der Stelle der Vorsitzenden Engel. Benachteiligte fördern, das sei der grundlegende Anspruch von Werkstatt und Treffpunkt. Den einzelnen Menschen im Blick zu haben, aber auch – durch Naturschutzprojekte in Kirchengemeinden – die Umwelt, das sei ihnen wichtig. Der christliche Gedanke, auf den alles zurückgeht, beschreibt sie so. «Jeder und jede, der oder die Hilfe braucht, wird bei uns aufgenommen.» (30.06.2023)

Linktipp:

Weitere Informationen zur «Werkstatt für junge Menschen in Eschwege» unter: