Vikarin Anna Plischke

(Foto: medio.tv/Schauderna)

Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 11 Dez 2019

Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Polizisten beklagen sich in jüngster Zeit immer wieder über mangelnden Respekt. Olaf Dellit, Redakteur im Medienhaus der EKKW, hat sich umgehört, wie es bei Pfarrerinnen und Pfarrern aussieht?

Es war am Ende des Schul-Abschlussgottesdienstes, als eine Viertklässlerin auf Pfarrer Frieder Seebaß zuging und ihn fragte: «Darf ich dich mal umarmen?» Vor ein paar Jahrzehnten wäre das noch undenkbar gewesen, sagt Seebaß, der Respekt vor dem Pfarrer wäre viel zu groß gewesen – im Zweifel hätten die Eltern es unterbunden. Rettungskräfte, Feuerwehrleute und Polizisten beklagen sich in jüngster Zeit immer wieder über mangelnden Respekt. Doch wie sieht es bei Pfarrerinnen und Pfarrern aus? Wir haben nachgefragt. 

Den wohl übersteigerten Respekt, der eine Umarmung verhindert hätte, will keiner der Befragten zurück. Es waren die Zeiten, erzählt Seebaß (Borken-Kleinenglis), als abends um 6 Uhr Pfarrer, Lehrer und Polizist durch die Dorfstraßen patrouillierten, um zu schauen, ob sich noch ein Kind auf der Straße herumtrieb. Falls ja, gab es Ärger. 

Auch Pfarrer Dr. Christian Schäfer (Witzenhausen-Hundelshausen) will nicht zurück zu dem, was er «Angst-Respekt» nennt. Goldene Konfirmanden erzählten ihm manchmal, wie sie sich früher vor dem Pfarrer versteckten, «weil er auch schon mal hingelangt hat». Pfarrer Fredy Fritz Henning (Bad Soden-Salmünster) kennt ähnliche Berichte von «schwarzer Pädagogik» und sagt: «Ich bin froh, dass diese Zeit vorbei ist.» Es gebe für Pfarrer aber eben auch keinen Respekts-Bonus mehr, sagt Henning. Konfirmanden würden anders auftreten als früher. 

Die Rolle des Pfarrers bleibe speziell, glaubt hingegen Pfarrer Schäfer, sein Wort habe ein besonderes Gewicht. Zugleich müsse sich auch der Pfarrer oder die Pfarrerin den Respekt heute mehr verdienen als das vielleicht früher der Fall war. Es gebe sicherlich Unterschiede zwischen Stadt und Land, vermutet Schäfer. So wie die Stellung des Pfarrers sei auch das Rollenbild auf den Dörfern häufig noch traditionell. Er erzählt vom Weltgebetstag, als ihm selbstverständlich Kekse angeboten wurden, während von der Pfarrerin aus dem Nachbarort erwartet wurde, dass sie Kuchen oder Schnittchen mitbringt. 

Respektlos ging es einmal im Gottesdienst in Edertal-Bergheim zu, als Konfirmanden auf der Treppe zur Empore lärmten, schlecht gekleidet und frech. Als Pfarrerin Kerstin Palisaar sie darauf ansprach, konterte jemand: «Du hast ja auch immer diese schwarze Gardine an!» Und dennoch sagt die Pfarrerin, spüre sie den Respekt und die Unterstützung ihrer Gemeinde. Das ist kein Widerspruch: Die denkwürdige Szene in der Kirche war nur gespielt, der Jugendgottesdienst beschäftigte sich genau mit diesem Thema: Respekt.

Nein, sagt Palisaar, Respekt vermisse sie nicht. Das habe übrigens auch nichts mit der Frage der Anrede zu tun. Mittlerweile duze sie sich mit vielen Gemeindegliedern, der gegenseitigen Achtung tue das keinen Abbruch. 

Große Veränderungen hat auch Marvin Lange, Pfarrer in Fulda, nicht beobachtet. Gerade bei katholischen Christen, in Fulda die Mehrheit, beobachte er hingegen manchmal eine geradezu devote Haltung gegenüber kirchlichen Amtsträgern. Es sei auch noch nicht ganz lange her, dass dort vor dem Pfarrer geknickst wurde. 

Mangelndem Einfühlungsvermögen, wie Lange es nennt, begegne er dagegen dann und wann. Wenn im Vorgespräch für eine Kasualie, Taufe oder Hochzeit beispielsweise, jemand sage: «An so einen Unsinn wie Gott glaube ich nicht», verunsichere ihn das. Auch aggressiven Atheisten begegne er, häufig im Internet. Dass es dort oft an Respekt mangelt, stellt auch Pfarrer Stefan Axmann (Hanau) fest. Gerade auf Facebook sehe er viel Hass. Für ihn ende dann die Dialogbereitschaft. Wenn jemand unter eine Meldung über ertrunkene Migranten auf dem Mittelmeer schreibe: «Schade um die schönen Handys», kündige er ihm die digitale Freundschaft. 

Im richtigen Leben der Stadt sei ein Dialog aber eigentlich immer möglich, auch bei rechtspopulistischen Einstellungen. Über die Handy-App «Kunterbunt» hole er sich vor solchen Gesprächen manchmal Argumentationshilfen. Es helfe auch, dass er schon seit elf Jahren in Hanau wohne, bekannt und gut vernetzt sei. 

Dennoch lebe man als Pfarrer in der Großstadt anonymer als Kollegen auf dem Dorf, ist sich Axmann sicher. Eine besondere Stellung habe der Pfarrer hier eher nicht: «Man wird vielleicht eher als eine Art Vereinsvorsitzender wahrgenommen.» In Hanau, so Axmann, seien nur noch 13 bis 14 Prozent der Einwohner evangelisch, viele hätten eine andere Religion oder Herkunft: «Wir leben hier Multikulti, das läuft im Großen und Ganzen gut.» Es herrsche ein tolerantes Klima. Das ist der evangelischen Kirche mit zu verdanken, denn bei Veranstaltungen wie dem Fest der Religionen ist sie selbstverständlich dabei. 

Natürlich gelingt nicht alles. Axmann erzählt von mehreren Häusern ganz in seiner Nähe, in denen vor allem Sinti und Roma lebten. Bewohner von dort hätten schon Freiluftgottesdienste gestört, es gebe keinen Integrationswillen bei ihnen – und keinen Respekt vor anderen.