Redaktion ekkw.de
Veröffentlicht 14 Sep 2007

Von Christian Prüfer (epd)

Kassel (epd). «In den Anrufen, die wir bekommen, kann man die Tendenzen der Gesellschaft erkennen», sagt Peter Schmidt (Name geändert). Der Handwerker ist einer von 90 ehrenamtlichen Mitarbeitern der Telefonseelsorge Nordhessen, die am Wochenende ihr 50-jähriges Bestehen feierte. Hartz IV, Existenzängste, Drogen- und Beziehungsprobleme sind derzeit die häufigsten Gesprächsthemen, sagt Schmidt, der ebenso wie die Anrufer anonym bleibt. Das schützt ihn vor eventuellen Nachstellungen psychisch kranker Anrufer und bewahrt zugleich die Hilfesuchenden vor der Angst, dass ihre Lebensbeichten missbraucht werden könnten.

Peter Schmidt ist schon seit vielen Jahren im Team, leistet hier jährlich zwischen 80 und 120 Stunden Dienst am Telefon. «Zu Weihnachten werden die Anrufe häufiger und intensiver», weiß er. Dabei sind die Probleme durchaus vielfältig, reichen von sexuell missbrauchten Kindern über Geldprobleme von Familienvätern bis hin zur Suiziddrohung. «Ich nehme jedes Anliegen ernst», sagt Schmidt. Ärgerlich wird er nur, wenn Jugendliche aus Spaß anrufen. Die erkenne er oft am Kichern im Hintergrund. Dann sage er den Anrufern schon mal, dass sie für ernsthaft Hilfesuchende die Leitung blockieren.

Nicht immer kann Anrufern direkt geholfen werden. «Zuhören, annehmen, Wege finden», beschreibt der evangelische Dekan Gerd Haenisch, Vorsitzender des Vereins Telefonseelsorge Nordhessen, die Arbeit der Helfer am Telefon. Oft könne man die Hilfesuchenden an Stellen wie etwa die Suchtberatung oder die Schuldnerberatung verweisen, aber nicht in jedem Fall. «Ich bin kein Problemlöser, sondern jemand der zuhört», ist sich auch Schmidt seiner Rolle bewusst. Erst am Ende eines Gespräches merke er, ob es geholfen habe. «Da spüre ich, ob ich mit dem Anrufer auf einem gleichen Level bin», sagt er.

Die Telefonseelsorge Nordhessen, die 2006 rund 24.000 Anrufe verzeichnete, wurde am 11. Februar 1957 durch den Pfarrer Erich Stange in Kassel gegründet. Als Nummern dienten damals dessen Privatnummer sowie die zweier Mitarbeiter. Ein Jahr zuvor hatte der Arzt, Psychotherapeut und Pfarrer Klaus Thomas in Berlin die erste telefonische Beratungsstelle in Deutschland gegründet.

Stange hatte diese Seelsorge in Oxford bei zwei Pfarrern kennengelernt und mit nach Deutschland gebracht. In London hatte der Pfarrer Chad Varah bereits 1953 eine Telefonseelsorge ins Leben gerufen. Anlass war die hohe Rate von Selbsttötungen in der Stadt. Auch für die Gründung der Telefonseelsorge in Deutschland war eine steigende Zahl von Selbsttötungen der Auslöser.

Bis ins hohe Alter von 80 Jahren kümmerte sich der 1971 verstorbene Stange telefonisch um die Sorgen und Nöte seiner Mitmenschen. Besonders wichtig sei es ihm gewesen, die Telefonseelsorge unabhängig und nicht als eine Organisation der Kirche zu betreiben, sagt seine Tochter Renate Hess, die 1968 selbst die Aufgaben übernahm. Die heutige Telefonseelsorge Nordhessen unter Geschäftsführerin Helga Thomson und dem Vorsitzenden Gerd Haenisch nimmt mittlerweile Anrufe aus ganz Nordhessen entgegen.

Bundesweit werden pro Jahr weit über eine Million Anrufe registriert. 250 Haupt und 7.500 Ehrenamtliche kümmern sich am Telefon um die großen und kleinen Nöte der Anrufer. Seit dem 1. Juli 1997 ist der Anruf bei der Telefonseelsorge unter den bundesweit einheitlichen Nummern 0800-1110111 und 0800-1110222 kostenlos, die Telekom übernimmt die anfallenden Gebühren. Inzwischen berät die Telefonseelsorge auch per E-Mail und Chat. Einige Stellen bieten persönliche Beratungsgespräche an. (17.09.2007)

Linktipp:

Weitere Informationen finden Sie im Internet unter:

telefonseelsorge.de